LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Schick, welches sind die größten Herausforderungen und Hindernisse, denen sich die Medienbranche bei der Umstellung auf nachhaltigere Praktiken und der Verringerung ihres CO₂-Fußabdrucks stellen muss, bzw. gibt es spezielle Herausforderungen für die digitalen Medien?
Nadja Schick: Transparenz zum Status quo – die Voraussetzung für positiven Wandel ist, das Problem zu kennen und zu verstehen. In dem Kontext heißt das, wir müssen wissen, wo wir Emissionen verursachen und wie groß diese sind. Der aktuelle Mangel an realen Daten und einer einheitlichen Messmethodik erschweren dies.
Verantwortung liegt bei vielen, aber nur gemeinsam kommen wir ans Ziel: Jede Medien-Gattung ist anders, das heißt auch, dass unterschiedlichste Akteur:innen beteiligt sind, die Einfluss auf die CO₂-Emissionen nehmen. Nur, wenn wir alle zusammenarbeiten, erreichen wir übergeordnete Reduktionsziele.
Umdenken klassischer KPIs & Prozesse: Um langfristig nachhaltig zu agieren, müssen wir bisherige Gewohnheiten ändern. Das ist sehr aufwendig und frisst Budget und Kapazitäten. Z.B. müssen klassische KPIs überdacht werden. Veränderung ist aber nicht gleich negativ. Ein verstärkter Fokus auf Qualität statt Quantität kann auch einen positiven Einfluss auf die CO₂-Performance von Kampagnen haben. Das Ganze erfordert allerdings Aufklärungsarbeit und hängt von der Bereitschaft eines:r jeden ab. Noch ist nicht jede:r Kunde:in dazu bereit, alte Denkmuster aufzugeben.
LEADERSNET: Welche Rolle spielen die Verbraucher:innen und deren Erwartungshaltung auf der einen und die regulatorisch-politischen Hindernisse auf der anderen Seite in Bezug auf nachhaltiges Marketing und wie lässt sich dieses Spannungsfeld noch mit Kostenimplikationen und Bewerbsfähigkeit vereinen?
Schick: Verbrauchererwartungen und regulatorisch-politische Vorgaben stehen nicht unbedingt im Spannungsfeld zueinander. Verbraucher:innen wünschen immer mehr Transparenz und die verschiedensten Greenwashing-Skandale der vergangenen Jahre beweisen, dass Ehrlichkeit und Realismus in der Kommunikation besser ankommen. So besteht auch nicht die Gefahr, in ein politisches Fettnäpfchen zu treten. Natürlich möchten Marken ihr Nachhaltigkeitsengagement kommunizieren und das ist auch richtig so, aber dies sollte wahrheitsgemäß bleiben und nicht übertrieben werden. Wenn z.B. erhöhte Kosten durch eine nachhaltige Produktion entstehen, dann können diese transparent begründet werden. Wenn Verbraucher:innen verstehen, wofür sie etwas zahlen, haben sie Verständnis und die Kaufbereitschaft steigt. Die Kunst liegt darin, die nötigen Inhalte kommunikativ auf den Punkt zu bringen und ansprechend zu verpacken.
Das Europäische Parlament hat zudem beschlossen, dass Werbeaussagen mit Umweltbezug zukünftig vorab geprüft werden müssen, um Verbraucher:innen vor irreführenden Angaben zu schützen. Bei Verstößen drohen Geldstrafen von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes. Die Green Claims Directive soll das bereits verabschiedete Greenwashing-Verbot ergänzen und festlegen, welche Art von Informationen Unternehmen vorlegen müssen, um ihre umweltbezogenen Marketingaussagen zu rechtfertigen. Werbeaussagen wie "biologisch abbaubar", "umweltfreundlich", "wassersparend" oder "biobasiert" wären demnach nur noch zulässig, wenn sie vorab geprüft wurden.
LEADERSNET: Welchen Einfluss hat der globale Charakter der Medienbranche und der digitalen Medien auf die Nachhaltigkeitsbemühungen, insbesondere in Bezug auf das Management der Lieferkette und die Integration der Medienbranche?
Schick: Natürlich hat der globale Charakter der Branche einen erschwerenden Einfluss auf die Nachhaltigkeitsbemühungen in der Medienbranche. Nicht anders als bei allen anderen globalen Unternehmen erschwert dies die Kontrollmöglichkeiten und ist mit einem höheren Kommunikationsaufwand verbunden. Hinzu kommt, nicht in jedem Land herrschen die gleichen gesetzlichen Vorgaben oder Standards.
Im Vergleich zur produzierenden Industrie jedoch, ist der Aufwand in der Medienbranche, insbesondere im digitalen Bereich überschaubar. Unsere Aufgabe besteht darin, die Lieferketten jedes einzelnen Kanals abzuklappern, relevante Partner zu identifizieren und mit diesen in den Austausch zu gehen, um die Zusammenarbeit nachhaltiger zu gestalten. Wir fragen dazu spezifische Fragen über unser Datenmanagementsystem (Vendor Explorer) bei unseren Partnern ab und besprechen Roadmaps, wo wir hinwollen und was sie dafür umsetzen müssen. Mittelfristig werden wir mit solchen Partnern zusammenarbeiten, die uns bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele unterstützen.
Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz sind wir zudem dazu angehalten, unser Lieferkettenmanagement jährlich zu dokumentieren. Somit wird eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit geschaffen. Globale Standards und Leitlinien helfen zudem, die Komplexität zu mindern und übergreifende Rahmenparameter zu setzen. Daran arbeiten wichtige internationale Instanzen, wie GARM, AdNetZero oder IAB Europe.
LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Vretscha, wie arbeiten Sie mit anderen Interessengruppen in der Medienbranche in Österreich zusammen, um Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung zu fördern?
Andreas Vretscha: Das ist eine schwierige Frage. Österreich hat als relativ kleiner Markt eine überschaubare Menge an organisierten Interessenvertretungen. Dementsprechend fehlt hier ein wenig das Forum, auf dem man sich auf dieser Ebene austauschen kann. Dem gegenüber steht allerdings, dass es beim Thema Nachhaltigkeit in Wahrheit nur eine Interessengruppe gibt. Nämlich uns alle. Um unsere Zukunft sicherzustellen, sind wir alle gefragt. Wir sind als GroupM stolz darauf, im Rahmen des Green Marketing Awards einen Beitrag zu leisten, der eine sehr starke Außenwirkung hat. Auch auf diesem Weg ist es möglich, einerseits noch mehr Aufmerksamkeit zu schaffen, andererseits aber auch Möglichkeiten aufzuzeigen. Zudem könnte man den Green Marketing Award tatsächlich als "Interessenvertretung" sehen, wo debattiert wird und richtungsweisende Arbeit geleistet wird. Sehr erfreulich ist natürlich auch der Schulterschluss mit der Politik. Die Unterstützung von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler ist ein wichtiges Zeichen für die Initiative. 2024 war außerdem eine Premiere dahingehend, dass der Marketing Club Österreich eine strategische Partnerschaft mit dem Green Marketing Award eingegangen ist. Aber nach dem Green Marketing Award ist vor dem Green Marketing Award und wir schauen jetzt schon wieder nach vorn und freuen uns auf die Weiterentwicklung des Projekts im Jahr 2025.
Wie aber bereits erwähnt, kommt es auf uns alle an und daher nehmen wir unsere Verantwortung auch im tagtäglichen Umgang mit unseren Kund:innen ernst. Die Interessengruppen sind also sehr heterogen und teilweise granular, wenn man so will, aber jede erfolgreiche nachhaltige Umsetzung ist ein Fortschritt.
LEADERSNET: Gibt es unter dem Dach der GroupM bereits erfolgreiche Umsetzungen?
Vretscha: Ja, die gibt es tatsächlich. Als Mitinitiatoren des Green Marketing Award hatten wir schon oft die Gelegenheit, gleich doppelt stolz zu sein. Seit der Premiere des Awards im Jahr 2022 haben es Kund:innen unserer Agenturen EssenceMediacom, Mindshare und Wavemaker in jeder Ausgabe zumindest bis auf die Shortlist geschafft. Dieses hat es das Jö Bonus Sackerl von ADEG in der Kategorie "Be Innovative" ganz nach oben geschafft und der Coca Cola Lite Pack war auch am Stockerl. Wir bei GroupM sind davon überzeugt, dass es nicht nur ein moralisches, sondern auch ein wirtschaftliches Muss ist, auf Nachhaltigkeit zu setzen. Christian Juhl, Global CEO unseres Netzwerks geht hier sogar noch weiter als Nadja und hat gesagt, dass wir Budgets von Verlagen und Plattformen abzuziehen werden, die das Ziel der Dekarbonisierung nicht ernst nehmen. Wir als Gruppe werden uns auf innovative Partner stützen, die Lösungen anbieten, seien es internationale, die wie SeenThis global agieren, oder lokale Unternehmen, die über die notwendige Denkweise und das entsprechende Portfolio verfügen. Christian Juhls Kommentare unterstreichen natürlich die Bedeutung des Themas für unsere Partner. Auch auf einer anderen Ebene wird, noch hinter den Kulissen, gearbeitet. Freuen Sie sich auf Cannes, wo AdNextZero, die globale Partnergruppe der Branche, wichtige Neuigkeiten im Zusammenhang mit Industriestandards für die Dekarbonisierung präsentieren wird.
Wir können also mit Bestimmtheit davon ausgehen, dass Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung relativ kurzfristig zu den wichtigsten KPIs gehören. Der Sprung vom Trend zum Standard ist aber notwendig, denn so sehr wir uns über schöne Kampagnen und Umsetzungen und deren Prämierung freuen: Es muss uns klar sein, dass der eigentliche Erfolg nur der sein kann, unseren Planeten zu schützen.
www.groupm.com
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