Lieferkettengesetz: "Betriebe sollen dafür haften, wenn sie Menschenrechte oder Umweltstandards verletzen"

Es ist noch nicht beschlossen und doch irgendwie fix: Die EU fordert ein Lieferkettengesetz. Solchen Thematiken haftet naturgemäß eine gewisse Komplexität an. Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will erklärt im LEADERSNET-Interview alles, was man bisher darüber weiß.

Betriebe sollen zukünftig dafür haften, wenn sie Menschenrechte, Umweltstandards oder verantwortungsvolle Unternehmensführung verletzen oder dazu beitragen. Was bedeutet das aber genau für Unternehmer:innen? LEADERSNET hat einen gefragt, der es wissen muss: Handelsverband Geschäftsführer Rainer Will.

LEADERSNET: Wird das EU-Lieferkettengesetz kommen und wenn ja, wann?

Will: Seit 10. März 2021 liegt ein entsprechender Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen vor. Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission steht aber noch aus. Wann das europäische Lieferkettengesetz letztendlich in Kraft tritt, ist also noch nicht klar, vermutlich wird es im ersten Quartal 2022 soweit sein.

LEADERSNET: Was bedeutet das konkret für Unternehmen und wie sind die Anforderungen in der Praxis umzusetzen?

Will: Nach den Plänen der EU sollen alle Unternehmen ungeachtet ihrer Größe für alle Stufen der Lieferkette die Verantwortung übernehmen. Betriebe sollen dafür haften, wenn sie Menschenrechte, Umweltstandards oder verantwortungsvolle Unternehmensführung verletzen oder dazu beitragen. Anders als etwa beim deutschen Lieferkettengesetz würden Unternehmen bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht nicht nur Bußgelder zahlen, sondern auch zivil- oder strafrechtlich haften.

LEADERSNET: Wissen Sie aus Ihrem Alltag, wie Unternehmen Nachhaltigkeitsbemühungen aktuell messen – ihre eigenen und die ihrer Lieferanten?

Will: Nachhaltigkeit in allen Ausprägungen ist ein zentrales Thema für den österreichischen Handel. Das umfasst natürlich auch die verantwortungsvolle Gestaltung der eigenen Lieferketten. Die heimischen Handelsbetriebe agieren hier im internationalen Vergleich vorbildlich und sind in vielen Bereichen der Supply-Chain bereits in Vorleistung gegangen, etwa bei der möglichst regionalen Beschaffung oder dem Einsatz energieeffizienter, CO2-neutraler Transportsysteme.

LEADERSNET: Sie haben gemeinsam mit dem Technologieunternehmen CRIF eine ESG-Transparenz-Offensive gestartet. Worum geht es da genau? Was ist das Ziel?

Will: Aktuell gibt es auf Unternehmensseite viele Einzellösungen für die manuelle Evaluierung von ESG-Kriterien. Die Prüfung ist in der Regel wenig standardisiert und auch kaum durch digitale Werkzeuge unterstützt, vielfach wird mit langen Excel-Tabellen gearbeitet. Die Betriebe müssen ihre Nachhaltigkeitsbemühungen gegenüber ihren Kunden und Partnern immer wieder neu beweisen, was einen massiven administrativen Mehraufwand bedeutet. Daher wollen wir unseren Mitgliedsunternehmen gemeinsam mit unserem langjährigen Partner CRIF eine kostenlose Plattform zur Verfügung stellen, die es erstmals ermöglicht, Unternehmen nach ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) zu bewerten, zu zertifizieren und diese Information auch für Dritte zugänglich zu machen.

LEADERSNET: Es geht hier stark um das Kollektive Handeln? Warum ist das wichtig?

Will: Viele Konsumgüter für den europäischen Markt werden zumindest zum Teil in Ländern gefertigt, in denen soziale und ökologische Mindeststandards nicht oder nur unzureichend gewährleistet sind. Die Folgen sind Umweltschäden sowie Zwangs- und Kinderarbeit in vielen produzierenden Staaten. So arbeiten laut Unicef weltweit 79 Millionen Kinder unter gefährlichen oder ausbeuterischen Bedingungen – etwa auf Baumwollfeldern in Indien. Vor zehn Jahren hat der UN-Menschenrechtsrat Leitprinzipien verabschiedet, wonach sich Staaten und Unternehmen um die Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette der von ihnen importierten Güter bemühen sollen. Immer öfter wird seither in einzelnen Staaten und auf EU-Ebene über entsprechende Lieferkettengesetze debattiert, um das kollektive Handeln im Sinne der ESG-Kriterien transparent und nachvollziehbar zu machen.

LEADERSNET: Was können (Handels)Unternehmen also konkret tun, um bestmöglich auf das kommende Lieferkettengesetz vorbereitet zu sein?

Will: Wir raten unseren Handelsunternehmen dazu, bereits jetzt eine erste Analyse der eigenen Geschäfte auf potenziell nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt durchzuführen. (ca)

www.crif.at

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