Die Corona-Pandemie führte in Österreich dazu, dass telemedizinische Lösungen zunehmen und digitale Entwicklungen im Gesundheitsbereich stark vorangetrieben werden. Welche Chancen und Risiken sich dabei für Privatanleger ergeben, erklärt Bolatbek Maldybayev, Börsen-Experte bei Freedom Finance.
LEADERSNET: Laut dem Philips Future Health Index ist E-Health heute die wichtigste Priorität für Investitionen und die Grundlage für die Digitalisierung dieses Sektors. Daher erwarten die Investoren starke Veränderungen in den nächsten drei Jahren. Warum ist das so?
Maldybayev: Der globale E-Health-Markt wird bis 2027 voraussichtlich 559,52 Mrd. Dollar erreichen. Online-Audio- und Videosprechstunden sind heutzutage sehr beliebt aufgrund des einfachen Zugangs, der kurzen Wartezeiten in der Ambulanz und der Kosteneffizienz. Dieser Markt hatte im Jahr 2019 einen Wert von 61,40 Mrd. Dollar und wird voraussichtlich eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) von 25,2 Prozent während des Prognosezeitraums verzeichnen. Es wird erwartet, dass der Markt in Europa aufgrund der passenden Infrastruktur, der aktiven Nutzung von Geräten für Remote Monitoring und der guten Regulierungsmöglichkeiten stetig wachsen wird. Im asiatisch-pazifischen Raum wird der Markt aufgrund eines hohen Anteils der Bevölkerung, die auf dem Lande lebt, und des Markteintritts verschiedener renommierter Dienstleister in China ein signifikantes Wachstum verzeichnen. In den unterentwickelten Ländern der Welt leben die meisten Menschen auf dem Lande. Demzufolge gibt es an solchen Orten keinen Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung. Um dieses Hindernis zu überwinden, konzentrieren sich staatliche Behörden ständig auf die Verbesserung der medizinischen Dienstleistungen durch E-Health-Plattformen. Darüber hinaus treiben das Bevölkerungswachstum und die dramatische Zunahme chronischer Krankheiten die Gesundheitskosten in die Höhe. Diese Faktoren werden voraussichtlich das Wachstum des E-Health-Marktes in den kommenden Jahren vorantreiben.
LEADERSNET: Was ist mit E-Health eigentlich alles gemeint?
Maldybayev: E-Health ermöglicht es Patienten, sich bequem von zu Hause aus über Symptome, Beurteilung, Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten zu informieren. Testergebnisse können gespeichert und zwischen einem Techniker, Arzt, Patienten und überweisendem Anbieter ausgetauscht werden. Leistungserbringer können medizinische Dienstleistungen über das Telefon oder über Videokonferenzen aus der Ferne erbringen. Und wichtig ist, dass die Anbieter die Entscheidungsfindung sowie die Kommunikation mit den Patienten mithilfe bewährter Technologie automatisieren können.
LEADERSNET: Sind die E-Health-Aktien wegen des Coronavirus gestiegen?
Maldybayev: Im Jahr 2020 stellte der Ausbruch der Covid-19-Pandemie eine enorme Belastung für die globale Gesundheitsbranche dar. Gleichzeitig schuf sie viele Möglichkeiten für digitale Gesundheitsplattformen. Um eine Übertragung zu verhindern, begannen die Menschen, den Besuch von Krankenhäusern und Kliniken zu vermeiden. Stattdessen nutzen sie Online-Beratungen, um Zeit und Kosten zu reduzieren. Darüber hinaus stieg die Zahl der Anfragen im Zusammenhang mit Covid-19 enorm an, was wiederum den E-Health-Markt in einer Pandemie stützte und auch zu einem deutlichen Anstieg der E-Health-Aktienkurse beitrug.
LEADERSNET: Wie können die vielversprechendsten Aktien identifiziert werden?
Maldybayev: Bei der Suche und dem Kauf von Aktien sollten Sie auf die folgenden Eckpunkte achten: Wachstumsperspektiven, Finanzstabilität und Auswertung. Bevor Sie in eine Aktie investieren, sollten Sie die Wachstumsaussichten des Unternehmens prüfen, da dies die wichtigste Kennzahl ist, die das Wachstum von Kursen in der Zukunft beeinflussen kann. Ermitteln Sie, wie schnell das Einkommen in den letzten Jahren gewachsen ist. Die Zukunft spiegelt nicht immer die Vergangenheit wider, aber wenn ein Unternehmen noch kein signifikantes Umsatzwachstum erzielen konnte, wird es das in Zukunft wahrscheinlich auch nicht. Lesen Sie die Präsentationen für die Investoren auf den Websites der Unternehmen, um herauszufinden, wie ihre Wachstumsstrategie aussieht und wie groß sie ihren potenziellen Markt einschätzen. Schauen Sie sich Wettbewerber an, um zu sehen, ob deren Strategien genauso gut oder sogar besser zu sein scheinen.
LEADERSNET: Wie kann man die Finanzstabilität beurteilen?
Maldybayev: Sie sollten die Jahresabschlüsse des Unternehmens prüfen, da diese Ihnen helfen können, die Finanzstabilität des betreffenden Unternehmens zu beurteilen. Idealerweise sollte das Unternehmen bereits profitabel sein. Wenn nicht, stellen Sie sicher, dass Sie wissen, wie es plant, die Rentabilität zu erreichen und wie schnell es das tun will. Der Finanzmittelbestand des Unternehmens, der Zahlungsmittel, Zahlungsmitteläquivalente und kurzfristige Geldanlagen umfasst, ist aus der Jahres- und Quartalsbilanz ersichtlich. Betrachten Sie den Finanzmittelbestand genauso, wie Sie den Geldbetrag auf Ihren Giro-, Spar- und Rentenkonten betrachten. Je mehr, desto besser. Ein weiteres wichtiges Merkmal für die Finanzstabilität ist der freie Cashflow (FCF), den das Unternehmen erwirtschaftet. Der freie Cashflow ist der nach betrieblichen Aufwendungen und Investitionen verbleibende Geldbestand. Wie bei dem Finanzmittelbestand gilt: Je höher der freie Cashflow eines Unternehmens ist, desto stärker ist seine finanzielle Position.
LEADERSNET: Welche Bewertungsindikatoren sollte man heranziehen?
Maldybayev: Es ist wichtig, den Wert der Aktie zu ermitteln, bevor Sie sie kaufen, damit Sie sicherstellen können, dass Sie einen fairen Preis zahlen. Hier gibt es eine ganze Reihe von Bewertungsindikatoren. Das beliebteste ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das den Preis einer Aktie im Verhältnis zu ihrem Gewinn pro Aktie misst. Einige Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind rückwirkend und spiegeln die Gewinne der vorherigen Periode wider (normalerweise die letzten 12 Monate). Forward-Kurs-Gewinn-Verhältnisse, die Schätzungen der zukünftigen Gewinne im Laufe eines Jahres verwenden, können bei der Bewertung schnell wachsender Aktien nützlicher sein. Der Vergleich von KGVs mit anderen Aktien derselben Branche kann Ihnen helfen festzustellen, ob eine Aktie relativ günstig oder relativ teuer ist. Aber nur weil eine Aktie ein höheres KGV als ihre Konkurrenten hat, bedeutet das nicht, dass sie ein schlechter Kauf ist. Dies kann darauf hindeuten, dass die Wachstumsaussichten des Unternehmens viel besser sind als die seiner Konkurrenten. Achten Sie auf das Kurs-Gewinn-Wachstums-Verhältnis (PEG), das eine prognostizierte Gewinnwachstumsrate (normalerweise über fünf Jahre) enthält. Aktien mit einem niedrigeren PEG-Verhältnis (insbesondere, wenn das Verhältnis unter 1 liegt) sind attraktiver als Aktien mit einem höheren PEG-Verhältnis.
LEADERSNET: Welche Aktien von medizinischen Unternehmen sind Ihrer Meinung nach unterbewertet?
Maldybayev: Da gibt es einige: Teladoc Health, Inc. zum Beispiel: TDOC bietet medizinische Online-Dienstleistungen an, verwendet dafür mobile Geräte, Internet, Video- und Telefonanlagen. Bei einem durchschnittlichen Kursziel von 227,1 Dollar könnte die Aktie eine Rendite von 45,6 Prozent erzielen.
Nano-X Imaging Ltd. (NNOX) entwickelt, produziert und vertreibt weltweit digitale Röntgenquellentechnologie für die medizinische Visualisierungsindustrie. Mit einem durchschnittlichen Kursziel der Investmentbanken von 45,5 Dollar liegt das Kursziel für die Aktie des Unternehmens bei 45,1 Prozent.
Atea Pharmaceuticals, Inc. (AVIR) ist ein biopharmazeutisches Unternehmen in der klinischen Phase, das sich auf die Entdeckung, Entwicklung und Kommerzialisierung von antiviralen Medikamenten für Patienten konzentriert, die an Virusinfektionen leiden. Das durchschnittliche Kursziel der Investmentbanken für die Aktie dieses Unternehmens liegt bei 35 $, mit einem Aufwärtspotenzial von 50,3 Prozent.
American Well Corp. (AMWL) bietet medizinische Online-Dienstleistungen an. Das Unternehmen bietet eine einheitliche Plattform zur Unterstützung der Telemedizin. Mit einem durchschnittlichen Kursziel von 18,6 Dollar hat die Aktie ein Aufwärtspotenzial von 55,7 Prozent.
Interessant ist auch 1Life Healthcare, Inc. ONEM betreibt unter der Marke One Medical eine mitgliederbasierte Grundversorgungsplattform mit einem durchschnittlichen Kursziel der Investmentbank von 47,8 Dollar und einem Wachstumspotenzial von 56,5 Prozent.
LEADERSNET: Was sind die Top 5 im Gesundheitswesen im Moment?
Maldybayev: Auf jeden Fall Regeneron Pharmaceuticals, Inc. Das Unternehmen entdeckt, erfindet, entwickelt, produziert und vermarktet weltweit Medikamente zur Behandlung verschiedener Krankheiten. Das durchschnittliche Kursziel für die Aktie liegt bei 638,4 Dollar, mit einem Aufwärtspotenzial von 11,2 Prozent.
Die UnitedHealth Group Inc. (UNH) ist ein Krankenversicherer, der Krankenversicherungspläne und -dienstleistungen für private und staatliche Arbeitgeber und Einzelpersonen sowie Medicare-Pläne und verschreibungspflichtige Medikamente anbietet, mit Kurszielen von Investmentbanken von 480 Dollar könnte die Rendite der Aktie 15,3 Prozent erreichen.
Thermo Fisher Scientific Inc. (TMO) bietet weltweit Life-Science-Lösungen, analytische Instrumente, Spezialdiagnostika sowie Laborprodukte und -dienstleistungen an. Mit Rücksicht auf das Kursziel von BTIG Research bei 590 Dollar liegt das Wachstumspotenzial bei 14,6 Prozent.
Medtronic Plc (MDT) ist ein Medizintechnikunternehmen, das gerätebasierte medizinische Produkte und Dienstleistungen entwickelt, herstellt, vertreibt und verkauft. Das durchschnittliche Kursziel der Investmentbanken für die Aktie dieses Unternehmens liegt bei 140,3 Dollar, was einem Aufwärtspotenzial von etwa 10 Prozent entspricht.
Auch die CVS Health Corp. (CVS) ist top. Es handelt sich um einen integrierten Betreiber von Einzelhandelsapotheken und Internet-Apotheken sowie Dienstleiter für die Verwaltung von Apothekenrabatten, mit einem durchschnittlichen Kursziel von 94,9 Dollar hat die Aktie ein Aufwärtspotenzial von 16 Prozent.
LEADERSNET: Mit welchen Risiken sollte man bei einer Investition in Aktien aus dem Gesundheitswesen rechnen?
Maldybayev: Die Investition in jede Art von Aktien birgt Risiken, einschließlich der Wahrscheinlichkeit, dass Konkurrenten Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die auf dem Markt erfolgreicher sind. Aktien der Unternehmen im Sektor Gesundheitswesen sind mit diesen Risiken sowie mit anderen, die für diesen Sektor typisch sind, konfrontiert.
Das Gesundheitswesen ist stark reguliert. Hersteller von Arzneimitteln und medizinischen Geräten erhalten möglicherweise nicht die erforderlichen behördlichen Genehmigungen, um neue Produkte auf den Markt zu bringen, und Änderungen der Vorschriften könnten die Wachstumsaussichten von Aktien aus dem Gesundheitswesen radikal verändern.
Viele medizinische Unternehmen stoßen auch auf ein ernsthaftes Prozessrisiko. So können beispielsweise biopharmazeutische Unternehmen, Hersteller medizinischer Geräte und Gesundheitsdienstleister haftbar gemacht werden, wenn Patienten glauben, dass die Produkte und Dienstleistungen der Unternehmen ihnen geschadet haben.
Darüber hinaus müssen die Hersteller von Medikamenten und medizinischen Geräten die Kostenträger, einschließlich Krankenkassen und Behörden, davon überzeugen, für ihre Produkte zu zahlen. Wenn Unternehmen keine Erstattungsgenehmigungen erhalten, könnten ihre Wachstumsaussichten beeinträchtigt werden.
LEADERSNET: Was ist das "nächste große Ding"?
Maldybayev: Es gibt mehrere aktuelle Trends im Gesundheitswesen, die die Branche neu definieren und die weiterhin an Dynamik gewinnen und die Branche im 21. Jahrhundert vorantreiben.
Tragbare Geräte und IoT-Geräte haben einen großen Einfluss auf die Gesundheit der Anwender. Durch die Kombination von Hardware, der prädiktiven Analyse und mobilen Apps verändern die tragbaren Technologien die Definition von Patientendiagnose, Krankheitsmanagement und präventiver Pflege.
Blockchain ist nicht nur ein Modewort für Kryptowährung, sondern revolutioniert die Gesundheitsbranche, indem es ermöglicht, wichtige Patientendaten in Echtzeit zu teilen und zu analysieren, um die Qualität der Pflege und die Transparenz zu verbessern.
Telemedizinische Lösungen werden allmählich zu einer beliebten Alternative zum Arztbesuch bei unterversicherten Patienten. Allerdings wird die Telemedizin ihr volles Potenzial erst dann erreichen, wenn neue Gesetze verabschiedet werden, die es Ärzten erlauben, für virtuelle Beratung eine gleichwertige Vergütung zu erhalten.
LEADERSNET: Welche Rolle spielen dabei Big Data und Künstliche Intelligenz?
Maldybayev: Big Data hat die Art und Weise verändert, wie große Informationsmengen in jeder Branche analysiert werden, hat aber eine besondere Bedeutung für medizinische und Gesundheitsdaten. Medizinische Analytik kann Patienten helfen, die Behandlungskosten deutlich zu senken, vermeidbare Krankheiten zu vermeiden und ihre Lebensqualität zu verbessern.
Die Macht der künstlichen Intelligenz. KI definiert die Gesundheitsbranche neu, verbessert die Qualität der Pflege, die Ergebnisse für die Patienten und reduziert die Kosten für Krankenhäuser, Versicherer und Kostenträger gleichermaßen.
Auch Cloud-Technologien spielen eine Rolle: Cloud-basierte Lösungen ermöglichen es Organisationen im Gesundheitswesen, stärker integriert und vernetzt zu sein und Informationen sicher und zuverlässig digital zu speichern.
LEADERSNET: Was sollten Anleger im Auge behalten?
Maldybayev: Die Gesundheitsbranche nimmt langsam aber sicher einige der aufregendsten Trends im Gesundheitswesen auf, und diejenigen Unternehmen, die es versäumen, moderne Technologie zu nutzen, könnten zurückbleiben. In einer Branche mit so hohen Kosten und klarem Potenzial für Effizienzsteigerungen ist es für Unternehmen im Gesundheitswesen unerlässlich, zumindest einige der neuen Technologien, die das Gesundheitswesen verändern, zu kennen, zu planen und effektiv zu implementieren.
Auch wenn es vielleicht nicht realistisch ist, alle Faktoren, die zur digitalen Transformation im Gesundheitswesen beitragen, zu verwirklichen, ist es wahrscheinlich, dass selbst das Überdenken eines einzelnen Elements einen signifikanten Einfluss auf die Steigerung der Einnahmen und die Freisetzung von Ressourcen für andere Tätigkeiten im Gesundheitswesen haben kann. (jw)
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