Wenn Maßnahmen gegen Hass im Netz selbst für Anfeindungen sorgen: Nachdem Martina Salomon, Chefredakteurin des Tagesmediums Kurier, einen Leserbrief erhielt, dessen Inhalt auch von objektiven Standpunkten aus nur mit Adjektiven wie "bedrohlich", "obszön" oder "widerwärtig" beschrieben werden kann, setzte Salomon sich zur Wehr, indem sie die Mail ihrem Wortlaut getreu auf ihrem Facebookprofil postete und auch die E-Mail-Adresse des Absenders veröffentlichte, ohne diese unkenntlich zu machen.
Mit dieser Handlung habe sie demonstrieren wollen, mit "welchem triefenden Hass und welcher Widerwärtigkeit man als Frau, die in der Öffentlichkeit ihre Meinung vertritt, konfrontiert wird", wie Christina Böck von der Wiener Zeitung Salomons Motive in einem subjektiven Kommentar zu der vor allem in der Medienwelt heftig diskutieren Causa beschreibt.
Facebook hat das Publikmachen des sexistischen Mails an mich übrigens mit Löschung „bestraft“, weil es gegen die...
Gepostet von Martina Salomon am Sonntag, 28. Februar 2021
Verstoß gegen Hass im Netz: "Ja. Eh."
Dass die Worte, die gegen Salomon, das Opfer dieser Hassmail, gerichtet waren, unangebracht waren, zeigte sich schließlich auch in der schnellen Reaktion seitens des Social Media Riesen, der sich hier an die erst vor kurzem für Kommunikationsplattformen neu eingeführte Policy gegen Hass im Netz gegen derlei Grauslichkeiten halten will (dieses Gesetz sieht vor, dass Plattformen rechtswidrige Beiträge 24 Stunden nach einer Meldung entfernen müssen – Anm. d. Red.).
Doch in diesem Falle wurde Martina Salomon verwarnt und das Posting gelöscht. Salomon selbst kommentierte diesen Schritt wie folgt: "Facebook hat das Publikmachen des sexistischen Mails an mich übrigens mit Löschung 'bestraft', weil es gegen die Gemeinschaftsregeln verstößt", mit dem Nachsatz: "Ja, eh."
Fall von "Opfer-Täter-Umkehr"?
Der Vorfall sorgte in der Folge für hocherhitzte Gemüter, es wurde auf manchen Seiten von einem missgleiteten Vorgehen seitens Facebook gesprochen, oder gar von einer "Opfer-Täter-Umkehr", da Salomon die unschönen Worte, die an sie gerichtet worden waren, lediglich publik gemacht hatte, um auf die Problematik hinzuweisen und sich zu schützen, aber selbst dafür "bestraft" wurde.
Salomon bekommt indessen viel Rückenwind aus ihrer eigenen Branche: So nutzte beispielsweise der Chefredakteur des Falter, Florian Klenk, seine eigene Facebook-Seite um am Vorgehen des sozialen Netzwerks Kritik üben: Klenk zufolge "geht das gar nicht", dass Facebook es Salomon verweigere, das Posting zu dokumentieren, somit Öffentlichkeit herzustellen und sich auf diese Weise zu schützen, wie auch der Standard berichtet. Aufmerksamen Augen blieb auch Klenks Posting auf seinem Twitter-Account nicht verborgen, in dem er Vorlesungen aus dem aktuellen Vorlesungsverzeichnis der Uni Wien, in denen es um die "Zwiespältige Rolle von Medien in Strafverfahren" geht, bedeutungsschwanger als "spannend" bezeichnet.
Facebook beruft sich auf Datenschutz
Indessen äußerte Facebook sich über seinen offiziellen Sprecher für Österreich und die Schweiz, Johannes Prüller, dazu. Prüller schreibt auf seinem Twitter-Account, dass der Beitrag gelöscht worden sei, da Salomon die Identität des Absenders offengelegt habe. Das sei ein Verstoß gegen Facebooks Nutzungsbedingungen. Daher empfehle man, solche Daten immer zu entfernen oder zu schwärzen – auch bei Screenshots.
Bereits vergangene Woche war Facebook durch die vemeintlich fälschliche Löschung eines Beitrags der FPÖ in die Kritik geraten: Die Freiheitliche Partei verortete hier einen "handfesten Skandal" und wetterte gegen das bereits erwähnte, seit Anfang des Jahres geltende Kommunikationsplattformengesetz gegen Hass im Netz. Man befürchtet, dass es durch dieses Gesetz zu einem "Overblocking" kommen könnte, sprich dass eigentlich legale Beiträge aus Angst vor der Einleitung rechtlicher Schritte gesperrt werden könnten.
Hoffnung auf mehr Differenzierung
Einen Hoffnungsschimmer für alle, die die Meinung der Feuilleton-Leiterin der Wiener Zeitung, Christina Böck, darin teilen, dass der Fall um die Hassmail an Martina Salomon als "weiteres Beispiel dafür" gelte, "dass Differenzierung in Sozialen Medien einfach grundsätzlich nicht angelegt ist", findet vielleicht Hoffnung in den Zukunftsplänen der Facebook-Tochter Instagram: Die Picture-Sharing-Plattform, die oft vor allem wegen ihrer oft extrem bearbeiteten Inhalte und dadurch negativen Wirkung auf das Körperbewusstsein ihrer Nutzer kritisiert wird, will künftig nämlich eine Reihe hoch kontroversieller Themen angehen.
Eines davon ist die mangelnde Differenzierung, die vor allem in der Sperrung von Postings, die Nacktheit zeigen, resultierte. Da wurden Bilder mit weiblichen Brüsten bzw. Brustwarzen generell gesperrt, und das unabhängig davon, ob es sich um erotische oder aufklärende Bilder (letztere vor allem in Zusammenhang mit dem Kampf gegen Brustkrebs) gehandelt hatte. Dies soll sich in Zukunft nun ändern – und im Angesicht der nicht enden wollenden Flut an Hasskommentaren und Nachrichten im Netz hoffen viele, dass auch hier künftig differenzierter gehandelt wird. (rb)
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