Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Alpbach oder nicht Alpbach?

| Redaktion 
| 01.09.2024

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Vorab für meine geneigten Leser:innen, die es nicht wissen: Alpbach ist mehr als ein wunderschönes Dorf in Tirol – es darf sich sogar "schönstes Dorf Österreichs" nennen und ist jedenfalls immer einen Besuch wert. Mit "Alpbach oder nicht Alpbach" ziele ich hier auf die Frage ab, die sich so manche Unternehmer:innen, Medienvertreter:innen, Politiker:innen und viele mehr jedes Jahr kurz vor dem Ende der Sommerferien stellen: "Werde ich dieses Jahr beim Europäischen Forum Alpbach (EFA) dabei sein oder nicht?"

"Starkes Europa zum Wohle aller"

Vergangene Woche ist das heurige EFA zu Ende gegangen. Nach 15 Jahren Teilnahme und zunehmendem Stirnrunzeln über einige Entwicklungen, habe ich mich entschlossen, dieses Jahr nicht teilzunehmen. Und befinde mich damit in bester Gesellschaft, so hat u. a. auch Papst Franziskus die Reise nach Tirol heuer nicht angetreten. Ich möchte an dieser Stelle jedoch anmerken, dass der Papst eine digitale Liveschaltung und keine tatsächliche Reise abgesagt hat.

Aber wie immer von Anfang an. 1945 als Hochschulwochen Alpbach gegründet und 1949 in Europäisches Forum Alpbach umbenannt, will der Kongress – kurz gesagt – Menschen aus Europa und der ganzen Welt zusammenbringen, Menschen aus Wissenschaft, Politik, Kunst & Kultur, aber auch der Zivilgesellschaft etc., die gemeinsam dazu beitragen wollen, ein starkes Europa zum Wohle aller zu schaffen.

Dieser Auftrag oder diese Mission ist nicht nur löblich, sondern grundsätzlich mehr als unterstützenswert. Ich glaube, in Alpbach ist viel Positives entstanden und auch vieles gut gemacht worden, vor allem die Zusammenführung der Jugend aus zahlreichen Ländern rund um den Globus.

Ich selbst habe vor circa 15 Jahren, damals noch in München und Berlin arbeitend, das EFA erstmals besucht. Die Offenheit, die Inhalte und klaren Strukturen haben mich begeistert – es gab politische Gespräche, Wirtschaftsgespräche etc., aber am meisten gefiel mir die Ungezwungenheit und Lockerheit, in der man sich in diesem kleinen Dorf täglich mehrfach über den Weg lief. Da wurde das eine oder andere Achterl getrunken, während viel philosophiert und die Netzwerke erweitert und verdichtet wurden. Ich war wirklich überwältigt und habe – zurück in Berlin – allen erzählt, was da in Österreich, im schönen Alpbach, geschaffen worden war. Ein Format, dem ich es sogar zutraute, sich inhaltlich und verbindungsmäßig mit dem Weltwirtschaftsforum Davos zu messen.

Keine klare Aufteilung der Themen

Was aber ist passiert, dass ich dies nun nicht mehr so empfinde? Natürlich gibt es nach wie vor positive Aspekte, wie etwa die Seminarwoche mit über 500 jungen Teilnehmenden, eine Veranstaltung, die mit ihrer EU- bzw. weltverbindenden Idee weiterhin ganz im Sinne der Gründer steht. Bei der Betrachtung der weiteren Veranstaltungen bzw. Wochen, beginnt sich jedoch Verwirrung breitzumachen. Es gibt keine klare Aufteilung der Themen mehr – früher gab es etwa die Wirtschafts-, Gesundheits- oder politischen Gespräche, und damit stand eindeutig fest, was wann stattfindet. Wenn ich heute versuche über die Website zu erfahren, was überhaupt los ist, bin ich Stunden beschäftigt. Es gibt wirklich hervorragende Panels und sonstige Veranstaltungen, wenn man sie im Programm gefunden hat, es fehlt aber irgendwie der rote Faden. Es gibt zwei hervorragende Einladungen der großen Sponsoren, für eine interessante Woche muss man aber – aufgrund einer für mich nicht ganz klaren Unterteilung in Europe in the World Days und Austria in Europe Days – mittlerweile zwei Tickets zu je 1000 Euro kaufen. Waren früher wohl fast alle Sozialpartner, die Stadt Wien etc. dort offiziell beteiligt, so ist davon heute – zumindest offiziell – nichts mehr zu sehen.

"Willkommenskultur" fehlt 

Weiters fehlt mir eine "Willkommenskultur". Angefangen damit, dass man nicht frei entscheiden darf, in welchem Hotel man sich ein Zimmer bucht, sondern dieses einem zugeteilt wird. Ohne Eigeninitiative und teilweise Umgehung der Struktur wäre man da in den vergangenen Jahren schon mal im 20 Minuten entfernten Kramsach gelandet. Die ständigen Kontrollen der Teilnahmepässe, selbst bei seinen eigenen Veranstaltungen oder bei jenen, wo man als Gast explizit geladen ist, erinnern eher an Bürokratie, denn an Weltoffenheit.

Kleine Side Events zu veranstalten ist fast unmöglich, da das EFA seine uneingeschränkte Oberhoheit über sämtliche Veranstaltungen ausübt und bestimmt, was in Alpbach oder in den Seitentälern zu passieren hat oder eben nicht. Im Grunde scheint auch das freie Netzwerken nicht in dem Maße erwünscht?

Ich will den Veranstalter:innen damit keinesfalls in die Parade fahren – wenn dies die gewünschte Richtung des EFA ist, dann soll es eben so sein. Es entwickelt sich aber damit immer weiter zu einer Rumpfveranstaltung, die dem Anspruch der Vision von Alpbach, glaube ich, nicht mehr gerecht wird. Von meiner Seite bedürfte es jedenfalls wieder einer klaren Zuordnung nach Themen-Wochen bzw. Tagen und Workshops. Ebenso müsste die Willkommenskultur und das untereinander Netzwerken wieder mehr als positiver Bestandteil des EFA betrachtet werden.

Präsenz des EFA nimmt gefühlt ab

Ich bin sicher nicht der Typ "früher war alles besser", im Gegenteil, ich bin ein großer Fan von Weiterentwicklung und auch davon, dass man mal was Neues ausprobiert. Das kann durchaus spannende Formate hervorbringen. Nicht umsonst etablieren sich immer mehr gute Veranstaltungen wie der Salzburg Summit, der Kitz Summit oder das Europa-Forum Wachau im Stift Göttweig. Ihr Aufkommen und Erstarken ist möglicherweise auch eine Auswirkung der Schwächen des EFA? In jedem Fall ist es ein schönes Zeichen der Pluralität.

Vielleicht ist es eine subjektive Wahrnehmung, weil ich heuer nicht mittendrin bin, aber auch die mediale Präsenz des EFA nimmt gefühlt ab. Das erfüllt aber auch nicht Sinn und Zweck der Veranstaltung, dass ein kleiner Kreis die Probleme von Europa und der Welt unter sich wälzt und möglicherweise revolutionäre Ideen nicht den Weg nach draußen finden. Die Zukunft des EFA bleibt jedenfalls spannend, ebenso wie die Antwort auf die Frage, ob ich nicht mal im Winter zum Schifahren hinfahren sollte, ins schönste Dorf Österreichs. Aber sicher werden wir uns alle nächstes Frühjahr wieder fragen: "Fahren wir heuer nach Alpbach?" Ich kann es – so meine Sommererfahrung – zumindest jedem empfehlen, und egal ob EFA oder nicht, Alpbach ist eine Reise wert.

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