Dabei sein ist nicht immer alles...

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Kennen Sie Gary Lineker? Der ehemalige englische Fußball-Nationalspieler und Rekordtorschütze sagte nach der Niederlage der Engländer gegen Deutschland im Halbfinale der Fußball-WM 1990 in Turin: "Fußball ist ein einfaches Spiel – 22 Männer jagen 90 Minuten einem Ball nach und am Ende gewinnt immer Deutschland." Bis vor kurzem hatte er damit mehrfach Recht behalten und selbst wenn Fußball nicht meine allergrößte Passion ist – als Deutscher ist man natürlich immer stolz, wenn die Nationalelf erfolgreich ist. Anlässlich des WM-Aus der deutschen Mannschaft ergänzte Lineker nun: "... sofern sie es durch die Gruppenphase schaffen." Autsch.

Das ist bzw. war aber bei weitem nicht das einzige „Autsch" an diesem Sport-Groß – man muss fast sagen – Mega-Ereignis. Denn noch nie wurde deutlicher, wie sehr der Sport im Allgemeinen und brandaktuell Fußball im Speziellen dem Einfluss der Politik ausgesetzt ist. Dabei sein ist alles? Schon lang nicht mehr und vor allem nicht in Katar! Ganz abgesehen von jenen Stimmen, die schon ganz früh die Vergabe der WM nach Katar scharf kritisiert haben, über das Bekanntwerden prekärster Arbeitsverhältnisse samt unbezifferter Todesfälle auf den Baustellen der Stadien, bis hin zu den doch recht zweifelhaften Aussagen zur Nachhaltigkeit dieses Events. Vielfach wurde im Vorfeld von Verbänden und Einzelpersonen prominent angedroht, "dieses Spektakel" zu boykottieren – viel übrig geblieben ist davon jedoch nicht.

Zum Wunschgedanken verkommen

Weil, so wurde dann argumentiert, was können denn die Sportler dafür, sie haben so lange so hart gearbeitet und darauf hintrainiert, da kann man ihnen den Einsatz für ihr Land doch nicht verwehren. Also wurden halbherzig Proteste zur Schau getragen – oder auch nicht, wie mit dem sehr raschen Verschwinden der Regenbogen-Armbinde deutlich wurde, wenn auch noch wortlos kommentiert durch das Mund-Zuhalten am Mannschaftsfoto vor dem Match gegen Japan. Natürlich ist noch die geringste Form von Protest besser als gar keiner, das möchte ich schon festhalten. Aber die Androhung von gelben Karten erscheint im Licht dessen, was etwa die iranischen Nationalteamspieler und deren Familien zu befürchten hatten bzw. haben, tatsächlich mehr als harmlos. Als Zeichen von Gleichberechtigung und Diversität eine Top-Schiedsrichterin ein Spiel leiten zu lassen, begleitet von teilweise hässlichen Kommentaren, ist vielleicht gut gemeint, aber unter den gegebenen Umständen ebenfalls eine recht mickrige Maßnahme, um es einmal höflich auszudrücken.

Der olympische Gedanke ist also definitiv zum Wunschgedanken verkommen, und dafür muss man ganz besonders Institutionen wie die FIFA verantwortlich machen. Denn selbst wenn man Korruptionsverdachtsmomente und -vorwürfe außen vor lässt, ist es schon bedenklich genug, wie sie in einem fast diktatorischen System, steuerfrei und rein marktwirtschaftlich für ihre mehr als prosperierende Entwicklung Sorge tragen. Wer zahlt, schafft an, und manchmal eben sogar mehr als das.

Der bittere Beigeschmack wird länger bleiben

Die Fußball-WM in Katar führt uns sehr schmerzhaft vor Augen, wie wenig die Stimme des Volkes in manchen Ländern zählt, sodass große Sportevents als Plattform zweckentfremdet werden (müssen) und nicht mehr ausschließlich das sein dürfen, was sie sein sollten: ein Fest der Freude, der Freundschaft und der Völkerverbindung. Aus Kommunikationssicht ein durchaus guter und verständlicher Schachzug, denn wo sonst kann man auf so viel Aufmerksamkeit für sein(e) Anliegen hoffen? Trotzdem: der bittere Beigeschmack wird so schnell nicht wieder weggehen und den Wermutstropfen müssen weder die Politiker:innen noch die Funktionär:innen schlucken, sondern die, die es am wenigsten verdient haben und das sind die Sportler:innen und die Fans. Sie, geneigte Leser:innen, kennen mich zumeist als Realisten, aber auch als bekennenden Optimisten. Deshalb und weil Weihnachten nicht mehr weit ist, wünsche ich mir jetzt einfach, dass Sport künftig wieder die schönste Nebensache der Welt und weniger Politik sein darf – damit dabei sein wieder alles sein kann.

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