Die Konsument:innen von heute sind nicht mehr die, die sie vor COVID-19 noch waren: 83 Prozent aller Menschen in der DACH-Region (Deutschland, Österreich und Schweiz) verändern gerade ihr Konsumverhalten. Gleichzeitig fällt die Marken-Loyalität mit etwa 40 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 30 Jahren. Mit Konzepten, die vor Corona erfolgreich waren, wird man den veränderten Marktstrukturen nicht mehr gerecht.
Wie Marketingentscheider:innen auf die veränderte Situation reagieren müssen, präsentieren die Serviceplan Group und die GfK in Kooperation mit dem Markenverband in ihrer 28. Markenroadshow unter dem Titel "Neue Markenführung nach Corona."
Existenzbedrohende Reaktion
In einer großen aktuellen Befragung von CMOs (Chief Marketing Officer) in Deutschland, Österreich und in der Schweiz wurde festgestellt: Praktisch alle CMOs erkennen zwar die Herausforderung, setzen zum Teil einzelne Maßnahmen um, aber nur 30 Prozent der heimischen Führungskräfte stimmen zu, ihre Markenführung grundlegend neu auszurichten. In Deutschland sind es knapp 39 Prozent (Schweiz 38 Prozent).
Laut Eduard Böhler, Managing Partner im House of Communication Wien, stehen daher auch heimischen Markenverantwortlichen stürmische Zeiten ins Haus: "Auch auf dem österreichischen Markt spüren wir, dass die Menschen ihr Kaufverhalten in den letzten eineinhalb Pandemiejahren drastisch verändert haben. Eine zaghafte und zeitlich verzögerte Reaktion darauf kann existenzbedrohend sein. Es muss uns klar sein, dass es sich um eine nachhaltige Veränderung der Konsumentenbedürfnisse handelt und es deshalb auch einer nachhaltigen Neuausrichtung der Markenführung bedarf. Aufgrund der hohen Volatilität werden die Karten vielfach neu gemischt: Noch nie war es so leicht, Marktanteile zu gewinnen – oder eben auch zu verlieren."
Sechs strategischen Ansätze für Marketingentscheider:innen
Der Erfolg oder Misserfolg der Markenführung in den nächsten Jahren entscheidet sich jetzt, darüber sind sich die vier Referent:innen der Markenroadshow – der Serviceplan-Agenturgründer Peter Haller, Mediaplus-Group-Managing-Partnerin Barbara Evans, GfK-Head-of-Marketing-Science-Central-Europe Harald Schuster sowie Future-Marketing-Gründer Sven Schiemann – einig. Anhand von sechs strategischen Ansätzen zeigt die Markenroadshow auf, was die geänderten Rahmenbedingungen für Kaufverhalten, Marken-Loyalität, Wertvorstellungen, Touch Points und Mediennutzung bedeuten:
1. Noch nie haben sich die Marktanteile in den letzten Jahrzehnten so gravierend verschoben. Und – noch nie war der Markenwechsel so hoch wie heute.
Seit den 70er Jahren haben Serviceplan GfK alle sechs relevanten ökonomischen Krisen – zum Beispiel Ölkrise oder Finanzkrise – analysiert und dabei Anlässe, Dauer, Gewinner und Verlierer, erfolgreiche und nicht erfolgreiche Markenführungsstrategien unter die Lupe genommen. Die Erkenntnis: Noch nie haben sich die Marktanteile in den letzten Jahrzehnten so gravierend verschoben wie derzeit. Und – noch nie war der Markenwechsel so hoch wie heute.
Ein Vergleich der Finanzkrise von 2009 und der Corona-Krise 2020 mit dem Referenzjahr 2018 zeigt: Unternehmen, die in Krisenzeiten ihre Werbung nicht reduziert haben, haben Marktanteile gewonnen. In der Finanzkrise um 18,5 Prozent, im Zeitraum der Coronapandemie sogar um 32,8 Prozent. In Krisenzeiten steigt die Volatilität, die Gefahr von Marktanteilsverlusten wächst, im Gegenzug ist es nie günstiger und effektiver, Marktanteile hinzuzugewinnen. 83 Prozent aller Verbraucher:innen in der gesamten Dachregion verändern gerade ihr Konsumverhalten, und das auf Dauer, so die exklusive GfK-Auswertung.
Die Corona-Krise hat den ohnehin vorherrschenden Trend zu geringerer Marken-Loyalität noch weiter verstärkt. Lag diese 1989 noch bei 71 Prozent, ist sie jetzt bei einem Allzeittief von 41 Prozent angelangt. Die Konsequenz: Wir brauchen eine Neugewichtung unserer Zielgruppen: von bislang hauptsächlich Neukundengewinnung künftig hin zu prioritärer Bestandskundenpflege. Marketingentscheider:innen sollten die hohe Dynamik nutzen und gezielt in Markenbindung investieren. Nur das führt zu langfristigen Wettbewerbsvorteilen.
2. Die Wertvorstellungen gegenüber unseren Marken haben sich durch die Krise verändert: von Lebensfreude und Selbstinszenierung – mit Hilfe von Marken – hin zu Geborgenheit und Nachhaltigkeit.
Das Konsumverhalten ändert sich, das liegt vor allen Dingen auch an gewandelten Wertvorstellungen – den maßgeblichen emotionalen Gründen für die Markenwahl. Corona verschiebt die Werte-Dimensionen bei Marken langfristig. Geborgenheit und Nachhaltigkeit, aber auch Vertrauen, Nähe und Regionalität rücken in den Fokus. Marken dienen weniger als Instrument der Selbstinszenierung. Umweltbewusstsein, soziale und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen machen immer mehr den Unterschied bei der Kaufentscheidung.
Die repräsentative Befragung von Konsument:innen aus dem Juni 2021 zeigt, was bleiben wird nach Corona: Um 19 Prozent steigt in Österreich allein die Nutzung digitaler Markenplattformen (Deutschland 21 Prozent), die Bedeutung von e-Commerce als wichtigstem Einkaufskanal wächst um 16 Prozent. In Deutschland erhöhte sich dieser Wert sogar um 47 Prozent, während dieser in der Schweiz nur um 3 Prozent anstieg. Der Anspruch an Qualität und Inhaltsstoffe ist um 64 Prozent (Deutschland 62 Prozent) höher als noch noch vor der Krise. Die Konsequenz: Marken, die weniger in diesen Dimensionen verankert sind, bedürfen einer Korrektur ihrer Positionierung.
3. Die Touchpoints haben sich u. a. durch zeitweise 70 Prozent Homeoffice und veränderte Mobilitätswege deutlich verschoben
71 Prozent der Berufstätigen in Österreich sind inzwischen weniger mobil und verbringen mehr Zeit im Home-Office (Deutschland 61 Prozent). Und sind sie unterwegs, so nutzen sie andere Fortbewegungsmittel: Während in Deutschland öffentliche Verkehrsmittel (Index zwischen 84 und 86) und das eigene Auto (Index 94) stärker an Bedeutung verlieren, halten die Österreicher:innen den Öffis (Index zwischen 97 und 108) und dem Auto (Index 102) die Treue. Häufiger benützt wird die Bahn im Fernverkehr (Index 108) und das Rad (119) oder viele gehen lieber zu Fuß (105).
Doch nicht nur Arbeits- und Privatleben verlagern sich nach Hause, auch der Kaufprozess. Durch die veränderten Mobilitätswege und die massive Zunahme von Homeoffice – zeitweise um 70 Prozent – haben sich auch die Touchpoints, an denen man Menschen erreicht, verschoben. Social Media (+19 Prozent) und E-Commerce (+33 Prozent) erleben in Deutschland massive Zuwächse.
Die Nutzung des insgesamt in der Krise rückläufigen Radios verlagert sich ins Web. Der Anteil von Paid Digital Content am vormals rein originären Print Content steigt um 19 Prozent. Die Sehdauer von TV ist in der Krise deutlich gestiegen (+14 Prozent), vor allem digitales Bewegtbild kommt hier on top. Die Konsequenz heißt Media neu denken. Die fortschreitende Digitalisierung erfordert eine völlig veränderte Customer Journey. Der Weg zwischen „erstmals gesehen" und „sofortigem Kauf" wird kürzer, Maßnahmen für Markenimage und Kaufaufforderung rücken dadurch zusammen.
4. Die steigende Datenflut, neue Datenschutzmaßnahmen (Cookieless-time) und ein exklusiveres Verhalten der GAFAs machen neue KI-basierte Planungsansätze und ein neues Datenmanagement erforderlich.
Die Customer-Journey muss neu orchestriert werden, doch dazu braucht es Daten. Neue Datenschutzmaßnahmen (Cookieless-time) und die Walled Gardens der GAFAs erschweren die Sicht auf die User:innen. Dazu kommt das gesteigerte Augenmerk der Menschen auf ihre Privatsphäre. 54 Prozent der Deutschen (die Zahlen sind mit Österreich vergleichbar) löschen inzwischen regelmäßig ihre Cookies, 38 Prozent ändern immer wieder Passwörter und Logins. Nahezu jeder Dritte verwendet bestimmte Browser und Suchmaschinen, um seine Privatsphäre zu schützen.
Marketingentscheider:innen müssen neue Wege gehen, zum Beispiel mit Tech-Adaptionen an Google, Policy und Datenschutz sowie Mediastrategien auf Basis von Media-Mix-Modellings. KI-basierte Zielgruppenbestimmung etwa mit N.E.R.O AI wird in Zukunft den auslaufenden Cookie-Ansatz ablösen. Der Aufbau unternehmenseigener 1st-Party-Daten ist wichtiger denn je. Das erfordert auch eine grundlegende Reform der technologischen Lösungen. Die Anpassung der Mediatechnologie an ein Datenmanagement in Echtzeit steht aber in vielen Unternehmen noch aus.
5. Die notwendige und laufende Individualisierung der Verbraucher:innen-ansprache in Echtzeit stellt ganz neue Anforderungen nicht nur an die Mediastrategie, sondern auch an die Kreation.
One-size-fits-all hat endgültig ausgedient auch in der Kreation. Der Trend geht längst weg von einer Massenkampagne für alle, hin zu individualisierten Zielgruppen und mediengerecht angepassten Kampagnenvariationen. Individuelle Botschaften erreichen unterschiedliche Personen in den verschiedenen Phasen ihrer Kaufentscheidung, angepasst auf das Medium, das sie gerade nutzen. Dafür nötig ist die Produktion von unzähligen Variationen und die automatisierte KI-basierte Ausspielung über digitale Plattformen in Echtzeit.
6. Die zunehmende Änderungsgeschwindigkeit und immer komplexere Markenwelt muss auch die Zusammenarbeit zwischen externen Dienstleistern und Werbungtreibenden verändern.
Die zunehmende Geschwindigkeit und eine immer komplexere Markenwelt setzen eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen externen Dienstleistern und Werbungtreibenden voraus. Die Marketing-Organisation jedes Unternehmens muss auf die ganzheitliche Erfassung von Customer Journeys ausgerichtet werden. Das noch vielfach verbreitete Betreuungsmodell mit fünf oder gar bis zu zehn externen und nicht vernetzten Dienstleistern ist mangels Schnittstellen, Komplexität und den Zwang zur rascheren Reaktion überholt. Mediastrategie, CRM, Data, Technology und Produktion müssen künftig aus einer Hand gesteuert werden. Das Modell der integrierten Agenturen bis hin zur Customized Agency gewinnt nicht zuletzt deswegen an Beliebtheit. (as)
www.wiennordserviceplan.at
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