Tractive entwickelt GPS Tracker für Hunde und Katzen, welche die Ortung per Smartphone-App oder den Browser ermöglichen. Gegründet wurde Tractive im Oktober 2012 von Michael Hurnaus, Michael Lettner und Michael Tschernuth sowie von den Gründern des Erfolgsunternehmens Runtastic.
LEADERSNET: Sie haben kürzlich die Expansion in die USA und Kanada angekündigt. Was ist die Strategie, um den dortigen Markt zu erobern?
Hurnaus: Wir sind Weltmarktführer in unserem Bereich, machen momentan aber rund 95 Prozent unseres Umsatzes in Europa. Wir haben uns in der Vergangenheit sehr stark auf den europäischen Markt konzentriert. Für uns war klar, wenn wir in die USA und nach Kanada gehen, dann nur, wenn wir wirklich gut vorbereitet sind, damit wir eine schnelle Marktdurchdringung schaffen. Das ist einerseits über Marketing und andererseits über die richtigen Verkaufskanäle – sprich Amazon und unseren Webshop – zu schaffen. Wir haben schon einen guten Bekanntheitsgrad in der Haustierwelt, da wir verschiedene Apps in diesem Bereich haben. Auch die Unterstützung durch Florian Gschwandtner ist hier sehr hilfreich. Er beschäftigt sich als CGO (Chief Growth Officer) sehr stark mit dem Thema Growth und hat in der Vergangenheit mit Runtastic gezeigt, wie man einen Markt aufbauen kann.
Gschwandtner: Wir haben schon früher bei einigen Start-ups gesehen, dass der Schritt auf den amerikanischen Markt zu gehen, nicht so nebenbei funktioniert. Es wartet dort keiner auf uns. Wir mussten für Tractive zudem die Technologie für den US-Markt anpassen. Der neue Tracker für die USA basiert auf der LTE-Technlogoie, also dem neuen Mobilfunkband, weil ältere Mobilfunktechnologien dort nicht funktionieren. Jetzt sind wir bereit für den amerikanischen Markt. Darüber hinaus, und das ist auch sehr wichtig, haben wir mit Andrew Bleimann einen eigenen General Manager für die USA. Es ist für die Amerikaner sehr wichtig, dass das Unternehmen auch einen amerikanischen Background hat. Meine Vergangenheit bei Runtastic hat auch den Vorteil, dass es schon ein Netzwerk gibt, auf das man zurückgreifen kann.
LEADERSNET: Wie lange hat es gedauert, die technische Capability für die USA zu entwickeln?
Hurnaus: Wir haben rund zwei Jahre daran gearbeitet, das Produkt für die USA zu bauen. Dort gibt es kein 2G-Netz mehr und unsere Produkte haben hauptsächlich im 2G-Netz funktioniert. In den USA steckt jetzt ein CAT-M1 LTE-Produkt dahinter. Das Ganze wird deshalb kleiner und funktioniert über das LTE-Netzwerk. Je kleiner die Geräte, umso schwieriger ist es, diese so bauen, dass sie dann auch tatsächlich funktionieren.
Gschwandtner: Der große Unterschied zu Runtastic ist, dass wir ein Hardware-Start-up sind und die passende Software dazu bauen. Eine Software kann ich in der Regel relativ schnell bauen und weltweit ausrollen. Wir bauen aber auch die dazu nötige Hardware. Die Leute glauben immer, dass das nicht so schwierig sein kann. Wenn man aber weiß, dass in diesem kleinen Tracker die gleiche Technik verbaut ist, wie in einem Smartphone – sprich SIM-Karte, GPS-Antenne, Akku, usw. – dann wird es richtig kompliziert die Hardware zu bauen. Denn ein Smartphone ist natürlich um ein vielfaches größer als unser Tracker. Deshalb die auf den ersten Blick lange Entwicklungszeit von zwei Jahren. Das hat aber auch den Vorteil, dass nicht jemand von heute auf morgen ein ähnliches Gerät bauen kann.
LEADERSNET: Werden Sie persönlich in Zukunft auch vermehrt in den USA präsent sein?
Hurnaus: Ich habe sechs Jahre in den USA gelebt und kenne das Land prinzipiell sehr gut. Aber wir sehen schon, dass es, abgesehen von der Hardware-Logistik und vom Hardware-Verkauf, in unserem Fall nicht unbedingt notwendig ist, eine US-Präsenz zu haben. Wir sind in der Vergangenheit drei bis vier Mal in die USA geflogen, um dort Businesspartner zu treffen oder auf Veranstaltungen und Messen zu gehen. Darüber hinaus ist das Reisen aufgrund von Corona schwieriger und es ist vieles auf Videokonferenzen beschränkt. Ich denke also nicht, dass es notwendig ist, dass wir ein Drittel des Jahres in den USA verbringen.
Gschwandtner: Man muss dazu sagen, dass die Amerikaner marketingtechnisch etwas anders funktionieren als wir Europäer. Sie wollen beispielsweise andere Messages haben. Da brauchen wir noch ein paar Learnings, damit die Zahlen und die Parameter stimmen. Dann können wir uns überlegen, weitere Mitarbeiter anzustellen und eine PR-Agentur zu engagieren.
LEADERSNET: Welche konkreten Vorteile bringt die Aktivitäts- und Fitnessfunktion von Tractive für die User?
Hurnaus: Wir zeigen dem Nutzer wie aktiv das Tier ist. Dadurch kann man auch vergleichen, wie aktiv beispielsweise mein Beagle im Vergleich zu anderen ist. Wir wollen damit ein wenig anregen, dass die Besitzer mehr mit ihren Hunden tun. Viele Hunde und Katzen sind extrem übergewichtig. In Europa sind es rund 40 Prozent, in den USA sind es sogar mehr als 50 Prozent. Das heißt, dass es tatsächlich einen Bedarf für ein Produkt wie Tractive gibt. Zusätzlich verwenden wir im Hintergrund die ganzen Aktivitätsdaten, die wir von vielen tausenden Geräten bekommen, um für die Zukunft zu lernen.
LEADERSNET: Welche Informationen können Sie aus diesen Daten ziehen?
Hurnaus: In Zukunft ist damit möglicherweise die Früherkennung bei potentiellen Krankheiten möglich. Arthritis ist bei Hunden und Katzen beispielsweise ein großes Thema, weil Tiere durch besseres Futter immer älter werden. Wir schauen uns auch an, ob sich der Hund übermäßig kratzt, weil er vielleicht Zecken, Flöhe oder Hautirritationen hat. Das sind oft Dinge, die der Besitzer nicht sofort sieht. Ein weiterer interessanter Punkt ist die Schmerzerkennung und das Quantifizieren von Schmerz. Da schauen wir uns auf der Machine Learning-Seite an, ob wir dies Aufgrund bestimmter Bewegungsdaten feststellen können. In weiterer Folge könnten wir dann möglicherweise herausfinden, ob ein Medikament, das der Hund nimmt, überhaupt wirkt. Das ist jetzt natürlich noch ein bisschen Zukunftsmusik. Wir sammeln die Daten anonymisiert, um aus ihnen zu lernen. Irgendwann können wir dann im besten Fall sagen: „Wir erkennen, wenn es deinem Hund schlecht geht.“ Und zwar schon wesentlich früher als dies in der Vergangenheit möglich war.
Gschwandtner: Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch das Gamification-Thema. Das spielerische Element ist unserer Meinung nach sehr wichtig, um die User zu binden. Es gibt beispielsweise Belohnungen, wenn der User und sein Haustier bestimmte Leistungen erreichen. Im besten Fall führt es dazu, dass die User selbst aktiver sind und mehr mit ihrem Haustier machen, weil sie beispielsweise in einer Rangliste auf Rang 3 sind und dann die Motivation haben sich mehr mit ihrem Hund zu beschäftigen, um auf Platz 1 zu kommen.
LEADERSNET: Können Sie beispielsweise feststellen, welche Hunderasse am öftesten abhaut?
Hurnaus: Ja, das können wir und da ist ganz klar der Beagle auf dem ersten Platz. Es gibt ein paar Rassen, die ein bisschen rausstechen. Viele Leute sagen, dass ihr Hund gut abgerichtet ist und nicht wegläuft. Das ist in der Regel auch der Fall. Sehr viele Leute übersehen jedoch, dass es auch zu unvorhergesehen Situationen kommt und der Hund beispielsweise durch einen lauten Knall aufgeschreckt wird und panisch wegläuft. Gerade rund um die Silvesterzeit passiert das öfter als man denkt. Sehr oft findet man den Hund auch ohne Tractive wieder, aber das kann oft Stunden oder sogar Tage dauern. Jeder der das einmal mitgemacht hat, weiß wie schlimm das in dieser Situation ist. Für Nicht-Hundebesitzer muss man das vielleicht mit einer Kind-Analogie erklären: Für die Besitzer ist das ähnlich, wie wenn die Eltern ihr Kind suchen müssen, dass sich am Jahrmarkt in einer Menschenmenge verlaufen hat. Gemessen daran, ist es ein kleiner Preis, den man für Tractive zahlt. Das Gerät kostet 49 Euro und die App kostet fünf Euro im Monat. Das ist auch, im Vergleich was das Futter oder ein Hundebett kostet, ein sehr kleiner Teil.
Gschwandtner: Wenn man mit Hunde- und Katzenbesitzern spricht, dann weiß man, dass sie wahrscheinlich ihr letztes Hemd für ihr Tier geben würden. Sehr oft hat ein Haustier den Status eines Kindes für seine Besitzer und natürlich will man dann, dass es meinem Schützling gut geht.
LEADERSNET: Wie hoch ist jeweils der Anteil an Hunde- und Katzenbesitzern?
Hurnaus: Katzenbesitzer machen derzeit nur rund 15 Prozent aus, was auch der Tatsache geschuldet ist, dass wir den Katzenmarkt erst vor 1,5 Jahren in Angriff genommen haben. Dafür wächst der Katzenmarkt aber auch schneller als der Hundemarkt.
Gschwandtner: Interessant ist auch den Unterschied im Verhalten von Katzen und Hunden zu sehen. Katzen sind viel weitläufiger unterwegs. Ich komme von einem Bauernhof und unsere Katze ist in der Nacht teilweise bis zu zehn Kilometer vom Hof weg. Das ist für Katzenbesitzer natürlich wahnsinnig interessant zu sehen, wo sich ihre Katze rumtreibt. Beim Hund ist es in der Regel ja so, dass der nicht alleine unterwegs ist. Mit dem geht man spazieren und er ist dein bester Freund, der immer an deiner Seite ist. Katzen verhalten sich viel eigensinniger, ist mal gut drauf und mal nicht so gut drauf und tut am Ende was sie will. Wenn wir jetzt ein wenig in die Zukunft schauen, dann können wir mit Tractive irgendwann auch in Richtung Social Network gehen. Vielleicht connecten wir irgendwann auch einmal Haustierbesitzer, die gar nicht wissen, dass sich ihre Katzen in der Nacht getroffen haben.
LEADERSNET: Herr Gschwandtner, Sie haben gesagt, dass Tractive nicht nur das Potenzial hat, das "nächste Runtastic" zu werden, sondern scheinen sich diesen Status auch als fixes Ziel gesetzt zu haben. Wie wollen Sie dies erreichen?
Hurnaus: Florian und ich kennen uns schon sehr lange und es freut mich natürlich, wie erfolgreich er mit Runtastic war. Ein motivierter Unternehmer will immer eins drauflegen und daraus ist die Aussage entstanden. Ich bin überzeugt, dass das Ziel nicht ganz unrealistisch ist. Es ist natürlich noch ein weiter Weg bis dorthin aber wir sind jetzt schon mit Abstand Weltmarktführer in unserem Bereich. Unsere Wachstumsraten liegen year over year immer noch bei über 50 Prozent und dabei haben wir die USA noch gar nicht richtig gestartet. Wir sind erst am Anfang vom Katzenmarkt, wir entwickeln neue Produkte, wir gehen in neue Länder und ich denke, dass es da noch sehr viel Potential gibt. Es wird sicher noch ein paar Achterbahnfahrten und Hindernisse auf unserem Weg geben. Wir denken, dass wir noch sehr viel und schnell wachsen können. Wenn wir das in den nächsten zwei bis drei Jahren gut hinkriegen, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass wir Runtastic toppen können.
Gschwandtner: Das ist nicht nur eine Marketingaussage. Michael und ich sind gut befreundet und ich durfte ja 2012 Tractive mitgründen und als Investor dabei sein. Nachdem ich mir nach Runtastic eine Auszeit gegönnte habe, war es keine Frage, dass ich Michael und seinem Team in jenen Bereichen, in denen ich mich auskenne, ein wenig helfen werde. Wir werden auch die App weiterentwickeln, umbauen und auf ein neues Level bringen. Wir wollen in der Hardware, beispielsweise bei der Batterielaufzeit, noch besser werden. Die Metriken und die Zahlen die wir derzeit haben, zeigen, dass wir enorm viel Potential haben. Dieser Pet-Tech-Bereich, in dem wir uns bewegen, ist zudem nicht so geflutet, wie es der Fitnessbereich schon war als wir mit Runtastic durchgestartet sind. Im Pet-Tech-Bereich sind wir bereits jetzt an der Speerspitze. Zudem wächst der Markt durch Corona enorm, die Menschen werden immer tech-affiner und sie sind zunehmend bereit mehr Geld für ihre Haustiere auszugeben. Somit ist es naheliegend, das Haustier mit mehr Technologie auszustatten. Wenn wir der Player werden können, der dabei helfen kann die Gesundheit deines Tieres zu verbessern und das Ganze mit ein wenig Gamification anreichern, dann werden wir dorthin kommen, wo wir mit meinem ehemaligen Unternehmen schon waren. Das Potential ist da und jetzt liegt es an uns, dieses zu nutzen.
LEADERSNET: In Österreich gibt es – Schätzungen zufolge – 550.000 bis 650.000 Hunde. Wieviele davon sind schon mit Tractive ausgestattet und wieviele sollen es am Ende des Tages werden?
Hurnaus: Wir haben aktuell über 280.000 zahlende Kunden in Europa. Österreich ist davon ein sehr kleiner Markt. Hier sind wir in der Größenordnung von aktuell etwa 15.000 bis 20.000 zahlende Kunden. Deutschland ist unser stärkster Markt. Dort wissen aber acht von zehn Hundebesitzern nicht einmal, dass es die Produktkategorie GPS-Tracker und Aktivitätstracker für Haustiere überhaupt gibt. Unser größtes Problem ist also nicht der Mitbewerb, sondern dass wir den Leuten erste einmal klar machen müssen, dass es diese Art von Produkt überhaupt gibt. Wir versuchen, jedes Jahr – und das haben wir in der Vergangenheit gut geschafft – zwischen 50 und 100 Prozent zu wachsen. Wir sind überzeugt, dass das mit dem richtigen Einsatz, mit den richtigen Leuten und mit Mund-zu-Mund-Propaganda auch in den kommenden Jahren möglich ist. Ich denke also, dass es durchaus realistisch ist, dass wir da in den kommenden Jahren noch ein paar Mal verdoppeln können.
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