"Automobiler Darwinismus" werde die Jahre nach der COVID-19-Krise prägen. Nur die finanz- und innovationsstarken Hersteller und Zulieferer überstehen die bevorstehende Marktbereinigung. Das geht aus dem "Global Automotive Outlook 2020" des Beratungsunternehmens AlixPartners hervor.
Für die Studie hat das global agierende Unternehmen in den vergangenen Monaten die Bilanzen von mehr als 300 Automobilherstellern und -zulieferern ausgewertet sowie eine Vielzahl von Experteninterviews und Verbraucherumfragen durchgeführt.
Coronakrise wirkt wie Brandbeschleuniger
Nach einer Phase reduzierter M&A-Aktivitäten werde sich die Konsolidierung und Übernahme in Not geratener Unternehmen nun erneut beschleunigung. "Eine Reduzierung auf bis zu zehn größere Automobilhersteller ist möglich – mit Tesla auf dem Weg in diese Gruppe", so die Einschätzung von AlixPartners. Der CASE-Zukunftsmarkt (Connected, Autonomous, Shared, Electric) werde unter diesen Überlebenden, zu denen laut Elmar Kades, Global Co-Lead Automotive und Managing Director bei AlixPartners, auch die deutschen Autobauer zählen dürften, aufgeteilt.
Nach einer Durststrecke, die bereits 2015 bedingt durch hohe Investitionen in die Zukunft begann, wirke die aktuelle Krise wie ein Beschleuniger. Mit den richtigen Anreizen können die Herausforderungen jedoch zur Transformation der gesamten Branche beitragen. "Wir erleben einen nie dagewesenen Einbruch am Automobilmarkt. Die Absatzzahlen liegen unter denen nach der Finanzkrise 2008. Selbst das Niveau von 2019 werden europäische Herrsteller bis 2025 nicht erreichen. Nun heißt es im Sinne von Darwin: Nur die Starken können gewinnen", so Elmar Kades.
Absatzeinbruch fordert radikale Transformation
"Die globalen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind im Jahr 2020 so dramatisch, als wäre ein Markt von der Größe Europas über Nacht verschwunden", sagt Jens Haas, Managing Director und Restrukturierungsexperte bei AlixPartners. "Autoherstellern, Zulieferern und Mobilitätsanbietern stehen nun weniger Mittel aus dem laufenden Geschäft zur Verfügung – und auch zusätzliche Kredite müssen irgendwann zurückbezahlt werden. Alle Kosten, sämtliche Programme und Investitionen müssen daher hinsichtlich Liquidität und Rentabilität neu bewertet und priorisiert werden. Es wird zwangsläufig zu erheblichen Kostensenkungen und Streichungen bzw. Verschiebungen von Investitionen kommen."
Die AlixPartners-Studie prognostiziert für das laufende Jahr einen Einbruch der globalen Verkaufszahlen um 20 Millionen Fahrzeuge im Vergleich zu 2019. Damit sinkt der globale Absatz fast auf das Niveau in der Finanzkrise 2008. Vergleicht man die derzeitige Absatzprognose zudem mit der vor COVID-19, werden in den nächsten drei Jahren sogar 44 Millionen weniger Fahrzeuge verkauft. Das entspricht einem Schrumpfen des Bruttoergebnisses um 220 Milliarden US-Dollar (196 Milliarden Euro).
Bis 2030 könnte jedes vierte verkaufte Auto elektrisch fahren
Die Studienautoren sehen die Chance, Nachhaltigkeitsziele jetzt nicht zu vernachlässigen, sondern staatliche Subventionen und Regulierungen gezielt dafür einzusetzen. Würde Elektromobilität nicht gefördert, kaufen Verbraucher kurzfristig preiswerte Verbrenner. Diese sind günstiger in der Anschaffung und, dank mittelfristig niedrigem Ölpreis, auch im Unterhalt. Finanzielle Anreize müssen diesen Nachteil ausgleichen, um Käufer zu überzeugen. Denn Kosten für Batterien werden im gleichen Zeitraum nicht ausreichend sinken.
Mit dem European Green Deal hat die Europäische Kommission das Ziel gesetzt, in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen bis 2050 auf null zu reduzieren. Wenn Strafen für zu hohe CO2-Werte krisenbedingt ausgesetzt werden, könnte dies umfangreiche Auswirkungen auf das Verhalten der Hersteller haben. Nach aktuellem Stand wäre es für die meisten Hersteller unmöglich, die Ziele für 2021 zu erreichen – der durchschnittliche CO2-Ausstoss pro Fahrzeug wäre um 21 Prozent zu senken.
Die für 2020 bis 2024 angekündigten Investitionen in Elektromobilität in Höhe von 234 Milliarden Dollar (208,6 Milliarden Euro) erscheinen in einem Markt massiv geschrumpfter Umsätze und geringerer Liquidität unwahrscheinlich. Gerade Autobauer werden Investitionen hinauszögern, da ein geringes Volumen pro E-Modell die Rentabilität beeinträchtigt. Da die staatlichen CO2-Sanktionen mittelfristig in Kraft treten, kann die Krise den Elektrotrend jedoch nur verzögern, nicht stoppen. "Der Anteil der E-Autos am globalen Markt wird von drei Prozent 2019 auf 25 Prozent im Jahr 2030 steigen", prophezeit AlixPartners.
Fehlentscheidungen werden aufgedeckt
"Die Automobilbranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel, der mit der Entwicklung von E-Autos allein nicht abgeschlossen ist. Produzenten müssen dorthin gehen, wo es 'schmerzt' und zusätzlich zum akuten Krisenmanagement Entscheidungen für die Zukunft ihrer Unternehmen treffen. Jetzt werden alle Fehlentscheidungen der Vergangenheit und verkrustete Strukturen aufgedeckt. Die Überlebenden der Krise gehen mit neuen, oftmals digitalen Geschäftsmodellen und schlanken Produktportfolios voran. Für die nahe Zukunft bedeutet das eine beschleunigte Transformation und Kostendisziplin", so Kades.(red)
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