Polen hat eine der dynamischsten Volkswirtschaften innerhalb der Europäischen Union. Ein regelrechter Bauboom lockt Investoren aus ganz Europa an. Auch beim Weiterbildungsanbieter in:sp:i:re – the learning institute sind interkulturelle Schulungen zum Zielland Polen mehr und mehr gefragt. Anna Lassonczyk, zertifizierte interkulturelle Trainerin, internationale Dozentin und Buchautorin erklärt im nachstehenden Interview, was ihrer Meinung nach bei Geschäftskontakten in Polen zu beachten ist.
LEADERSNET: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen der Geschäftskultur in Österreich und Polen?
Lassonczyk: In Polen ist der soziale Zusammenhalt sehr, sehr wichtig – man möchte von den Kolleginnen und Kollegen wertgeschätzt werden. Der Erhalt eines positiven Arbeitsklimas ist dabei oft wichtiger als Ehrlichkeit. Gleichzeitig ist das Hierarchiedenken sehr ausgeprägt. Ich pflege immer zu sagen – in Polen gibt es zwei Regeln: 1. „Der Chef hat immer Recht.“ – und 2. Wenn er nicht Recht hat, dann greift Regel 1.“
Das heißt: während in Österreich und Deutschland Vorschläge an den Vorgesetzten meist positiv gesehen werden, muss man in Polen dabei sehr vorsichtig vorgehen. Das gilt auch für Verhandlungen mit polnischen Geschäftspartnern. diplomatisches Vorgehen ist gefragt. Direkt Kritik zu üben ist ein absolutes No-Go. Und man sollte sich bei Verhandlungen bewusst sein, dass das Gegenüber vielleicht gar keine Entscheidung treffen kann, ohne zuerst mit seinem Vorgesetzten darüber zu sprechen.
LEADERSNET: Was gilt es bei Verhandlungen sonst noch zu beachten?
Lassonczyk: Die persönliche Ebene ist entscheidend in Polen. Lernen Sie Ihren Geschäftspartner oder Ihre Geschäftspartnerin auch persönlich kennen, tauschen Sie sich auch über Privates aus, gehen Sie z.B. gemeinsam Essen. In Polen läuft vieles über Beziehungen, ganz ähnlich wie in Österreich.
LEADERSNET: Und wie verhält es sich mit der Sprache – sollte man Polnisch lernen?
Lassonczyk: Keine Angst. In Polen erwartet niemand, dass Sie perfekt auf Polnisch kommunizieren. Das ist auch gut so, denn Polnisch gilt als eine der am schwersten zu erlernenden Sprachen der Welt. Mit Englisch kommen Sie gut voran. Aber es empfiehlt sich auf jeden Fall, ein paar polnische Wörter oder Phrasen wie z.B. „Danke“, „Hallo“ oder „Auf Wiedersehen“ zu erlernen. Das schafft ein lockeres Gesprächsklima und lässt Sie gleich sympathischer erscheinen.
LEADERSNET: Was halten Sie als Polin eigentlich von der österreichischen Geschäftskultur?
Lassonczyk: Für mich ist Österreich quasi „die goldene Mitte“ zwischen Deutschland und Polen. Den Deutschen wird ja oft vorgeworfen, zu ernst und zu direkt zu kommunizieren – das kann bei anderen Nationen manchmal auch sehr aggressiv wirken. Über die Polen wird dahingegen gesagt, dass sie chaotisch seien, die Dinge unnötig in die Länge ziehen, alles über persönliche Kontakte laufe und sie um den heißen Brei reden anstatt zur Sache zu kommen.
In Österreich habt ihr eine ganz gute Mischung, finde ich – Geschäfte verlaufen ergebnisorientiert, aber gleichzeitig in einer herzlichen lockeren Atmosphäre, man ist diplomatisch und kommt doch zum Ziel.
LEADERSNET: Und in welchen Bereichen können wir von den Polen lernen?
Lassonczyk: Wenn ein Projekt mal nicht so läuft wie gewünscht, wirft man in Polen nicht gleich die Nerven weg, sondern man improvisiert und überlegt, wie man mit Hilfe des ganzen Teams das Vorhaben doch noch zum Guten wenden kann. In Vergleich z.B. zu Deutschland und auch in Österreich, wo Projekte vorab bis ins Detail durchgeplant werden und bei Änderungen oder Misserfolgen dann oft auch nur recht langsam reagiert wird, geht man in Polen flexibel und spontan an die Lösung des Problems anstatt dieses lange zu zerreden. Sie sind sozusagen Meister der Improvisation.