LEADERSNET-AEHRE-KOOPERATION
Transformation: Der große grüne Patient

Im Rahmen der Kooperation zwischen LEADERSNET und aehre dürfen sich die Leser:innen auf den nächsten spannenden Beitrag freuen. Das Nachhaltigkeits-Businessmagazin thematisiert dieses Mal Krankenhäuser, denn kaum eine Institution verbraucht mehr Energie und Ressourcen als Gesundheitseinrichtungen. Der Handlungsbedarf für mehr Nachhaltigkeit ist deshalb groß. Eine Übersicht über Verbesserungsmöglichkeiten plus Best-Practice-Beispiele.

Ein Text von Karin Pollack

LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das Nachhaltigkeits-Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in allen ihren Facetten von Environment über Social bis Governance. 

Nachdem es beim letzten Mal um Frank Obrist gegangen war, der Vorarlberger, der die grüne Transformation mithilfe von aFuel® schaffen, das Klima retten und der Welt Wohlstand sowie Frieden bringen will, geht es dieses Mal um Krankenhäuser und ihren Energie- sowie Ressourcenverbrauch.

Wer krank ist, braucht medizinische Hilfe. Alle, die schon einmal im Krankenhaus waren, wissen, was das bedeuten kann. Es beginnt bei der Hightech-Diagnostik beim Röntgen, bei CTs und anderen Geräten, setzt sich bei Untersuchungen und Therapien mit allerhand Werkzeug wie Spritzen, Infusionen und Kanülen fort. Im Sinne der Patient:innensicherheit kommen Handschuhe, Masken sowie vielerlei andere Kunststoffe, Einwegmaterial, Putzmittel und Sterilisierungsverfahren zum Einsatz. Denn wichtig ist, dass Spitäler keine infektiösen Orte für eine etwaige Ansteckung werden. Besonders essenziell ist das auf Intensivstationen, wo lebenserhaltende Maschinen rund um die Uhr in Betrieb sind und Dieselgeneratoren als Back-up anspringen, wenn das öffentliche Stromnetz einmal ausfallen sollte. Kurzum: Moderne Kliniken als Einrichtungen mit hohem Technisierungsgrad sind ökologisch betrachtet ein Supergau. Allein: Dass Spitzenmedizin für Kranke schlecht für die Umwelt ist, ist öffentlich kaum ein Thema.

Ungesund

Hoher Energiebedarf, viel Wareneinsatz, weitverzweigte Logistik, diffizile Instandhaltung und Abfallwirtschaft: Laut dem "Health care’s climate footprint"-Report aus dem Jahr 2019 ist die Gesundheitsbranche für zwei Gigatonnen ausgestoßenes Kohlendioxid und damit für 4,4 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr, als die gesamte Luftfahrt verursacht. Ein Krankenhausbett braucht pro Tag so viel Energie wie ein Einfamilienhaus und produziert 13 Kilogramm Müll, 25 Prozent davon sind Sondermüll. In Zeiten, in denen sich alle Branchen an die neuen Gesetzesvorgaben zur Eindämmung des Klimawandels umstellen müssen, ist auch der Gesundheitsbereich gefordert. Handlungsbedarf besteht sogar im doppelten und dreifachen Sinne. Denn es sind wiederum die Krankenhäuser, die all jene Menschen, die nicht mit den steigenden Temperaturen zurechtkommen, in Zukunft versorgen werden müssen. "Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit. Egal, ob Hitze, Allergien oder Infektionserkrankungen – die Folgen spüren wir bereits", warnt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter seit vielen Jahren.

"Es mag überraschen, aber wichtiger als alles andere, sind die Menschen, wenn es um die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen geht", sagt die Ärztin Steffi Hufnagl, die mit ihrem Beratungsunternehmen Go sustainable seit mehr als zehn Jahren grüne Aufklärungsarbeit leistet. Alle, von der Führung bis zum Reinigungspersonal, müssten von der Sache überzeugt sein und in einem entsprechend vorgegebenen Rahmen handeln. Unterstützung und Know-how gibt es genug. So helfen Umweltmanagementsysteme wie etwa EMAS bei der grünen Transformation in sämtlichen Bereichen eines Krankenhauses, sagt sie und weiß, dass die damit verbundenen Veränderungen in gut eingespielten Abläufen eine enorme Herausforderung für die Menschen darstellen, die tagtäglich damit befasst sind. Plus: mit Investitionen verbunden sind.

Neu denken

Hufnagl ist überzeugt, dass es langfristig darum geht, Produkte vollkommen neu zu entwickeln, damit Abfall gar nicht erst entsteht. Cradle-to-Cradle-Modelle, also geschlossene Rohstoffkreisläufe, seien das Instrument für die Zukunft, das tief in spezifische Eigenschaften eingreift und so komplex wie vielfältig ist. Ein einfaches Beispiel: Abfall aus Spitals­küchen könnte zur Gewinnung von Biogas verwendet werden – auch Kompostieren vor Ort ist eine mögliche Variante.

Eine im Sinne des Green-Hospital-Konzeptes vorbildliche Krankeneinrichtung ist die Insel Gruppe AG in der Schweiz. "Wichtig ist eine klare, langfristige Planung, vor allem dort, wo es keine 'Quick Wins' gibt", verrät Verwaltungsrat Bernhard Pulver seine Strategie. "Wir müssen von der Wegwerfwirtschaft zur Circular Economy kommen", sagt auch Uwe Heckert, Betriebswirt mit Schwerpunkt Gesundheit, in seinem Beitrag zum Buch "Green Hospital". Und Steffi Hufnagl fände es eine gute Idee, zunehmend auf Biokunststoffe umzurüsten.

Logistik und Mobilität

Welche Stellschrauben es noch gibt? Das größte Potenzial scheint beim Energiemanagement zu liegen, das bei baulichen Maßnahmen mit umweltfreundlichen Baustoffen beginnt und über Wärmedämmung sowie Kühlungssysteme bis zur Nutzung von erneuerbaren Energien reichen kann. So haben sich zum Beispiel begrünte Fassaden aus Sicht der Nachhaltigkeit und des thermischen Komforts als ideale Lösung erwiesen. Auch eine geringfügige Temperatursenkung innerhalb des Spitals kann massive Einsparungen bringen. Des Weiteren sind die Warenwirtschaft samt der dahinterliegenden Logistik und darüber hinaus Mobilität im Allgemeinen zusätzliche Ansatzpunkte. Dazu zählt die Erreichbarkeit von Spitälern mit öffentlichen Verkehrsmitteln genauso wie die Wege, die Krankenhauspersonal zwischen den einzelnen Bereichen zurücklegen muss, etwa um Medikamente, Laborproben, Pakete aller Art von A nach B zu transferieren. Das Universitätsspital Basel hat im Zuge seiner Transformation einen Fahrraddienst auf dem Krankenhausgelände etabliert.

Als riesiges Thema in Sachen Nachhaltigkeit im Gesundheitsbereich identifizieren Expert:innen auch den Einsatz von Technologien: Elektronische Informationssysteme ersetzen Papier, künstliche Intelligenz kann logistische Abläufe verbessern und durch Videokonferenzen entfallen Fahrtwege oder Reisen. "Im Grunde kann jeder einzelne Beschäftigte im Gesundheitsbereich etwas zur Transformation beitragen", sagt Steffi Hufnagl. Hoffnung für Veränderungen gibt ihr vor allem die jüngere Generation, "sie ist in Umweltfragen wesentlich kompromissloser und offener für Neuerungen". Am Ende steht die Überzeugung, dass es auf diesem Weg letztlich nur Gewinner gibt: die Umwelt, die Menschen in Krankenhäusern, aber auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist dem Klappentext von "Green Hospital“ zu entnehmen. Wer in dieses Buch reinliest und mit Krankenhausmanagement vertraut ist, findet mannigfaltige konkrete Anregungen.

Die großen Hebel zu umweltverträglichen Krankenhäusern sind hinlänglich bekannt: An oberster Stelle rangiert ein nachhaltiges Energiemanagement, gefolgt von ressourcenschonendem Wareneinsatz sowie neuen Reinigungs- und Abfallentsorgungsroutinen.

Energiemanagement – Kliniken nachhaltig gesund machen: Regulierung von Wärme, bauliche Sanierungsmaßnahmen, Energie aus Fotovoltaikanlagen 

© Adobe Stock

"Bei MR-Geräten lassen sich durch einen effizienten Ruhemodus 30 Prozent des Energieverbrauchs einsparen", sagt André Hartung von Siemens Healthineers Quelle: healthcareineurope.com © Adobe Stock

Strom, Wärme, Aircondition, Dampf, Druckluft, Licht: In Krankenhäusern hat Energie in unterschiedlichen Formen für das Retten von Menschenleben eine lebensnotwendige Bedeutung. "Um ein nachhaltiges Energiemanagement zu erreichen, sind zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen. Einen trivialen Weg gibt es nicht. Ein intelligentes Energiemanagementkonzept unterstützt die handelnden Personen", umreißt Jochen Dahm, Geschäftsführer der eptima GmbH, die Problematik. Sein Unternehmen hat sich auf die Optimierung von Energieversorgung, unter anderem in deutschen Gesundheitseinrichtungen, spezialisiert. Zuerst wird der Status quo erhoben und anschließend Ziele festgelegt, erst danach können Optimierungspotenziale erkannt werden. Er spricht auch offen die Probleme an: "Meist lassen sich erst einmal keine wirtschaftlichen Vorteile durch eine Umstellung erzielen", sagt er. 

Ein vielversprechender Bereich in Sachen Energiegewinnung könnte der Umstieg auf erneuerbare Energien sein – also eigener Strom aus Fotovoltaikanlagen zum Beispiel, der durch Stromspeichertechnologien ausfallsicher gemacht wird. Dabei ist der Standort von enormer Bedeutung, und Lösungen müssen sehr spezifisch erarbeitet werden. "Wir richten ein modernes Ambulatorium in einem denkmalgeschützten Gebäude in Klosterneuburg ein", berichtet der Leiter der Atomos-Kliniken Florian Valach.  Das sei insofern Neuland, als man dieses Gesundheitszentrum als "Green Building" zertifizieren lassen wollte. Die Vermeidung von Bodenversiegelung, Strom aus Fotovoltaikanlagen und Geothermie sind Maßnahmen, um CO₂ einzusparen. Zur Umsetzung der Projekte hat man sich den Nachhaltigkeitsmanager Dennis Weihrauch gleich ab der Planung mit an Bord geholt. Er treibt parallel mehrere Projekte voran, so auch eine Reihe von wärmedämmenden Maßnahmen in der Atomos-Klinik im Wiener Bezirk Währing.

Tatsächlich revolutionär muten neue Arten von Kooperationen zwischen Unternehmen an, die bislang wenig miteinander zu tun hatten. Genau das passiert gerade in Floridsdorf, wo das Rechenzentrum Digital Realty mit seiner Abwärme die benachbarte Klinik heizt. Möglich gemacht hat das Wien Energie mit einer 55 Megawatt starken Wärmepumpenanlage, die Rechenzentrum und Spital unterirdisch miteinander verbindet. Verpuffte früher die Wärme aus den Serverfarmen, so deckt sie nun zwischen 50 und 70 Prozent des Wärmebedarfs der Klinik Floridsdorf. Das abgekühlte Wasser wiederum fließt zurück zum Rechenzentrum, wo es wiederum zur Kühlung Verwendung findet. Eine perfekte Kreislauflösung, die 4.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einspart. "Diese Lösung ist eine Win-win-win-Situation", sagt Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke und freut sich darüber zusammen mit dem Gesundheitsverbund Wien und dem Geschäftsführer des Rechenzentrums Martin Madlo, der betont, dass in diesem Vorreiterprojekt "Klimaschutz und Digitalisierung zusammenspielen". 

Schlussendlich ist die Unabhängigkeit von fossilen Energien ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft. "Die Optimierung und Neugestaltung von Prozessen in Krankenhäusern ist langfristig auch ökonomisch besser", ist Jochen Werner, Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen, überzeugt. Die Transformation ist ein Work in Progress.

Ressourcen schonen – Warenwirtschaft neu denken: In nachhaltigen Krankenhäusern wird weniger in Produkten als in Produktzyklen gedacht. Logistik ist ein Hebel für Green Hospitals

Der Materialverschleiß in Krankenhäusern ist enorm. Eine Schlüsselfunktion haben all jene, die mit dem Einkauf dieser Dinge befasst sind. "Beschaffungsmanager:innen werden zu Wertschöpfungspartner:innen", sagt Stefan Krojer von Zukunft Krankenhaus-Einkauf (ZUKE), einer Community, die nachhaltige Beschaffung von Einrichtungen im Gesundheitswesen unterstützt. 70 Prozent der im Krankenhaus entstehenden Emissionen könnten so beeinflusst werden, prognostiziert er. "ZUKE digital" unterstützt dabei.  "Wir müssen Produkte neu denken", bringt es Steffi Hufnagl von Go sustainable auf den Punkt und meint zum Beispiel recycelbare Biokunststoffe. "Es geht da auch Akzeptanz", sagt auch Entsorgungsspezialist Ulrich Hankeln, Geschäftsführer von Remondis Medison in Deutschland. Was noch? Mehr regional statt global ist eine mögliche Stoßrichtung, die im Sinne des neuen EU-Lieferkettengesetzes Krankenhausbetreibern sogar Vorteile bringen könnte. Krankenhauslogistik ist demnach eine Stellschraube.

Nachhaltig Hygienisch – Neue Spielregeln für Sauberkeit und Hygiene: Wer Green Hospital ernst nimmt, denkt auch über die Reinigung in Krankenhäusern von Grund auf neu nach – so wie die Profis von ISS Facility Services zum Beispiel

Dass Krankenhäuser keimfreie Orte sein sollten, ist in den Köpfen der Menschen fest verankert. "Die Umsetzung der Hygienevorschriften, die von der Krankenhausleitung vorgegeben sind, hat bei uns oberste Priorität", berichtet Daniela Mizerovsky, Head of Healthcare bei ISS. Tatsache ist: Es gibt von Haus zu Haus unterschiedliche Richtlinien. Da der österreichische Facility-Services-Marktführer in zahlreichen heimischen Spitälern und Pflegeheimen für Sauberkeit zuständig ist, kann Mizerovsky bestätigen, dass sich in den letzten Jahren auf dem Reinigungssektor sehr viel getan hat. Krankenhausbetreiber, die nun immer mehr auf Nachhaltigkeit setzen, haben Abläufe umstrukturiert. "Zudem gibt es ökologisch gut verträgliche Reinigungsmittel, die ihren Zweck perfekt erfüllen", versichert Florian Schartmüller, Cleaning-Spezialist bei ISS, dem einzigen Unternehmen, das derzeit mit ozonisiertem Wasser reinigt. Diese Methode ist relativ neu am Markt, international vielfach zertifiziert und unter anderem bereits in den burgenländischen Pflegeheimen des Samariterbundes im Einsatz.

Flexibler Reinigen

Ohne optimal abgestimmte Reinigung und Hygiene ist ein Spitalbetrieb unmöglich. Dafür gibt es unterschiedliche Zugänge. In Krankenanstalten ohne Nachhaltigkeitskonzepte kommen nach wie vor chemische Mittel zum Einsatz – im Sinne eines Green Hospitals eine "unvorteilhafte Lösung", sagt Schartmüller. Aus seiner Sicht findet hier gerade ein Umdenken statt. Das Management von Krankenhäusern greift immer stärker auf die hohe Expertise der – meist ausgelagerten – Reinigungsfirmen zurück und integriert deren Konzepte. Das beginnt bereits bei den Reinigungsplänen. Hier wird heutzutage viel flexibler gedacht und gearbeitet als noch vor einigen Jahren. Eine Dusche muss nicht gereinigt werden, wenn sie nicht verwendet wurde, so Mizerovsky. "Keime springen nicht“ lautet ihr geflügelter Satz. Bei den neuen Vorgehensweisen geht es darum, zu wissen, welche Areale in einem Krankenhaus keimkritisch sind. Dort ist die Reinigung dementsprechend anzupassen.

Mehr Verantwortung

Für Mizerovsky ist in vielen Häusern ein eindeutiger Trend in Richtung Nachhaltigkeit und Effizienz erkennbar, indem das vorhandene Wissen von Facility-Experten wie ISS bereits integriert wird. In Zukunft idealerweise gleich bei der Planung von Neubauten: Da sollte das Thema "Reinigung" mitgedacht werden, konkret, wenn es beispielsweise um die Lagerung von Reinigungsmitteln geht, so der Wunsch. "In Zukunft müssen auch die Arbeitsaufläufe nachhaltig optimiert werden", ist sie überzeugt. Selbstverständlich ist dahingehend geschultes Personal eine Grundvoraussetzung. Die eigenen Mitarbeitenden sieht man bei ISS als Basis der hohen Kompetenz im Gesundheitswesen. Künftig will man, dass diese neben der Reinigung zusätzliche Aufgaben übernehmen und somit das Pflegepersonal deutlich entlasten – ein proaktiver Lösungsansatz, um dem Engpass in diesem Bereich entgegenzutreten.

Ein weiterer großer Bereich stellt das Abfallkonzept dar. "Mehrweg statt Einweg", so die Devise von Schartmüller. Statt dem Einmal-Wischmop sind Alternativen aus Mikrofaser sinnvoll, die bei gleicher Wirkung bis zu 700-mal verwendet werden können – ein riesiger Hebel im Sinne der Nachhaltigkeit.

Antibiotika – Wundermittel vor Missbrauch schützen: Gegen Infektionen sind Antibiotika als Lebensretter seit 70 Jahren im Gebrauch. Durch zu häufigen Einsatz könnten sie ihre Wirkung verlieren

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Aufklären. Nicht jeder Husten muss mit Antibiotika behandelt werden. In nachhaltigen Gesundheitssystemen sind auch Patient:innen Teil der Transformation © Adobe Stock

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt seit vielen Jahren. Antibiotika werden in der westlichen Medizin viel zu häufig verwendet. Ihre fantastische Wirkung gegen krankmachende Bakterien hat zu Missbrauch geführt. Bakterien haben Widerstandskräfte entwickelt, sodass die Arzneimittel den Heilungsprozess nicht mehr ausreichend unterstützen. 2020 haben sich in Europa mehr als 800.000 Menschen mit resistenten Bakterien infiziert, 35.000 davon starben. Das könnte dazu führen, dass bis zum Jahr 2050 jährlich bis zu zehn Millionen Todesfälle weltweit durch Antibiotikaresistenz verursacht werden. Die dringende Empfehlung lautet deshalb, sie weniger zu verschreiben.

Gegen Spitalskeime

Laut OECD treten 70 Prozent der Ansteckungen im Zusammenhang mit antimikrobiellen Infektionen in Krankenhäusern auf. Denn hier treffen nicht nur besonders viele infizierte Menschen, sondern auch viele durch andere Krankheiten geschwächte Personen aufeinander. Das sind ideale Bedingungen für pathogene Keime, Resistenz gegen Antibiotika zu entwickeln.

Im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen geht es, so die WHO, aber in erster Linie um Bewusstseinsbildung. Denn oft werden Antibiotika bei Erkrankungen eingesetzt, bei denen sie nachweislich nicht helfen – etwa bei Erkältungen und viralen Infekten. Insofern sind im Grunde nicht nur Mediziner:innen gefordert, sondern auch all jene Kranken, die sie bei Erkältungen, Husten oder Blasenentzündungen verlangen.

Die Bekämpfung von resistenten Bakterien ist jetzt schon teuer. Schätzungen zufolge belaufen sich die von antimikrobiellen Resistenzen verursachten Kosten in Europas Gesundheitssystemen auf jährlich 1,1 Milliarden Euro.

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Unterstützen. "Healthcare without harm" ist eine Initiative zur grünen Transformation des Gesundheitswesens. Auf noharm-europe.org werden Ideen gesammelt © Adobe Stock

Lachgase reduzieren – Klimasünden der Anästhesie lindern: Narkosemittel, die eingeatmet werden, sind toxisch für die Erdatmosphäre

Schmerzen zu reduzieren, ist eine Kernaufgabe der Anästhesie. Damit Menschen operiert werden können, werden sie seit Jahrzehnten mit Inhalationsanästhetika wie Lachgas, Desfluran und Sulvofluran betäubt. Das Problem: Desfluran ist um das 2.450-Fache, Isofluran um das 510-Fache und Lachgas 300-mal so schädlich wie CO₂. Es gibt mehrere Strategien, dies einzudämmen: kein Lachgas verwenden, Desfluran nur im äußersten Notfall einsetzen, Narkosegas-Recyclingsysteme anschaffen und Anästhesiegas-Fortleitungssysteme optimieren. Der Effekt ist enorm. Zur Veranschaulichung: Laut einer deutschen Studie werden 16 Millionen Narkosen pro Jahr verabreicht, das entspricht einem Ausstoß von 600.000 Tonnen CO₂.

In Österreich vorbildlich sind die Ordensspitäler der Barmherzigen Brüder, die durch spezielle Aktivkohlefilter der Firma ZeoSys die ungesunden Distickstoffmonoxide nicht mehr in die Umwelt blasen, sondern extrahieren und wiederverwenden.

Klinikkleidung – Viel Stoff für Fairness: Wie Mehrwegtextilien den ökologischen Fußabdruck verbessern

In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen fällt viel Schmutzwäsche an. Deshalb ist das Verwenden von nachhaltigen Textilien ausschlaggebend. Es gibt zwei große Bereiche: zum einen Berufskleidung aus Polyester. Beim Waschen werden die Fasern als Mikroplastik ausgespült, was im Zuge des Green Deals in der EU bald verboten sein wird. Das Bonner Unternehmen Green Textile Solutions bietet Alternativen aus 100 Prozent Naturfasern, "die auch viel angenehmer zu tragen sind", sagt Gründerin Dalia Hasan.

Wieder verwenden

Zum anderen geht es aber auch um die Reduzierung von Einwegprodukten im Medizin- und Pflegebereich. Hier hat das österreichische Unternehmen Salesianer attraktive Alternativen und bietet Produkte inklusive Reinigungsservices an. Statt OP-Mäntel oder OP-Abdeckungen zu entsorgen, lassen sie sich bis zu 80-mal wiederverwenden – bei völlig gleicher Sterilitätswirkung. Der zu entsorgende Müllberg ist bei Einweg-OP-Sets mehr als viermal so hoch wie bei wiederverwendbaren Materialien. Zudem gelten.

Abfall – Müllberge aus den Spitälern abbauen: Keine Branche erzeugt mehr Abfall als das Gesundheitswesen.  Vor allem der Umgang mit Sondermüll erschwert eine innovative Entsorgung

Die Menge ist unvorstellbar: Eine deutsche Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Krankenhäuser mit sieben bis acht Millionen Tonnen Abfall pro Tag der fünftgrößte Abfallproduzent sind. Im Durchschnitt fallen pro Patient:in täglich sechs Kilogramm Abfall an. Zum Vergleich: ein/e Normalverbraucher:in bringt es auf 1,7 Kilogramm. Spitze Gegenstände, infektiöses Material oder umwelttoxische Substanzen erfordern viel Sorgfalt bei der Entsorgung. "Die Abfälle werden nicht nach Stoffeigenschaften, sondern nach Gefahrenpotenzial sortiert. Dadurch werden viele Recyclingmöglichkeiten verschenkt", sagt Ulrich Hankeln, Geschäftsführer von Remondis Medison, einem auf Gesundheitseinrichtungen spezialisierten Entsorgungsspezialisten. Ein Wastemanager mit profunden Kenntnissen zum Thema Nachhaltigkeit sei deshalb unumgänglich, denn Innovationen erfordern großes Know-how und technische Kenntnisse. Stolz ist man bei Remondis auf eine Windelrecyclinganlage in einer Pflegeeinrichtung im niederländischen Nijmegen, wo in Kooperation mit der städtischen Abfallwirtschaft Windeln in einem thermischen Verfahren gereinigt, in ihre Bestandteile zerlegt und zu Biogas verarbeitet werden. Auch für Spritzen, Katheter und medizinische Gerätschäften gilt das Prinzip, alles so gut wie möglich in Einzelkomponenten zu zerlegen.

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Vegetarische Kost

Einen Sonderstatus haben Spitalsküchen. Für Kirstin Hünninghaus, Ernährungsmedizinerin an der Stiftung Universitätsmedizin Essen, wäre eine Umstellung auf vorwiegend pflanzliche Ernährung insofern ein Vorteil, als sie nicht nur erwiesenermaßen gesund für Patient:innen, sondern auch kompostierbar und damit abfallvermeidend wäre. Wie Steffi Hufnagl von Go sustainable betont, könnten Krankenhäuser der Zukunft dann Kompostieranlagen vor Ort betreiben, mit denen Biogas produziert und Transportwege eingespart würden; im Sinne der Kreislaufwirtschaft also eine vorbildliche Lösung.

Buchtipp: J. A. Werner/T.Kaatze/A. Schmidt-Rumposch (Hrsg): Green Hospital. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. 2022. € 93,50

© J. A. Werner/T. Kaatze/A. SchmidtRumposch (Hrsg): Green  Hospital. Medizinisch  Wissenschaftliche  Verlagsgesellschaft.

Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im neuen Nachhaltigkeits-Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der aktuellen Ausgabe am Kiosk.

aehre – das Nachhaltigkeits-Businessmagazin

Themen: Environmental-, Social- und Governance

Geschäftsführerinnen: Maria-Grazia Nordberg und Annabel Köle-Loebell

Gründung: März 2023

Praterstrasse 66/5

1020 Wien

Tel.: +43 1 890 44 06

Kontakt: hello@aehre.media

Homepage: www.aehre.media

Fakten

4,4 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen entstehen in Gesundheitseinrichtungen, mehr als in der gesamten Luftfahrt.

6,8 Megatonnen beträgt der CO₂-Abdruck des österreichischen Gesundheitssystems, hat Willi Haas von der Universität für Bodenkultur Wien ermittelt. Das sind sieben Prozent des Landes.

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4,4 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen entstehen in Gesundheitseinrichtungen, mehr als in der gesamten Luftfahrt.

6,8 Megatonnen beträgt der CO₂-Abdruck des österreichischen Gesundheitssystems, hat Willi Haas von der Universität für Bodenkultur Wien ermittelt. Das sind sieben Prozent des Landes.

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