Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Mehr & länger arbeiten – für weniger Geld?

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Geneigte Leser:innen, es sind keine guten Nachrichten: Wir werden in Zukunft mehr, länger und vielleicht sogar für weniger (Geld) arbeiten müssen. Überraschen darf diese Nachricht eigentlich niemanden wirklich, denn die Tatsachen sind seit Jahren bekannt und trotzdem fahren wir ohne Reformen mit Ansage an die Wand. Die Situation spitzt sich nun langsam zu und birgt meiner Ansicht nach inzwischen ausreichend wirtschaftliche und gesellschaftliche Explosionsgefahr.

Wir wissen, dass die Renten (Pensionen) nicht abgesichert sind und nur von Staatszuschüssen aufrechterhalten werden. Wir wissen, dass wir mehr Arbeitskräfte, -stunden und Produktivität brauchen. Wir wissen, dass wir günstiger produzieren und erschwingliche Servicedienstleistungen anbieten müssen, gleichzeitig brauchen aber vor allem die Menschen mehr Netto vom Brutto. All dies scheinen Widersprüche in sich selbst zu sein. Die Melange der Probleme hat das Potenzial einer wirtschaftlichen Bombe, die Europa unwirtschaftlich macht und zur Abwanderung von Firmen und Deindustrialisierung führt. Übrig bleibt vielleicht ein Europa als Disneyland eines schönen Kontinents. Aber wie immer: eines nach dem anderen.

Die Mär vom sicheren Pensionssystem

Betrachten wir das Pensionssystem. Wer meint, dieses wäre sicher, versteht die einfache Mathematik nicht. Die Menschen leben – zum Glück – länger, 1960 lag die Lebenserwartung bei Männern noch bei ca. 65 Jahren, bei Frauen um die 72 Jahre. 2023 liegt jene der Männer bei etwa 79 Jahren und jene der Frauen bei ca. 84 Jahren. Die in das Umlagesystem Einzahlenden werden aber mengenmäßig immer weniger. Wie Franz Schellhorn von der Agenda Austria kürzlich richtig ausführte, wird Österreich im Jahr 2050 ca. eine Million Rentner:innen, dabei aber rund 250.000 Erwerbstätige weniger haben. Wie können die Renten da sicher sein? Wohl nur dann, wenn der Staat weiterhin jedes Jahr mehr und mehr Milliarden aus Steuergeldern zuschießt. Nur: ewig wird das so nicht weitergehen können, denn wir werden das Geld für die Zukunft unserer Jugend und andere Dinge brauchen.

Nun schlagen einige vor, dieses Problem mit der Anhebung des tatsächlichen Rentenantrittsalters und mit einem entsprechenden Abbau der Teilzeitarbeit (was mit der Verfügbarkeit adäquater Kinderbetreuungs-Infrastruktur einhergehen müsste) zu lösen. Das sind sicherlich alles wichtige und richtige Schritte, die zwar unbedingt gemacht werden müssen, das Problem aber nicht lösen werden. Die Lücken sind so groß, dass wir später in Rente gehen müssen – auch das gesetzliche Rentenantrittsalter muss erhöht werden. Ich höre in diesem Zusammenhang oft: "Ich habe mir das doch verdient, ich habe doch eingezahlt!" Leider ist dies ein mathematischer Irrtum. Wir haben in ein Umlagesystem einbezahlt. Würden wir die durchschnittlichen Einzahlungen zusammenrechnen und als Sparanlage betrachten, so kämen im Durchschnitt vielleicht zehn bis maximal 15 Rentenjahre dabei heraus. Traurig, aber leider wahr.

Fachkräftemangel

Es ist, glaube ich, offensichtlich, dass uns in Österreich und in ganz Europa qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Das ist nicht nur in der Pflege, der Gastronomie, im Tourismus und in den handwerklichen Berufen der Fall. Diese Situation wird sich in absehbarer Zeit sogar noch verschärfen, wenn die "Babyboomer" in Rente gehen. Dagegen gäbe es richtige Initiativen, wie den Abbau von Teilzeit oder mehr Migration in den Arbeitsmarkt.

Klar ist allerdings, dass dies nicht kurzfristig und vor allem auch nicht zur Gänze die notwendigen Arbeitsstunden abdeckt, die wir benötigen. Wer in diesem Zusammenhang, wie die Sozialdemokrat:innen, eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich fordert, kann freundlich formuliert nur als Sozialromantiker bezeichnet werden. Weshalb die grundsätzliche Idee der Industriellenvereinigung einer 41-Stunden-Woche (ohne zusätzlichen Lohn) die Ablehnung des ÖVP-Kanzlers findet, kann ich nur dem Wahlkampf zuschreiben. Ansonsten müsste ich langsam auch der ÖVP ihre wirtschaftliche Kompetenz und die Fähigkeit zur Vertretung ihrer Stammklientel abstreiten.

Österreich ist, abhängig von der Statistik, die man zurate zieht, auf Platz 2 oder 3 in Hinblick auf die höchsten Abgaben und Steuern, nicht weit dahinter reiht sich Deutschland ein. Das führt automatisch zu enorm teuren Arbeitsstunden. Denken wir alleine an die jährliche Thermenüberprüfung, für die man inzwischen über 100 Euro berappen muss – von anderen Handwerker:innen oder Dienstleistungen ganz abgesehen. Das führt unter anderem auch dazu, dass die Produktivität pro Arbeitsstunde abnimmt. Um hier wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen diese Kosten runter. Möglich wäre das sicherlich mit einer Senkung der Lohnnebenkosten und mit einer Senkung der Einkommensteuerbelastung generell. Damit bliebe dann auch mehr Netto vom Brutto, aber auch das alleine wird nicht reichen. Österreich war in den letzten zwei Jahren Europameister, aber nicht im Fußball, sondern bei den Gehaltserhöhungen. Und zwar nicht nur bei der AUA (mit bis zu 31 Prozent bei den Co-Pilot:innen), sondern in allen Bereichen. Wettbewerbsfähig wird nur bleiben können, wer in Zukunft weniger erhöht als der Durchschnitt in Europa, um am Ende günstiger zu werden.

Dringender Handlungsbedarf

Wie immer gibt es sicherlich noch viele andere Ansatzpunkte und Lösungsmöglichkeiten, ich bin aber überzeugt davon, dass Österreich "absandeln" wird, sollte in diesen drei Bereichen nicht schleunigst gegengesteuert werden. Gestoppt werden müssen vor allem jene, die meinen, alles sei in Ordnung und es müsse nichts unternommen werden, oder die sogar glauben, die Sozialromantik könne mit weniger Arbeit, aber mehr oder neuen Steuern aufrechterhalten werden.

In diesem Sinne lassen Sie uns nicht die Augen vor diesem Bedrohungsszenario verschließen und es der nächsten Generation überlassen, es zu lösen. In den vergangenen 240 Jahren Unternehmensgeschichte und selbstverständlich auch heute noch, bei JTI, haben sich die Verantwortlichen stets in der Gegenwart um das Funktionieren in der Zukunft gekümmert. Das erwarte ich auch von den politisch Verantwortlichen, und dass wir keine 240 Jahre lang arbeiten müssen.

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