Meine geneigten Leser:innen, ich hoffe Sie konnten die Feiertage genießen und sind gut ins neue Jahr gerutscht – ein Jahr, in dem einiges auf uns zukommt!
2024 wird ein spannendes, vielleicht sogar ein wirkliches Schicksalsjahr. In Österreich stehen mehrere Länderwahlen, und zusätzlich vor allem die Nationalratswahl bevor. Hinzu kommen die Wahlen zum Europaparlament und schließlich die Wahlen in den USA, bei der die Entscheidung zwischen zwei "wirklich alten weißen Männern" das Weltgeschehen maßgeblich beeinflusst und bestimmt, ob wir demnächst Russland zum Opfer fallen oder nicht.
Gegenseitige Achtung als Grundpfeiler der Demokratie
Die Feiertage habe ich insoweit intensiv genutzt und unter anderem das Buch "How Democracies Die" gelesen, welches von den beiden Harvard Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt verfasst wurde. Das Ergebnis der beiden Herren wird – nicht nur von mir, sondern zuvor auch schon von anderen schlauen Köpfen – dahingehend analysiert, dass vor allem gegenseitige Achtung und institutionelle Zurückhaltung die wichtigsten Grundpfeiler einer Demokratie seien.
Sie, geschätzte Leser:innen werden sich nun womöglich fragen, was ich damit ausdrücken will und ich möchte gerne versuchen, es an dieser Stelle für Österreich auf den Punkt zu bringen. Beginnen wir mit "gegenseitiger Achtung": Allein ein Blick in die Politik lässt annehmen, dass es in Hinblick auf Ver- und Missachtung keine Grenzen mehr zu geben scheint. Was sich die handelnden Personen direkt oder indirekt ausrichten (lassen), gehört mit zu den letztklassigsten Widerwärtigkeiten, die jegliche Achtung vor Personen oder Institutionen mehr als vermissen lassen.
Die kurz vor Jahreswechsel beschlossene Einrichtung von zwei Untersuchungsausschüssen im Nationalrat sind ein plakatives Beispiel: Sie werden eher zu mehr Missachtung führen denn zu wirklicher Transparenz beitragen. Damit rütteln wir heftig an einem der beiden Grundpfeiler der Demokratie. Fraglich ist, wie die Bürger:innen darauf reagieren werden, anzunehmen ist jedoch, dass sie sich eher abgestoßen fühlen und sich von den traditionellen Parteien abwenden und stattdessen extremer positionierten Parteien zuwenden könnten.
Warum eine unabhängige Justiz entscheident ist
Wenden wir uns dem zweiten Grundpfeiler der Demokratie zu: der institutionellen Zurückhaltung. Worum geht es hier? Denken wir etwa an die Diskussion rund um die "Klimakleber" – hier wird plötzlich der Versuch einer anderen Auslegung des Strafrechts unternommen. Aufgrund des angeblich guten Zwecks ihrer Aktionen solle auf einmal keine Nötigung mehr vorliegen. Aha?
Oder denken wir an die Aktion der Justizministerin, die eine Enthaftung einer strafrechtlich Verfolgten bewirkt hat. Eine derartige Schwächung der unabhängigen Justiz hat, so glaube ich, nichts mehr mit einer institutionellen Zurückhaltung zu tun, sondern führt vielmehr dazu, dass sich innerhalb der Bevölkerung ein großes Misstrauen gegenüber diesen Institutionen manifestiert.
"agree to disagree"
Was können, was sollen wir als Einzelpersonen also tun? Vielleicht können wir damit beginnen, andere Menschen und deren möglicherweise andere Meinungen zu achten. Ich bemängele es in regelmäßigen Abständen, dass vielen die Fähigkeit "agree to disagree" scheinbar abhandengekommen ist. Wir müssen dies auch von den politischen Parteien und allen Institutionen einfordern. Dazu gehört auch, nicht jene zu unterstützen, die am lautesten schreien und die einfachsten Lösungen anbieten.
Wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere Demokratie geschwächt wird, denn sie ist kein bloßer Selbstzweck. Nein, es geht um nicht weniger als um unsere Freiheit, die uns wichtig ist und sein muss! Erst unlängst publizierte Ergebnisse von Langzeitforschungen zeigen, dass nur in Demokratien wirkliches wirtschaftliches Wachstum für alle möglich ist. Pseudo-Demokratien oder Diktaturen hingegen führen zu Armut und wirtschaftlichem Niedergang. Selbst nicht ganz so extreme, aber nennen wir sie illiberale Systeme wie z.B. in Ungarn können zu einem realen Wachstumsrückgang von fast 20 Prozent führen.
Vorsatz für das neue Jahr
Ich weiß, es ist weder ein leichtes Thema noch eines, das uns mit dem vielleicht notwendigen positiven Elan in das neue Jahr starten lässt. Meine geneigten Stammleser:innen merken vielleicht auch, dass es nicht das erste Mal ist, dass ich mich damit auseinandersetze – kein Wunder, denn es beschäftigt mich, mehr noch: es brennt mir auf der Seele. Deswegen: Lassen Sie uns das neue Jahr mit einem wirklich wichtigen Vorsatz beginnen, nämlich die Demokratie zu verteidigen.
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