Teilzeitarbeit – Gefahr und Ungerechtigkeit

| Redaktion 
| 02.04.2023

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Vor einigen Wochen musste Bundesminister Martin Kocher für seine ersten Gedanken zur Teilzeitarbeit einen Shitstorm einstecken – ich glaube, zu Unrecht! Denn ich denke, er hat durchaus die richtigen Fragen gestellt, nämlich jene, die einer dringenden Lösung bedürfen. Tatsache ist, dass Teilzeitarbeit immer mehr zunimmt.

Tatsache ist, dass wir diese Arbeitskräfte dringend brauchen. Tatsache ist aber leider auch, dass sich Vollzeitarbeit im Vergleich zur Teilzeitarbeit nicht lohnt, nicht in absoluten Zahlen, nicht prozentual und auch nicht in Euro.

Deshalb ist es dringend notwendig, dass Vollzeitarbeit attraktiver gemacht wird.

Grundsatzproblem Verhältnismäßigkeit

Diese Diskussion gesamthaft an der Frage der Kinderbetreuung – derer es definitiv mehr bräuchte – aufzuhängen, ist jedoch mit Sicherheit der falsche Zugang. Damit ist das Grundsatzproblem nämlich nicht gelöst, das da wäre: Wer mehr leistet, bekommt – eben verhältnismäßig – NICHT mehr. Dabei wäre es keine Raketenwissenschaft, an jenen Schrauben zu drehen, mit denen man eine Verbesserung dieses Missstandes erreichen könnte. Der Hauptansatzpunkt müsste hier sicherlich eine weitere Senkung der Lohn-Einkommenssteuer, vor allem im mittleren und oberen Bereich, sein. Meine persönliche Vorstellung – für die mich manche jetzt vielleicht für verrückt erklären – von einem adäquaten Spitzensteuersatz liegt bei etwa 38 Prozent. Eine Nicht- oder Minderbesteuerung von Mehrarbeit wäre ein weiterer Ansatz. Die geneigten Leser:innen meiner Gastkommentare wissen sicherlich, was jetzt kommt. Ganz richtig: Senkung der Lohnnebenkosten und vor allem der Sozialabgaben.

Für das Gesundheitsversorgungssystem macht es nämlich keinen Unterschied, wer Beiträge in welcher Höhe bezahlt. Denn egal, ob ich nichts, wenig oder das Maximum arbeite bzw. leiste – die Versorgung bleibt dieselbe. Ob dies gerecht ist, kann selbstverständlich hinlänglich diskutiert werden, doch vermute ich, dass die meisten – so auch ich – dies als Basis des Sozialstaates grundsätzlich so vertreten. Um aber für jene, die mehr leisten, zumindest etwas Entlastung zu erreichen, sollten jedoch meines Erachtens zumindest die Beitragsbemessungsgrenzen (in Österreich Höchstbeitragsgrundlage genannt) stark gesenkt werden, und dies trifft gleichermaßen auch für die Pensionsbeiträge zu. Hier wäre selbst ein degressives Beitragssystem vorstellbar, ganz abgesehen davon, dass das Pensionssystem einer grundsätzlichen Überholung bedarf – Stichwort höhere private Beiträge –, um überhaupt überlebensfähig zu bleiben. Es gibt sicherlich noch andere Ansatzpunkte, aber die genannten scheinen mir für den Moment die offensichtlichsten zu sein.

Diskussion ohne Denkverbote

In Summe könnte damit die Attraktivität der Vollzeitarbeit massiv erhöht werden. Ehrlicherweise kosten solche Maßnahmen Geld, welches selbst ein in der Folge größeres Wirtschaftswachstum oder BIP nicht liefern kann. Doch zusätzliche Schulden sind auch nicht die Lösung. Im Jahr 2021 hat Österreich sage und schreibe 132 Milliarden Euro für Soziales ausgegeben, etwa 33 Prozent des BIP. Für 2023 sieht der österreichische Bundeshaushalt vom Gesamtbudget von 115 Milliarden Euro ca. 50 Milliarden Euro für Sozialausgaben vor, davon allein 13 Milliarden Euro Steuerzuschuss zur Pensionsversicherung und weitere elf Milliarden Euro für Pensionen von Beamt:innen. Damit ist hoffentlich klar, dass wir offen, ehrlich und ohne Denkverbote über das Sparen und auch Kürzungen bei Sozialleistungen reden müssen, um unsere Zukunft zu sichern.

Die 239-jährige erfolgreiche Unternehmensgeschichte von JTI Austria zeigt, dass wir uns anstehenden Herausforderungen stellen müssen. Das nicht Angreifen der heißen Eisen Arbeitskräftemangel und der Lösung der Ungerechtigkeiten zwischen Voll- und Teilzeitarbeitenden verschlechtert diese Zustände weiter. Doch je später die Lösung, desto schwieriger und teurer wird die Umsetzung. In diesem Sinne sollten wir rasch beginnen, die Herausforderungen anzugehen und zu lösen.

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