Wer die Auseinandersetzung scheut, bleibt stehen

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Wenn wir etwas aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine gelernt haben, dann, dass es uns am richtigen Mindset fehlt. Seit inzwischen einem Jahr dauert Russlands Krieg gegen die Ukraine an. Was leider fast ebenso lange gedauert hat war, dass die EU und vor allem Deutschland, zur letztendlich richtigen Überzeugung gelangt ist, dass man für Frieden die Ukraine schnell und großzügig militärisch und finanziell unterstützen muss. Aber ich will mich heute eher mit den indirekten Auswirkungen auf uns beschäftigen.

Was also haben wir bisher daraus gelernt bzw. was wurde getan? Zumindest auf dem Papier sind sich alle einig, dass es mehr Unabhängigkeit, mehr Resilienz – sowohl in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht – mehr gemeinsames Vorgehen und Verteidigungsbereitschaft braucht, um unsere Demokratie, unsere Werte und unseren Lebensstil zu behalten, ja, zu verteidigen. Während sich die baltischen Länder und viele östliche Nachbar:innen bereits in der Umsetzungsphase befinden, hat sich in Deutschland und Österreich in dieser Hinsicht noch nicht viel bewegt. Zwar hat Deutschland für die Bundeswehr einen Sonderetat von 100 Milliarden Euro beschlossen, auch Österreich hat seinen Wehretat erhöht, doch ohne nennenswerte Ergebnisse. Während Deutschland einzig und allein durch schnelle Entscheidungen und der Verwirklichung von LNG-Terminals hervorsticht, ist in allen anderen Bereichen keine Beschleunigung von Verfahren oder gar Bürokratieabbau zu beobachten.

"Neutralität" und Reformen

Zudem werden dringende demokratiepolitische Diskussionen vermieden, obwohl wir in Hinblick auf die Verteidigungsbereitschaft schleunigst über eine Wehr- oder Dienstpflicht diskutieren müssten, ohne die es nicht gehen wird. In Österreich wäre ebenso angeraten, offen über das heikle Thema "Neutralität" zu sprechen. Stattdessen wird es einfach ausgeklammert, was in diesen Zeiten schlicht ein Fehler ist. Ganz davon zu schweigen, dass dringende, vor allem wirtschaftliche Reformen oder Reformen des Sozialsystems auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden.

Am meisten vermisse ich allerdings die "Mitnahme" und Diskussion mit der Bevölkerung darüber, dass sich nicht nur die Zeiten, sondern auch die Umstände grundsätzlich geändert haben, und wir deshalb vielleicht auch unser Mindset ändern müssen. Die Bevölkerung ist nach wie vor der Ansicht, alles könne einfach so weitergehen wie früher. In Umfragen ist zu lesen, dass nur 5 Prozent der deutschen Bevölkerung im Kriegsfalle bereit wären, die Bundesrepublik militärisch zu verteidigen. Dies ist nicht nur eine Ohrfeige für alle Kamerad:innen der Bundeswehr oder der Blaulichtorganisationen, sondern auch für diejenigen, die zur Stunde in der Ukraine ihr Leben lassen, um unseren Lebensstil und unsere Werte wie Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Gar nicht zu sprechen vom Manifest von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, das sozusagen der Ukraine aufträgt, sich zu ergeben, damit wir weiter bequem auf dem Sofa sitzen bleiben können – zumindest so lange, bis Russland vor der Haustür steht. Ehrlich?

Offene Diskussion

Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Gesellschaft inzwischen hauptsächlich aus Generationen von Menschen der Sorte "Nimm" besteht, die jedoch nicht bereit sind, dafür irgendeinen Beitrag zu leisten. Und an dieser Stelle wiederhole ich mich gerne und zitiere einmal mehr John F. Kennedy mit seinem Leitsatz "Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst."

Ohne offene Diskussionen werden wir die von uns angestrebten Ziele kaum erreichen können. Lassen Sie uns deshalb zumindest anfangen, zu diskutieren – durchaus kritisch und hart, dabei aber ruhig und mit dem Ziel verbunden, das Beste nicht nur für uns, sondern für unser Land herauszuholen.

Aus der inzwischen 239-jährigen Geschichte unseres Unternehmens lässt sich einiges lernen, vor allem aber, wie wichtig Auseinandersetzung ist. Wer sich nicht mit den brennenden Themen der Gegenwart auseinandersetzt, wer nur an sich denkt und die Auseinandersetzung scheut, der bleibt stehen und verschwindet alsbald ohne eine Fußnote in der Geschichte!

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