Die Rede des ehemaligen deutschen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble anlässlich der feierlichen Eröffnung des sanierten Parlamentsgebäudes hat unter einigen Abgeordneten der grünen und der sozialdemokratischen Fraktionen zu Missfallen geführt. Dieser Missfallen wurde den Fernsehzuseher:innen sogar live ins Wohnzimmer geliefert. Ich teile dieses Missfallen nicht. Steine des Anstoßes waren Schäubles Aussagen "Auch wenn ich für Gleichberechtigung bin, kann ich gegen das Gender-Sternchen sein" und "Politik lässt sich nicht durch Moral ersetzen, auch nicht durch Wissenschaft." Dazu haben sich inzwischen ausreichend – auch durchaus sehr intelligente – Menschen geäußert, doch Schäuble hat noch so viel mehr gesagt, wovon mir persönlich zwei Aspekte zumindest ebenso beleuchtenswert erscheinen, weil sie nicht nur im parlamentarischen Kreise Gültigkeit haben, sondern für unser ganzes Leben – und natürlich die Demokratie – wichtig sind.
Lösungen entwickeln und diskutieren
Erstens: Man muss den Menschen auch etwas zumuten können und "nicht nur Antworten geben, die gern gehört werden, sondern Lösungen entwickeln und zur Diskussion stellen". Wobei ich der Ansicht bin, dass Zumuten nicht als unterbuttern zu verstehen ist, sondern im Sinne von Führung und Orientierung, was aber natürlich in manchen Fällen auch schmerzhaft sein bzw. als unpopulär wahrgenommen werden kann. Dann ist zumuten nicht nur in Ordnung, sondern auch geboten. Wir wissen doch genau, was passiert, wenn man versucht, alle zufrieden zu stellen und es allen recht zu machen. Es wird am Ende mindestens Chaos, Unmut, Ungleichbehandlung herrschen. Im schlimmsten Fall sogar gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bankrott. Wenn uns klar ist, dass wir es nicht allen recht machen können, muss eben diskutiert werden, und zwar sachlich und nicht ideologisch. Lösungen müssen sinnvoll und zielführend in der Sache sein und nicht die Erfüllung der Wünsche einzelner Wählergruppen.
Zweitens: Schäubles Zitat von Karl Popper: "Wir sind jetzt verantwortlich für das, was in der Zukunft geschieht." Dieser Aspekt korrespondiert auch ganz stark mit dem zuvor genannten, denn: Es ist mittlerweile in der Gesellschaft angekommen, dass unsere jetzigen Verhaltensweisen nicht zukunftsfähig sind und vor allem nicht dazu geeignet, lebenswerte Rahmenbedingungen für unsere Jugend herzustellen. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind alternativlos und müssen von Absichtserklärungen zu Taten werden – das ist glaube ich keine Frage mehr! Dann müssen wir es uns aber auch eingestehen, dass dies ohne weitere Reformen, etwa Sozial- und Pensionsreform, nicht funktionieren kann. Das bedeutet vermutlich auch Verzicht und Einschränkungen, die momentan eben weh tun, aber nun einmal dringend notwendig sind! Aber mit einem klaren Ziel vor Augen sind die nötigen Veränderungen einfacher zu akzeptieren – getreu dem Motto "Da müssen wir jetzt durch!" Leider hat die österreichische Bundesregierung bei ihrer Regierungsklausur zu diesen wichtigen Reformen fast nichts Konkretes ausgeführt.
Verantwortung kommunizieren und zumuten
Und noch etwas ist notwendig, nämlich die Einsicht, dass für den Staat und die Verteidigung der Grundwerte Freiheit und Rechtsstaatlichkeit mehr geleistet werden muss – und zwar von allen Bürger:innen! Dies kann in finanzieller aber vor allem auch persönlicher Verpflichtung liegen, ganz nach Kennedys Motto "Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann. Frage, was Du für Dein Land tun kannst." Auch darin liegt die Verantwortung für unser aller Zukunft, und diese Verantwortung muss den Menschen auch klar kommuniziert und zugemutet werden können.
Schließen möchte ich mit dem Zitat von Gustav Mahler, das auch Wolfgang Schäuble in seiner Rede verwendet hat: "Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später." Das mag vielleicht vor hundert Jahren absolut zutreffend gewesen sein, und wahrscheinlich gilt es in einzelnen Bereichen auch heute noch. Doch darauf verlassen sollte man sich als Österreicher:in oder Wiener:in keinesfalls.
Denn worüber wir tatsächlich nicht diskutieren müssen – so denke ich – ist, dass es den "Weltuntergang" oder das "Chaos" um jeden Preis abzuwenden gilt. Das bedeutet aber, dass es jetzt an der Zeit ist, Reformen anzupacken und der Bevölkerung die damit einhergehenden Veränderungen zuzumuten, damit es in unserer Gesellschaft insgesamt und auf lange Sicht lebenswert bleibt und nicht nur für einzelne bis zur nächsten Legislaturperiode.
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