Politischer Diskurs als Auslaufmodell?

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

"Der gute Ton", also alles, was wir gemeinhin unter Umgangsformen, Haltung, Höflichkeit, Anstand, Etikette oder Taktgefühl subsummieren, beschäftigt mich in regelmäßigen Abständen. Besonders dann, wenn ich erlebe, dass sich jemand "daneben" benimmt, was zugegebenermaßen eine recht subjektive Beurteilung ist, die ich aber recht intensiv wahrnehme. Wer sich aktuell daneben benimmt? Fragen Sie mich lieber, wer nicht... Nein, im Ernst, gegenwärtig stelle ich eine akute Verrohung der Sprache fest, vor allem in der Politik – und bin damit vermutlich nicht alleine.

Diskurs, im Sinne von Erörterung bzw. Diskussionen und zum Erlangen der besten Lösung, findet defacto im politischen Alltag nicht statt. An der Tagesordnung steht vielmehr ein verbales Hinhauen mit der Absicht, dem politischen Gegenüber maximalen (Image-)Schaden zuzufügen – und zwar scheinbar völlig egal ob Freund oder Feind! Die (negative) Steigerungsform ist nur noch, Äußerungen nicht einmal selbst zu tätigen, sondern Standpunkte oder Nachrichten über den Umweg Dritter, über Medien oder Leaks ausrichten zu lassen. Da stellt sich mir schon sehr ernsthaft die Frage, wie das zur Vertrauensbildung beitragen soll, oder ob das als gute Basis für ein gemeinsames künftiges Regieren geeignet sein kann? Wie soll da bitte das vielzitierte "Beste aus beiden Welten" zusammenfinden? Das ist eher ein Mythos und Fortschritt kann sich unter diesen Voraussetzungen bestenfalls nur sehr, sehr langsam entwickeln. Es gibt das schöne Sprichwort "Man begegnet sich immer zwei Mal im Leben". In Österreich würde ich sogar sagen "Man begegnet sich mindestens zehn Mal". Wie soll da ein Zusammenwirken oder sogar gemeinsames Gestalten funktionieren, wenn von allen Seiten nur draufgedroschen wird.

Diskurs ist in einer Demokratie mit das Wichtigste

Auch in Deutschland lässt sich dies gerade sehr deutlich beobachten, wo die Bundesregierung versucht, gleich mit DREI vollkommen gegensätzlichen Ansichten zu jonglieren. Das "Beste aus drei Welten" sieht dann etwa so aus, drei Atomkraftwerke bis April 2023 weiter in Betrieb zu belassen, obwohl klar ist, dass nicht der nächste, sondern der übernächste Winter die größere Herausforderung wird. Schwachsinn ist einer der milderen Ausdrücke, die mir dazu einfallen möchten. Denn mal ehrlich, Diskurs bedeutet nicht, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, sodass jeder der Beteiligten sein Gesicht wahren kann. Dies bedeutet viel eher das Gegenteil, gerade eben dem Diskurs und der möglicherweise besten Lösung aus dem Weg zu gehen.

Warum will niemand mehr ordentlich miteinander reden, ist der politische Diskurs ein Auslaufmodell? Diskurs ist in einer Demokratie mit das Wichtigste, und zwar mit Respekt und Anstand, andernfalls geht das Vertrauen der Bevölkerung unwiederbringlich verloren!

Es ist nämlich insbesondere eine Frage des Respekts, und der sollte im Sinne eines guten Vorbildes für unsere Jugend und die Welt allgemein unbedingt wieder an Wichtigkeit gewinnen und gepflegt werden!

Eigenverantwortung sollte schon ausreichen

Am 26. Oktober wurde in Österreich der Nationalfeiertag begangen. Nach zwei Jahren coronabedingter Pause haben das Bundeskanzleramt und einige Ministerien zu diesem Anlass eine sehr "diskursive" und wie ich meine, sehr schöne Tradition wieder aufleben lassen: Sie haben zum Tag der offenen Tür und zum miteinander Reden eingeladen. Ein Meet & Greet da, Informations- und Austauschangebote dort, mit dem Ziel von offenen, wertschätzenden Begegnungen auf Augenhöhe. Da sollte der Weg hingehen, das sollte unser Ziel sein, und nicht das allgegenwärtige Verunglimpfen, Verleumden und Verhöhnen.

Und ich meine auch, dass es hier nicht immer erst mahnender Worte, zum Beispiel des Bundespräsidenten, bedürfen sollte, bis sich der eine oder die andere wieder besinnt. Die vielzitierte Eigenverantwortung sollte zu einem vernünftigen Umgang miteinander schon ausreichen.

Es ist eine schlechte Angewohnheit, zu glauben, immer selber alles besser zu wissen und nicht nur das: Man verbaut sich damit auch die Chance auf Synergien. In 238 Jahren Unternehmensgeschichte hat sich das Prinzip des offenen Austausches bei JTI Austria als Erfolgsmodell durchgesetzt. Die Rückbesinnung auf die einfachen, ursprünglichen demokratischen Werte seien daher auch der politischen Gesellschaft wieder dringend ans Herz gelegt.

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