"Der Schock könnte bald in der Realwirtschaft ankommen"

Boris Kovacevic, Currency Analyst CEE bei Western Union Business Solutions, erklärt im LEADERSNET-Interview, welche Auswirkungen die "Coronakrise“ auf die globale Wirtschaft und die Finanzmärkte haben wird.

Über 15 Jahre liegt es nun zurück, dass die chinesische Volksrepublik von der SARS-Epidemie heimgesucht wurde. Nun steht die asiatische Großmacht mit dem weitflächigen Ausbruch des Coronavirus vor neuen Herausforderungen.

Die ohnehin angeschlagene chinesische Volkswirtschaft scheint derzeit verletzlich, insbesondere da das Virus diesmal von der Stadt Wuhan in der Provinz Hubei ausging – dem sogenannten "industriellen Machtzentrum" der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.

Die unzähligen wirtschaftlichen und politischen Verbindungen, die Wuhan zum Rest der Welt hegt, und die ausgeprägte globale Lieferkette des 21. Jahrhunderts haben der anfangs chinesischen Krise einen globalen Charakter verpasst. LEADERSNET hat bei Boris Kovacevic, Currency Analyst CEE bei Western Union Business Solutions, welche Auswirkungen die "Coronakrise“ auf die Wirtschaft und die Finanzmärkte haben wird.

LEADERSNET: Die rasante Ausbreitungsrate des neuen Virus hat die Weltgesundheitsorganisation nichtsdestotrotz dazu gezwungen, die Gefährdungslage als "weltweite Pandemie" einzustufen. Welche Auswirkungen hat das für die Wirtschaft und können Parallelen zur SARS-Epidemie?

Kovacevic: Die Eskalation der Situation schürt an den Finanzmärkten weiter die Ängste über eine nachhaltige Schädigung der globalen Lieferkette. In Verbindung mit den noch schwach ausfallenden Konjunkturpaketen der weltweiten Regierungen bleibt die Gefahr bestehen, dass der Schock bald auch in der Realwirtschaft ankommt.

Während es relativ einfach ist, die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Menschen einzuschätzen, gestaltet sich eine Quantifizierung der wirtschaftlichen Folgen – insbesondere auf globaler Ebene – schwierig. Historische Vergleiche mit der SARS-Epidemie sind kaum aussagekräftig, da der Anteil Chinas am weltweiten BIP im Jahr 2003 lediglich bei vier Prozent lag, während er heute 16 Prozent beträgt. Zudem ist nicht nur die vergleichbare Rate des chinesischen Wirtschaftswachstums und die Abhängigkeit der weltweiten Nachfrage nach chinesischen Gütern heute um ein Vielfaches höher. Es besteht ebenfalls die Sorge um eine mögliche "Verdopplung der Folgen", da aus China stammende Güter fester Bestandteil der Lieferkette vieler internationaler Konzerne wie beispielsweise Apple geworden sind.

LEADERSNET: Ist Ihrer Meinung nach schon abschätzbar wie stark das Wirtschaftswachstum durch die Pandemie gedämpft wird?

Kovacevic: Wenn der wirtschaftliche Schock, den China jetzt ausgelöst hat, tatsächlich eine doppelte Wirkung – auf der Nachfrage- wie auf der Angebotsseite – entfalten sollte, könnten die daraus resultierenden Einbrüche des globalen BIPs weitaus größer ausfallen als zunächst angenommen. Betrachtet man die Reaktion der OECD auf den Ausbruch des Virus, so wurde Chinas Wachstumsprognose für 2020 um 0,8 Prozent auf 4,9 Prozent heruntergesetzt, während die Prognose im November 2019 vor dem Virusausbruch noch bei 5,9 Prozent lag. Die Prognose für die Weltwirtschaft im Jahr 2020 setzte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von 2,9 Prozent auf 2,4 Prozent zurück. Man darf sich an dieser Stelle durchaus fragen, ob diese Einschätzungen im Zuge einer zunehmenden internationalen Ausbreitung von COVID-19 nicht noch weiter nach unten korrigiert werden müssten.

LEADERSNET: Wer ist am stärksten betroffen?

Kovacevic: Mehrere Konzerne arbeiten an einem Impfstoff, aber aktuellen Informationen zufolge wird dieser wohl erst im nächsten Jahr bereitstehen. In Ermangelung einer wirksamen Therapie lässt sich die Ausbreitung des Virus am schnellsten eindämmen, indem man die Ansteckungsgefahr in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz senkt. Derartige Maßnahmen haben allerdings die zeitweise Schließung von Fabriken im verarbeitenden Gewerbe und einen deutlichen Rückgang im Dienstleistungsgewerbe wie im Reise- und Freizeitsegment zur Folge. Diese befristete Unterbrechung der Geschäftstätigkeit führt bei allen großen Volkswirtschaften zu einem Rückgang des heimischen Konsums, wobei einige Länder von einer längeren Störungsphase stärker beeinträchtigt werden als andere. Aufgrund der geografischen Nähe und engerer wirtschaftlicher Verbindungen zu China leiden die asiatischen Länder – vor allem Japan, Südkorea, Singapur und Thailand – sowie Australien und Neuseeland am stärksten unter den Folgen der Abkühlung der chinesischen Wirtschaft.

LEADERSNET: Welche Folgen ergeben sich für die Autoindustrie, die bereits vor Ausbruch der Pandemie in eher unsichere Zeiten blickte?

Kovacevic: Die Anfälligkeit der großen europäischen Automobilindustrie ist bereits Thema, denn in Frankreich und Italien schrumpfte das Wachstum im vierten Quartal 2019 und auch Deutschland verzeichnete lediglich ein Nullwachstum. China ist der größte Exportmarkt für deutsche Hersteller. Daher ist die COVID-19-Krise ein weiterer Unsicherheitsfaktor, unter dem die europäischen Automobilhersteller – neben den bereits anhaltenden Handelsstreitigkeiten mit den USA und den mit dem Brexit einhergehenden Unsicherheitsfaktoren – leiden. Die Einnahmen der deutschen Automobilhersteller BMW, Daimler und Volkswagen stammen zu 30 bzw. 40 Prozent aus China. Während Deutschland am exponiertesten ist, hängen in Frankreich lediglich vier Prozent der Exporte und sieben Prozent des gesamten Handels von China ab. Der Dominoeffekt, den die deutsche Wirtschaft auf Europa insgesamt haben kann, ist groß: Da 70 bis 80 Prozent des Handels der EU-Staaten untereinander stattfindet, könnte eine Schrumpfung der deutschen Wirtschaft dazu führen, dass vor allem diejenigen in Mitleidenschaft gezogen werden, die primär mit Deutschland Handel treiben.

LEADERSNET: Welche Bereiche der Industrie werden von der Gesundheitskrise am stärksten beeinträchtigt werden?

Kovacevic: Um das zu ermitteln, muss man unterscheiden, welche Industrien vom Angebots- und welche vom Nachfrage-Schock betroffen sind. Auf der Nachfrageseite sieht man sofortige Auswirkungen auf die Reise- und Tourismusbranche, die China und die benachbarten Länder wie Südkorea betreffen, wo 2.000 COVID-19-Fälle gemeldet wurden. Auch Japan ist von den Risiken betroffen und muss nun die Frage der Olympischen Spiele abwägen. Die internationale Luftverkehrsvereinigung IATA geht für dieses Jahr von Einnahmeeinbrüchen der Luftverkehrsgesellschaften von 29,3 Milliarden US-Dollar (26,7 Milliarden Euro) aus.

Chinesische Touristen stellen darüber hinaus die größte Einnahmequelle dar und brachten 2018 weltweit 258 Milliarden US-Dollar (235,4 Milliarden Euro) und damit 17 Prozent der gesamten Ausgaben ausländischer Touristen auf. Frankreich alleine begrüßte 2019 insgesamt 950.000 chinesische Touristen, die 1,1 Milliarden US-Dollar (eine Milliarde Euro) ausgaben, was unterstreicht, wie stark die Welt von Reisenden und Ausgaben aus China abhängt. China ist zudem der weltweit größte Rohstoffimporteur, darunter Rohöl, Eisen und Kupfer, und gefährdet somit die Industrie in Ländern wie Australien. Was die Lieferkette angeht, dürften vor allem die Hochtechnologie- und Elektronikhersteller Risiken ausgesetzt sein bzw. beeinträchtigt werden; allen voran Apple Inc., deren iPhone11 von ihrem chinesischen Lieferanten Foxconn gefertigt wird, hat die voraussichtlichen Einnahmen aufgrund des Virus bereits nach unten korrigiert. Aber die Auswirkungen auf der Angebotsseite gehen weit über Apple und die Hochtechnologieunternehmen hinaus, da Peking Fabriken sowie wichtige Drehkreuze und Häfen geschlossen hat, die den umfangreichen Handel in Bereichen wie Industrie, Textilgewerbe und Pharmazie ermöglichen. Beispielsweise werden weltweit 20 Prozent aller Wirkstoffe (API) und ca. 60 Prozent des Paracetamols in China hergestellt.

LEADERSNET: Wo liegen die größten Herausforderungen am Finanzmarkt?

Kovacevic: In Bereichen der Finanzwirtschaft werden Kreditrückzahlungen ein Problem werden. Daher hat die US-amerikanische Federal Reserve (Fed) die Marktteilnehmer am 3. März mit einer Leitzinssenkung von 0,5 Prozent – der ersten Notfallzinssenkung seit der Finanzkrise von 2008 – überrascht. Chinas KMU werden mit Liquiditätsengpässen rechnen müssen; und wenn sie zusätzlich durch Kreditrückzahlungen unter Druck geraten, werden angeschlagene Unternehmen alles daran setzen zu verhindern, dass sich COVID-19 zu einer schweren Pandemie weltweiten Ausmaßes entwickelt. Die USA sehen sich mit einigen an die Finanzmärkte gekoppelten Herausforderungen konfrontiert, da über 50 Prozent aller US-Amerikaner Wertpapiere besitzen. Daher sind der Rückgang der Wertpapierbörsen in den USA und Europa um 13 Prozent in der letzten Februarwoche – ein Rückschlag wie er zuletzt 2008 erfolgt ist – und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Konsumausgaben ein weiterer Schlüssel zur zinstechnischen Notfallmaßnahme der Fed und ein Grund, in den nächsten Monaten mit weiteren Zinssenkungen zu rechnen.

Sollten die Korrekturen an den US-Finanzmärkten weiter eskalieren und der US-amerikanische Nachfrage-Schock die durch China induzierte Lage zusätzlich verschärfen, werden möglicherweise auch einige Zentralbanken in anderen Teilen der Welt reagieren müssen. Obwohl Australien, Kanada und die USA erst kürzlich die Leitzinsen gesenkt haben, gehen wir davon aus, dass die geldpolitischen Stimulierungsmaßnahmen im Vergleich zu früheren Krisen wie der im Jahr 2008 geringer ausfallen dürften, da die Zinsen bereits an niedrigen Niveaus verankert sind. Europäische Regierungen könnten sich aufgrund von Negativzinsen gezwungen sehen, fiskalpolitische Stimulierungsmaßnahmen zu ergreifen. Zu den Risiken, die mit einer drohenden Pandemie einhergehen, zählen außerdem ein starker Angebotsengpass und damit einhergehend ein Zusammenbruch der Lieferketten und Logistik – eine Problematik, die nicht einfach durch die Bereitstellung von Liquidität am Geldmarkt mittels Stimulierungsmaßnahmen gelöst werden kann.

LEADERSNET: Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf die Fremdwährungsgeschäfte von Unternehmen?

Kovacevic: Die geopolitischen Unsicherheitsfaktoren und Auswirkungen von Devisenkursschwankungen werden internationale Unternehmen in den nächsten Monaten – vielleicht sogar Quartalen – vor Herausforderungen stellen. Laut unserer eigenen globalen Studie – eine Umfrage bei weltweit über 4.000 Unternehmen, die Fremdwährungsgeschäfte abwickeln – gaben 66 Prozent der Entscheidungsträger an, dass vor allem zwei Faktoren, namentlich die Geopolitik und Volatilität im Börsenhandel, eine präzise Planung und Steuerung der Währungsflüsse erschweren. Geopolitische Themen sind schwieriger zu beziffern, während globale Ereignisse oder Zwischenfälle wie COVID-19 sich abhängig von der jeweiligen Stimmung der Marktteilnehmer sehr unterschiedlich auf die Devisenkursentwicklung auswirken können. Der japanische Yen und der Hongkong-Dollar beispielsweise zeigten in diesem Jahr, trotz der engen wirtschaftlichen Verbindungen zu China, eine positive Performance, da diese beiden Währungen in Asien in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen als Fluchtwährungen gelten.

Der Australische Dollar und der thailändische Baht dagegen sind in den Augen der Anleger stärker mit Risiken behaftet und verzeichneten dementsprechend deutliche Einbrüche. Die Kursverluste des chinesischen Yuan sind bisher eher gering, was teils auf seine Funktion als weltweite Reservewährung und teils auf die zahlreichen, schnell von den chinesischen Behörden angekündigten Stützungsmaßnahmen zurückzuführen ist. Die Währungen von primär rohstoffexportierenden Ländern wie Norwegen zahlen bisher einen sehr hohen Preis und sind auf historische Tiefststände gefallen. Der Euro –und mit ihm Unternehmen, die stark von dessen Kursentwicklung abhängen – fährt seit Jahresbeginn Achterbahn: Er brach gegenüber dem US-Dollar zunächst um vier Prozent ein und sank mit 1,08 US-Dollar nahezu auf ein Drei-Jahres-Tief, konnte dann aber seine Verluste wiedergutmachen und erholte sich überraschend, als die weltweiten Wertpapierbörsen Ende Februar einbrachen. Wenn derartige Turbulenzen bei den weltweit am stärksten gehandelten Währungen anhalten, wird dies tiefgreifende Auswirkungen haben. Eine derartige Volatilität am Markt erschwert Unternehmen, die nach klaren, anhaltenden Trends suchen, die Zukunftsplanung, da sie sich mit kurzfristigen Kurssprüngen konfrontiert sehen. Unsere weltweite Umfrage zum Devisenkurs-Barometer ergab auch, dass jedes vierte Unternehmen aus Bereichen wie dem verarbeitenden Gewerbe angab, mit finanziellen Engpässen rechnen zu müssen, falls es sich mit negativen Kursentwicklungen konfrontiert sieht, die im Bereich von zehn Prozent oder darüber liegen.

LEADERSNET: Wie können sich Unternehmen schützen?

Kovacevic: Als Experte in den Bereichen finanzielles Risikomanagement und Fremdwährungszahlungen unterstützt Western Union Business Solutions weltweit über 60.000 Unternehmen. Folgende hilfreiche Erwägungen, würden wir empfehlen, in Betracht zu ziehen:

  1. Falls Ihre Lieferkette beeinträchtigt wurde und Sie Unterstützung in Sachen geografische Diversifizierung benötigen, können wir Ihnen gegebenenfalls alternative Lieferanten nennen. Alternativ stellen Regierungen Informationen zur Verfügung und es gibt öffentliche Informationswebseiten wie UN Comtrade, die Orientierungshilfe bieten können.
  2. Falls Ihr Unternehmen Devisenkursschwankungen ausgesetzt ist oder Sie Liquiditätsengpässe befürchten und eine Strategie entwickeln müssen, um diesen zu begegnen, oder weitere Informationen darüber benötigen, welche Produkte es für Fremdwährungsgeschäfte für Unternehmen gibt, die langfristigere Zahlungsverpflichtungen haben, klicken Sie hier, um mit einem unserer spezialisierten Kundenberater zu sprechen.
  3. Falls Sie Hilfe benötigen, um zwecks Kontinuitätsmanagement in Sachen Coronavirus immer auf dem neuesten Stand zu sein, können Sie online auf die Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zugreifen. Tagesaktuelle Nachrichten über die Auswirkungen des Virus auf den Börsenhandel erhalten Sie, indem Sie sich hier für unsere Täglichen Marktnachrichten registrieren, die in fünf Sprachen in 15 verschiedene Länder verschickt werden.

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