Am 9. Juni stehen die Wahlen zum europäischen Parlament an, doch das Interesse innerhalb der Bevölkerung hält sich in Grenzen. Und sollte sich doch jemand irrtümlich mit dem Thema auseinandersetzen, dann eher in Form eines regelrechten Bashings. Wie meine geneigten Leser:innen wissen, gehöre ich nicht zum Typus, der sich einem solchen Bashing anschließt. Im Gegenteil – umso perfider finde ich es, dass vor allem Politiker:innen einzelner Mitgliedstaaten sich an der EU "abputzen", obwohl sie als Mitglieder des EU-Rates an der Gestaltung derselben beteiligt sind. Verwunderlich ist auch, dass vor allem jene Staaten, die am meisten von der EU profitiert (haben), am lautesten gegen ebendiese wettern – dazu gehört auch Österreich.
Reform und Restrukturierung
Brauchen wir also die EU? Ich meine ja, und zwar künftig wahrscheinlich noch mehr als heute. Brauchen wir sie aber in der Form, wie sie heute ausgerichtet ist und arbeitet? Sicherlich nicht, und das bringe ich an dieser Stelle auch nicht erstmalig zum Ausdruck. Die EU bedarf einer dringenden Reform und Restrukturierung. Damit meine ich eine EU, die sich aufs Wesentliche konzentriert, eine, die schneller, unbürokratischer und viel effizienter arbeiten können muss.
Vor allem in Hinblick auf eine geeinte Verteidigungspolitik wird die Wichtigkeit und Notwendigkeit der EU bzw. Europas zukünftig sicherlich zunehmen. Nur leider hat es die EU verschlafen, sich selbst verteidigungsfähig zu halten. So zeigt nicht nur der nicht provozierte imperialistische Überfall Russlands auf die Ukraine, sondern auch der mögliche Wechsel in den USA zu einer "antieuropäischen Politik", dass wir uns als EU im Ernstfall nur auf uns selbst verlassen können, sei dies innerhalb oder auch ohne die NATO. Die einzelnen Staaten für sich genommen sind dafür zu klein, deshalb bedarf es einer abgestimmten EU-Verteidigungs-und Beschaffungspolitik. Dies wird ein mühsamer und schmerzlicher Prozess werden, bei dem viele – vor allem rüstungspolitische – Egoismen in Frage gestellt werden müssen. Umso sinnvoller wäre nach der nächsten Wahl die Bestellung eines EU-Verteidigungskommissars mit weitreichenden Befugnissen in der EU.
Gestatten Sie mir hier einen Seitenkommentar: Die militärische Neutralität wird Österreich nicht vor kriegerischen Überfällen schützen, wie die Geschichte anhand von Belgien, den Niederlanden, Finnland, den baltischen Staaten oder der Ukraine zeigt. Vielmehr wird sie Österreich jedoch mittel- bis langfristig auch wirtschaftlich schaden. Allein das Gezerre der letzten Monate mit der Schweiz über Panzer und Munitionslieferungen an EU-Mitgliedsstaaten für die Ukraine lässt das Vertrauen in die Verlässlichkeit solcher Länder als Zulieferer schwinden. Die Einstellung Österreichs "Wasch' mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" wird genau zu solch einem Vertrauensverlust führen.
Wir brauchen die EU
Nun aber zurück zum Thema EU. Wir brauchen die EU, aber auf andere Art und Weise. Wie vorher schon angemerkt, sind meine Ausführungen dazu vielleicht nicht ganz neu, auch stelle ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, doch die wesentlichen Punkte sind aus meiner Sicht folgende:
Neben der gemeinsamen Verteidigungs- und Außenpolitik denke ich vor allem an die, mit der Gründung der Montanunion als Vorläufer der EU angedachten, wirtschaftlichen Vereinfachungen und Harmonisierungen. Dies umfasst gleichzeitig eine Stärkung und Wiederbelebung des Subsidiaritätsprinzips, also: Was auf einer unteren Ebene besser gestaltet werden kann, sollte auch dort geregelt werden. Die EU muss, wie die Mitgliedstaaten selbst auch, ihren Bürokratieapparat drastisch verkleinern. Es braucht eine Rückbesinnung auf das Motto der Selbstverantwortung weg vom Nanny-Staat. Wir müssen nicht alles bis auf ins kleinste Detail regeln, genauso wenig brauchen wir neue Berichtspflichten.
In diesem Zusammenhang ist es auch unumgänglich, einen Blick auf die Subventionsproblematik zu werfen. Dass etwa allein fast die Hälfte des EU-Budgets in Agrarsubventionen fließt, ist nicht zukunftsfähig. Die EU muss sich vielmehr als wirtschaftlicher Block gegen Russland, China, Indien, USA etc. etablieren und auch als ein solcher agieren. Damit ist unter anderem auch eine echte Zukunftsperspektive für die Balkanstaaten gemeint.
Möglich kann dies nur dann werden, wenn die EU nach dem 9. Juni nicht einfach so weiter tut wie bisher. Die EU sollte, ja muss sich selber in Frage stellen und unter Umständen in einem gemeinsamen Konvent mit den Mitgliedstaaten und Bürger:innen neu definieren, vielleicht sogar neu erfinden. Dies ist per se schon keine leichte Übung und wird noch zusätzlich dadurch erschwert, dass voraussichtlich viele EU-Kritiker:innen den Einzug ins EU-Parlament schaffen werden. Dieser Aufgabe muss sich die EU (und wir mit ihr) aber stellen, denn wir brauchen sie – aber eben anders. Wenn dies nicht gelingt, so wird uns – wenn nicht schon vorher die eigenen Bürger:innen – der Rest der Welt schon bald zeigen, wie sinnlos diese EU ist. Deshalb müssen wir uns JETZT für die EU interessieren und sie stärken, indem wir wählen gehen und damit unsere klaren Erwartungen an die Politiker:innen richten.
In 240 Jahren Unternehmensgeschichte hat sich auch JTI Austria immer wieder neu erfunden und den Gegebenheiten der Zeit angepasst – aber diese auch aktiv mitgestaltet! Dies müssen wir auch von der EU erwarten und einfordern dürfen, denn eine Verwaltung des Stillstandes war noch nie ein Erfolgsrezept.
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