Männer hören nicht zu, sie erklären lieber

| Redaktion 
| 21.05.2023

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Dass es sich dabei nicht immer um ein Klischee handelt, dafür habe ich erst vor einigen Tagen höchstselbst unfreiwillig den Beweis geliefert. Nachdem ich grundsätzlich an ganz vielen Themen interessiert bin, höre ich meistens auch aufmerksam zu. Nun musste ich mich also dabei ertappen, dass die Betonung wohl auf "meistens" liegt. Doch von Anfang an. Kennen Sie den Begriff "mansplaining"? Nein? Dann erklär ich Ihnen das mal (und halte fest, dass es sich bei meinem heftigen Augenzwinkern keineswegs um ein Augenleiden handelt!!!).

"Man(n) will dazulernen"

Vor wenigen Tagen hat ein Artikel zum Thema Mansplaining meine Aufmerksamkeit erregt. Darin wurde die Geschichte rund um die Entstehung der Wortschöpfung erklärt: Auf einer Dinnerparty im mondänen Aspen mischte sich der Gastgeber in ein Gespräch zweier Frauen ein, die sich über einen Fotografen unterhielten. Der Gastgeber berichtete, dass es ein tolles Buch über diesen Künstler gäbe und ignorierte in seinem Erklär-Taumel sämtliche Einwände, dass es sich bei einer der beiden Frauen um die Autorin genau jenes Buches handelte, von dem er so schwärmte. Als ich diese – für mich neue – Information mit Kolleg:innen im Büro geteilt habe, erntete ich einen bösen Blick, denn offenbar hatte mir eine Kollegin eben jenen Sachverhalt bereits mehrmals erklärt und samt Entstehungsgeschichte dargelegt. Und ich musste gestehen, dass mir das tatsächlich entfallen war. Wie unangenehm mir das war, können Sie sich vorstellen – mit ein Grund, weshalb ich mich infolge (natürlich vorsichtig) nach den Erfahrungen der Damen in meinem Umfeld erkundigt habe. Man(n) will ja dazulernen und möglichst nicht nochmal in solch ein Fettnäpfchen treten.

Haarsträubende Geschichten

Eine Auswahl der haarsträubendsten Geschichten will ich zur Illustration zum Besten geben: Ein aus Mexiko stammender Mann erklärt einer Frau, dass die mitteleuropäische Stadt, aus der sie stammt, keineswegs wie von ihr behauptet, langweilig wäre. Die Begründung seiner mit den Worten "let me explain you, why the city is beautiful and interesting" eingeleiteten Erklärung war, dass es dort einen Fluss und ein Schloss gäbe. Durchaus anmaßend.
Ein Mann, der nachweislich weder durch Ausbildung noch Beruf dazu befähigt war, erklärt einer jungen Mutter, was sie beim Stillen ihres Neugeborenen besser machen könnte. Ein starkes Stück.
Ein Mann erklärt ungefragt einer Radfahrerin, dass ihr Sitz falsch eingestellt ist und was sie anders machen soll. Ein hilfreiches Angebot, meinen Sie? Wohl eher nicht.

Nicht, dass den Männern in jeder Situation vorsätzlich Böses unterstellt wird, aber das Muster ist erkennbar. Und mich persönlich haben diese Geschichten, von denen meine weiblichen Kolleginnen noch zahlreiche auf Lager gehabt hätten, definitiv zum Nachdenken gebracht – und ich hoffe, den einen oder anderen Mann unter meinen geneigten Lesern ebenso. Wir – und da schließe ich mich dezidiert mit ein – könnten und sollten ein wenig selbstreflektierter an die Sache herangehen. Klappen könnte das beispielsweise so: Wenn MANN demnächst das Bedürfnis hat, einer Frau einen gutgemeinten Ratschlag zu erteilen, sollte er überdenken, ob er das zu einem anderen Mann genau so sagen würde. Man-reconsidering, sozusagen.

Realität schaffen

Und wie Sie, liebe Leser:innen, bestimmt aus eigener Erfahrung wissen, kommt solch ein brisantes Thema selten allein. Ist die Gruppe einmal fröhlich am Diskutieren, widmet sie sich gerne auch artverwandten Themen, dazu gehören etwa Manspreading oder das – vielen schon leidig gewordene – Gendern. Vom Manspreading, also dem breitbeinigen Sitzen oder raumgreifenden Sich-Ausbreiten egal an welchem Ort, sind dabei nicht ausschließlich Frauen betroffen, sie fühlen sich dadurch aber ungleich unangenehmer bedrängt bzw. berührt. Da kann auch eine gendergerechte Ausdrucksweise keine Abhilfe schaffen. Was sie aber können bzw. durch konsequente Anwendung bewirken sollte, ist Realität zu schaffen.

Sprache schafft Wirklichkeit und Sichtbarkeit

Kritiker:innen (ja, es gibt sie beide!) betonen, dass besonders die deutsche Sprache unter dem "Genderwahn" leidet, weil sie dadurch spröde, technisch, nicht gut lesbar und was weiß ich noch was wird. Und wissen Sie was, auch ich finde es immer noch gewöhnungsbedürftig, wenn in Nachrichtensendungen zwischen männlichen und weiblichen Bezeichnungsformen plötzlich Pausen auftauchten, wo vorher keine waren. Dass die Geschlechter gleichermaßen präsent sein müssen, das ist klar. Aber ich glaube, hier braucht es einen pragmatischen Kompromiss: warum sollte es z. B. nicht ausreichen, am Anfang eines Textes einmal zu gendern und dann mit männlich oder auch weiblich fortzufahren? Sprache verändert und entwickelt sich und das ist gut so, aber es darf nicht zu einem nicht verständlichen Wirrwarr werden! Vor 239 Jahren, als die Gründungsurkunde der Austria Tabak unterzeichnet wurde, klang und schrieb sich Deutsch noch ganz anders, als hundert, hundertfünfzig oder zweihundert Jahre danach und heute ist es eben nochmal unterschiedlich, aber immer noch verständlich. Sprache schafft Wirklichkeit und Sichtbarkeit, deshalb halte ich es für wichtig, dies anzuerkennen und vor allem klarzustellen, dass das generische Maskulin grundsätzlich ausgedient hat, aber bitte mit entsprechendem Augenmaß und Liebe zur Sprache.

Gleichberechtigte Koexistenz auf Augenhöhe

Apropos generisches Maskulin: Kommen wir nochmals zurück auf den klassischen "Mansplainer", den wir uns vermutlich alle relativ ähnlich vorstellen. Ein alter, weißer (und in seinen Augen weiser) Mann (damit bin auch ich gemeint), der über jeden Zweifel erhaben ist. Fällt Ihnen was auf? Ziemlich unreflektiert tappen wir ins nächste Klischee, sind voreingenommen und diskriminieren die nächste Gruppe. Das halten "die" aus, meinen Sie? Möglich, aber dennoch plädiere ich dafür, Menschen individuell zu beurteilen und nicht als das Ergebnis ihrer kulturgeschichtlichen Zugehörigkeit.

Und ich plädiere auch dafür, all diesen Entwicklungen Zeit und Raum zur "Eingewöhnung" zu geben, anstatt wie ein Haftelmacher darauf zu warten, dass jemandem ein Lapsus Linguae unterläuft. Denn wenn wir vor aller political correctness darauf vergessen, offen und ehrlich miteinander zu sprechen, wenn jeder Buchstabe auf die Waagschale gelegt wird, macht dies den täglichen Umgang, das Zusammensein und -arbeiten auch nicht wirklich erquicklich, aber genau das sollte ja unser aller Ziel sein: eine gleichberechtigte Koexistenz auf Augenhöhe.

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