Standards sind für CEOs ein Schlüssel zu mehr Innovation

Valerie Höllinger, CEO von Austrian Standards, erzählt im LEADERSNET-Interview, wie Standards die Digitalisierung unterstützen und warum Standards CEO-Sache sind. 

LEADERSNET: Frau Höllinger, Sie haben mit 1. Jänner 2022 das Ruder bei Austrian Standards, der österreichischen Organisation für Standardisierung und Innovation, übernommen. Wie waren die ersten Monate?

Valerie Höllinger: Sehr, sehr spannend und lehrreich. Davor habe ich eigentlich wenig Berührungspunkte mit Standards gehabt. Mittlerweile ist mir klar geworden, wie wichtig Standards sind – im Alltag, aber auch für die Wirtschaft. Im Alltag sind Standards oft als "Hidden Champions" so selbstverständlich, dass man sie gar nicht bemerkt. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem etwas nicht mehr funktioniert.

LEADERSNET: Können Sie uns das mit Beispielen aus dem alltäglichen Leben verdeutlichen?

Valerie Höllinger: Klar. Stellen Sie sich vor, eine einzelne Bank beschließt auf einmal, andere Bankomatkartenformate einzuführen. Sie stehen dann vor einer Maschine, in die Ihre Karte nicht mehr reinpasst. Unerfreulich, oder? Ein weiteres Beispiel: Sie können Ihrer Familie nicht schnell Bescheid geben, dass Sie später nach Hause kommen, weil Smartphones und die gesamte digitale Infrastruktur drumherum nicht funktionieren.

Oder denken Sie ans tägliche Aufstehen: Sie wachen gut ausgeruht auf, weil Standards für die Standfestigkeit des Bettrahmens und die Federungseigenschaften Ihrer Matratze gesorgt haben. Sie tasten schlaftrunken nach dem Lichtschalter und finden ihn sofort auf 105 cm Standardhöhe. Sie beginnen mit dem Zähneputzen und Ihre Zahnbürste verliert keine Borsten, und Ihre Zahnpasta kratzt auch nicht wie Scheuerpulver – alles dank Standards. Sogar bis zur Qualität des Frühstückskaffees.

Diese Gedankenreise könnte ich endlos fortsetzen. Kurzum: Ohne Standards würde nichts zum anderen passen. Sie sorgen als unsichtbare Kraft dafür, dass die Dinge funktionieren. Produkte und Dienstleistungen werden durch Standards verlässlich, sicher und einfacher und wir als Konsumentinnen und Konsumenten können auf ein gewisses Qualitätslevel vertrauen.

LEADERSNET: Und welche Rolle spielen Standards in der Wirtschaft?

Valerie Höllinger: Nur eine Zahl: Allein in Österreich bringen Standards ein Mehr an innovativer Wirtschaftsleistung in Höhe von ca. 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist ein Viertel des jährlichen Wirtschaftswachstums. Standards sind ein Wachstumsmotor. Unternehmen können mit Standards ihre Produktivität steigern, Zeit sparen, den Export fördern und sich den Zugang zu neuen Märkten vereinfachen. Ich bin davon überzeugt, dass CEOs mit Standards einen Schlüssel zu mehr Innovation in der Hand haben.

Valerie Höllinger, CEO von Austrian Standards © feelimage, Felicitas Matern

LEADERSNET: Standards als Innovationstreiber – wie meinen Sie das?

Valerie Höllinger: Was sind Standards im Kern? Geballtes Wissen. Sie vereinen das Know-how von Branchenexpertinnen und -experten, die Lösungen zu ihren Anwendungsfällen in der Praxis entwickelt und in einem Standard festgehalten haben.

In Österreich sind das aktuell rund 4.450 Fachleute aus allen Branchen und Disziplinen. Das können Sie nochmals mit unserem Netzwerk mit Partnerorganisationen aus 167 Ländern ein paar Mal multiplizieren. Sie sehen – in Standards wartet geballtes Know-how von Key Playern.

LEADERSNET: Was bedeutet das für Unternehmen?

Valerie Höllinger: Das bedeutet für Unternehmen, dass sie Innovationen am richtigen Punkt ansetzen können, das Rad nicht immer neu erfinden müssen und Entwicklungszeiten verkürzen können. Standards haben das Ohr am Markt. Welche Anforderungen und Bedürfnisse gibt es? Wo muss ich anschlussfähig sein? Welche Sicherheitslevels gelten? Das steht in Standards und gerade in einer digitalen, vernetzten Welt sind sie wichtiger denn je, um schnell voranzukommen. Ein Unternehmer, mit dem ich vor kurzem zum Thema Innovationen gesprochen habe, hat es schön runtergebrochen: „Die Industrie kauft nach Standards.“

Wir stellen aber leider fest, dass Entscheiderinnen und Entscheider in Unternehmen nicht immer ausreichend mit dem Nutzen von Standards und der Entwicklung von Standards vertraut sind. Da bleibt mitunter strategisches und operatives Potenzial für den nachhaltigen Unternehmenserfolg auf der Strecke. Ich sehe es als eine Aufgabe von mir, mehr CEO-Bewusstsein für Standards zu schaffen.

LEADERSNET: Sie sehen also Standards auch als CEO-Sache?

Valerie Höllinger: Unbedingt. Die Potenziale liegen auf der Hand. Das Prinzip "One Standard – one test accepted everywhere" vereinfacht den Zugang zu neuen Zielmärkten. Zudem können CEOs und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Standards in den Komitees mitentwickeln, Zukunftsthemen früher erkennen und Wachstumschancen besser einschätzen.

LEADERSNET: Welche österreichischen Unternehmen sind mit Standards schon erfolgreich?

Valerie Höllinger: Die Liste reicht von bis, nur drei Beispiele. Erstes Beispiel für Zukunftstechnologien: Das Wiener Start-up Viewpointsystem bietet mit Digital Iris Inside – einer All-in-One-Modulserie – erstmals eine standardisierte und sofort einsatzbereite Eye-Tracking-Technologie für Smart Glasses. Hier waren Standards in der Produktentwicklung wichtig, um die Anforderungen des Markts zu erfüllen und neue Benchmarks zu setzen.

Zweites Beispiel für Export: Das Vorarlberger Unternehmen Doppelmayr Seilbahnen ist Weltmarktführer und international tätig. Die Entwicklung und Anwendung von Standards sind wichtiger Bestandteil des Unternehmenserfolgs. Doppelmayr baut Seilbahnen für den Skitourismus in Österreich wie auch für den öffentlichen Transport in Südamerika.

Drittes Beispiel für Innovation: Das Tiroler Medizintechnikunternehmen BHS Technologies hat mit RoboticScope® einen neuen Weg für mikrochirurgische Eingriffe eröffnet. Standards stellten einerseits die Qualität sicher, andererseits eröffnen sie den Rollout in internationale Märkte.

LEADERSNET: Wie wollen Sie mehr Bewusstsein für Standards schaffen?

Valerie Höllinger: Austrian Standards muss das Leistungsportfolio transparenter und einfacher zugänglich machen. Unsere Kundinnen und Kunden sind Fachleute aus allen Branchen. Sie wollen auf breit-akzeptiertes Know-how für ihre Bereiche zurückgreifen. Da geht es um den Baubereich, die IT, den Klimaschutz, die Mobilität, Gesundheit oder Managementthemen.

Diese Fachleute benötigen wir aber auch für die Komitees selbst, in denen Standards entwickelt werden. Denn ein Standard ist nur gut, wenn er eine Relevanz am Markt hat und am Puls der Zeit ist. Gerade die Bewältigung von drängenden Herausforderungen wie Digitalisierung und Klimaschutz ist ohne Standards nur schwer vorstellbar.

In der Standardisierung können Fragen gelöst werden, wie z. B. Vertrauen in neue Technologien geschaffen werden kann oder Innovationen wirtschaftlich umgesetzt werden können. Auch die Europäische Kommission hat gemerkt, dass Standards bei Initiativen wie dem Green Deal zu spät in die Debatten eingebracht wurden.

LEADERSNET: Welche Bedeutung haben Standards für Europa im internationalen Wettbewerb?

Valerie Höllinger: Eine immer größer werdende. Europa ist gerade durch China gefordert. China nutzt die Standardisierung als strategisches Instrument der Außenwirtschaftspolitik. In nur vier Jahren hat sich China, gemessen an der Zahl aktiver Teilnahmen in internationalen Standardisierungsprojekten, von Platz 6 auf Platz 3 hinaufgearbeitet.

Die EU-Kommission hat darauf reagiert und im Februar eine EU-Standardisierungsstrategie veröffentlicht. Sie macht Standards zu einem zentralen Element eines resilienten, grünen und digitalen Wirtschaftsraums.

Austrian Standards begrüßt die Initiative. Wir haben am 9. Juni Expert Talks zur EU-Standardisierungsstrategie abgehalten. Es kam heraus, dass Standards als wichtiges strategisches Instrument noch nicht auf CEO-Level angekommen sind. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Ausbildung, damit Standards ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft und Wirtschaft besser gerecht werden können.

Ich lade alle Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Wirtschaft, Verwaltung, Forschung und dem NGO-Bereich ein, den österreichischen Beitrag zur EU-Standardisierungsstrategie mitzugestalten. Am Ende profitieren wir alle davon, wenn die Standardisierung in Österreich und international an Bedeutung gewinnt.

 

Zur Person

Valerie Höllinger ist seit Jänner 2022 Managing Director von Austrian Standards und war Mitglied der Geschäftsführung seit 2021. Die Juristin, Managerin und Unternehmerin verantwortete als Geschäftsführerin des BFI Wien die Geschäftsbereiche der Privat- & Firmenkunden, geförderte Bildungsprojekte sowie Finanzen und – neben der digitalen Transformation – die Segmente Innovation & New Business, Data Science, Vertrieb, Marketing & PR, Customer Care & Quality.

Die gebürtige Wienerin war in den Branchen IT, Telekommunikation, Getränkeindustrie und Erwachsenenbildung als Managerin tätig und langjährige stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Bundestheater-Häuser. Darüber hinaus engagiert sich Höllinger in Beiräten im Bereich Gesundheit, Bildung und Kultur und war als erfolgreiche Unternehmensberaterin tätig. (ca)

www.austrian-standards.at

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