Peter Seilern blickt auf eine langjährige Karriere im Finanzdienstleistungssektor zurück, welche 1973 beim damaligen Creditanstalt-Bankverein in Wien ihren Ausgangspunkt hatte. Seine Erfolge führt er auf eine disziplinierte Umsetzung seiner Anlagestrategie zurück und räumt dabei mit althergebrachten Wahrheiten der Geldanlage auf.
LEADERSNET: Die Österreicher haben im Verhältnis zu anderen Ländern eine Scheue zum Aktienmarkt und verlieren dadurch jährlich an die sieben Milliarden Euro. Wie erklären Sie sich das?
Seilern: Die Zahl von sieben Milliarden Euro ist mir nicht bekannt, aber die österreichische Anlegerkultur ist ähnlich wie in Deutschland ausgeprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Länder durch das Bankensystem und nicht durch die Kapitalmärkte wieder aufgebaut. Diese waren im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern unterentwickelt. Ich erinnere mich noch gut daran, während meiner Zeit beim Creditanstalt-Bankverein von 1973 bis 1978. Aber das hat sich langsam geändert und die Anleger- und Aktienkultur sieht heute ganz anders aus und hat sich entsprechend weiter entwickelt.
LEADERSNET: Sie waren mit Ihren Anlageergebnissen überaus erfolgreich. Die überwiegende Mehrzahl der privaten als auch professionellen Anleger erzielen hingegen unterdurchschnittliche Renditen. Wie erklären Sie sich dies?
Seilern: Der Grund dafür ist, dass die etablierte Weisheit, dass höhere Renditen eine höhere Risikobereitschaft erfordern, meiner Meinung nach völlig falsch ist. Unsere Anlageergebnisse beweisen, dass die besten Unternehmen der Welt das Risiko für den Anleger reduziert haben und die langfristigen Renditen dieser besten Unternehmen über dem Durchschnitt liegen. Dies widerspricht der etablierten Weisheit, aber unsere Ergebnisse haben dies eindeutig gezeigt. Um dies zu erreichen braucht es jedoch eine Kombination aus Geduld und eines unbegrenzten Anlagehorizonts, was in turbulenten Zeiten wie heute nicht einfach ist.
LEADERSNET: Mit welcher allgemein anerkannten Wahrheit betreffend der Finanz- und Kapitalmärkte stimmen Sie nicht überein?
Seilern: Da gibt es einige, mit denen ich nicht übereinstimme. Die wichtigsten sind jedoch, dass die Diversifikation des Portfolios das Risiko reduziert, dass Value-Investing (eine wertorientierte Anlagestrategie) am sichersten sei und die Suche nach hohen Dividendenrenditen das wichtigste Element des Investierens ist. Ebenso stimme ich damit nicht überein, dass Geld heute billig ist und zur Erhöhung der Bilanzschulden verwendet werden sollte. Hinzu kommen ESG-Faktoren (Umwelt, Soziales, Governance), die falsche Dichotomien schaffen, wie die Unterscheidung zwischen Aktionären und Stakeholdern. Die althergebrachte Weisheit, dass dass Bargeld auf der Bank ohne Risiko sei, ist ebenso anzuzweifeln, da die Geschichte auch hier etwas anderes lehrt.
LEADERSNET: In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder Finanzkrisen erlebt. Sie haben den "Schwarzen Montag" im Oktober 1987, die Dotcom-Blase im Jahr 2000 und die Weltwirtschaftskrise ab 2007 erlebt. Derzeit sehen wir eine hohe Inflation und die Gefahr der Ausweitung des Kriegs in der Ukraine. Was haben Ihnen all diese Krisen gelehrt?
Seilern: Meine wichtigste Lektion war immer, Emotionen während Marktturbulenzen zu überwinden und jede Turbulenz zu seinem Vorteil zu nutzen. Märkte werden von Angst und Gier regiert. Man vernimmt immer wieder die Aussage, dass "wenn die Märkte gierig sind, Sie ängstlich sein sollten. Wenn die Märkte ängstlich sind, sollen Sie jedoch gierig sein." Das ist wahr und dem stimme ich auch zu. Wenn Ihr Portfolio aus Qualitätswachstumsunternehmen besteht, haben Marktabschwünge oder -crashs immer eine seltene Kaufgelegenheit geboten. Dies ist ebenso derzeit wieder aufgrund des vorherrschenden Marktabschwungs der Fall.
LEADERSNET: Ab der Wirtschaftskrise 2007 griffen die Nationalbanken massiv in die Finanzmärkte ein, da die Marktkräfte versagt hatten. Ist die derzeitige Inflation das Ergebnis der Geldpolitik der Nationalbanken und der ansteigenden Staatsschulden der Nationen?
Seilern: Nein, ich glaube nicht, dass die Zentralbanken für die Inflationsexplosion verantwortlich sind. Die Renditen langfristiger Anleihen sind immer noch überraschend niedrig, also müssen andere Faktoren eine Rolle spielen. Das aktuelle Inflationsproblem rührt hauptsächlich von der Kosteninflation her, als von einer Nachfrageinflation, zumindest im Moment. Es steht zum Teil in Verbindung mit dem Klimawandel, jedoch ebenso mit der europäischen Abhängigkeit von russischen Rohstoffen und kann mit der Covid-Pandemie und von vielen weiteren Faktoren begründet werden.
LEADERSNET: Wie wirkt sich die aktuelle Lage (Inflation, Ukraine-Konflikt) auf Ihre Portfolios aus und sind diese den aktuellen Herausforderungen gewachsen?
Seilern: Unsere Portfolios sind mehr als gut gerüstet, um die aktuellen Schwierigkeiten zu überwinden. Qualitätswachstumsunternehmen haben Preissetzungsmacht, sehr geringe Schulden, eine starke Wettbewerbsposition, hohe ESG-Bewertungen und hohe Margen, um nur die wichtigsten Merkmale zu nennen. Die Art der unverzichtbaren Dienstleistungen oder Waren, die sie anbieten, lässt sie in schwierigen Zeiten wie diesen nicht nur überleben, sondern auch gedeihen, wie die jüngsten Unternehmensergebnisse bestätigen. Diese Eigenschaften fehlen in zyklischen Branchen wie Banken, Automobilindustrien, Rohstoffen, Fluggesellschaften, Versorgungsunternehmen, um nur die wichtigsten zu nennen.
LEADERSNET: Wie wird sich der Konflikt mit Russland auf die EU und/ oder die Eurozone auswirken und wird diese daraus gestärkt hervorgehen?
Seilern: In vielerlei nicht militärischer Hinsicht ist die EU viel stärker als Russland. Die neuen Sanktionen gegen Putin und die Infrastruktur werden die wirtschaftliche Stärke der EU unterstreichen. Gleichzeitig konnten sich die Mitgliedsstaaten endlich auf eine gemeinsame europäische Energie-, Verteidigungs-, Flüchtlings- und Außenpolitik einigen. Aber wie so oft in der EU brauchen wir eine Krise, um voranzukommen. Die großen Verlierer dieser Tragödie sind die Menschen in der Ukraine. Diese brauchen sofortigen Schutz und Hilfe. Diese Hilfe ist ermutigend, wenn wir sehen, wie Flüchtlinge in der EU meist herzlich willkommen geheißen werden.
LEADERSNET: In Ihrer Investmentphilosophie stehen Quality Growth Unternehmen im Zentrum. Wie sieht Ihre persönliche Definition eines solchen Unternehmens aus?
Seilern: Quality Growth Unternehmen zeichnen sich gemäß meinen 10 Goldenen Regeln durch überdurchschnittliches Marktwachstum, eine langfristige Führungsposition in der jeweiligen Branche, ein ausbaufähiges Geschäftsmodell, Preissetzungsmacht, beständige Wettbewerbsvorteile sowie ein starkes organisches Unternehmenswachstum aus. Weitere Voraussetzungen sind eine solide Finanzierungsbasis bei niedrigem Verschuldungsgrad, eine nachvollziehbare Gebarung bei der Rechnungslegung sowie eine kompetente und vertrauenswürdige Unternehmensführung und Governance. Bei der Auswahl der einzelnen Unternehmen, die meist sehr lange im Portfolio gehalten werden, gehen wir immer nach den erwähnten Zehn Goldenen Regeln des Investierens vor, die ich in meinem Buch „Die besten Aktien der Welt“, das demnächst in dritter Auflage erscheinen wird, ausführlich dargelegt habe.
LEADERSNET: In den letzten Jahren hat sich Ihre Strategie bewährt, in hochqualitative Wachstumsunternehmen zu investieren. Value-Unternehmen erzielten hingegen sehr geringe Renditen. Wie bereiten Sie sich darauf vor, wenn Ihre Strategie, beispielsweise aufgrund sehr teurer Bewertungen dieser hochqualitativen Unternehmen, einen weniger guten Lauf nehmen könnte?
Seilern: Unsere Anlagephilosophie ist in herausragende qualitative Unternehmen zu investieren, unabhängig davon, wie der Markt ihre Aktien bewertet. Die Aktienkurse können und werden schwanken, aber das überdurchschnittliche, stetige und zunehmende zugrunde liegende Gewinnwachstum dieser Unternehmen bleibt ungestört. Die Finanzmärkte werden immer den zugrunde liegenden Wert von diesen Unternehmen anerkennen, selbst wenn es periodische kurzfristige Einflüsse wie dieser Tage gibt. Wie oben erwähnt, benötigt der erfolgreiche Anleger einen langfristigen Zeithorizont und Geduld und dies frei von Emotionen. Er benötigt auch fundierte Kenntnisse der Unternehmen, in die er Veranlagungen tätigt. Diese Eigenschaften sind jedoch bei einem durchschnittlichen Anleger sehr selten anzutreffen. In der Zwischenzeit hat der Rückgang der Kurse von hochwertigen Unternehmen ihnen jedoch angemessene Bewertungen beschert, auch aufgrund ihrer soliden Ertragskraft. Das ist gesund und kann zum Vorteil des Anlegers genutzt werden.
LEADERSNET: Sie haben einmal beschrieben, dass eine der größten Herausforderungen in Ihrem Leben die Gründung Ihres Unternehmens war. Blickt man auf die Statistik zu Unternehmensgründungen so ist dies leicht verständlich. Was machen Sie dafür verantwortlich, dass es Ihnen gelungen ist?
Seilern: Nicht ich bin für den Erfolg unseres Unternehmens verantwortlich. Es ist die hohe Qualität des sorgfältig ausgewählten Teams. Wir sind ein People-Business. Jedes Unternehmen wie unseres hat zwei Arten von Problemen: externe Probleme wie Abschwünge an den Märkten, falsche Investitionsentscheidungen, frustrierte Kunden, der politische Hintergrund usw. Und interne Probleme, die mit den Menschen innerhalb der Organisation zu tun haben. Interne Probleme sind unendlich viel schwieriger zu lösen. Aber am Ende ist eine Organisation nur so gut wie die Menschen, die dahinterstehen und sie leiten. Für mich ist nur das Beste gut genug. (red)
www.seilerninvest.com
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