"Wir appellieren an die Menschen, an den Testungen teilzunehmen"

Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, spricht im Interview über den Stellenwert der österreichischen Industrie, verrät, wie er den Standort zukunftsfit aufstellen will und plädiert für "Verkürzung der Quarantänezeit und Freitestungen" für Schlüsselpersonal.

Georg Knill ist im Mai 2020 zum Präsidenten der Industriellenvereinigung gewählt worden. LEADERSNET hat ihn nach gut einem halben Jahr in Amt und Würden zum Interview gebeten und mit ihm über ein erstes Resümee, die Herausforderungen im Corona-Jahr, Maßnahmen für die heimischen Industriebetriebe, die Zukunft der Pharmabranche, das Spannungsfeld "Industrie und Umwelt" und wie man hierzulande Forschung und Entwicklung ausbauen kann, gesprochen. 

LEADERSNET: Kommt in Zeiten einer beispiellosen Krise der Industrie in Österreich ein noch höherer Stellenwert zu als bisher?

Knill: Der Stellenwert der österreichischen Industrie kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Industrie steht direkt für mehr als Viertel der Wertschöpfung und rund eine Million Arbeitsplätze in unserem Land. Wie wichtig die Industrie für den Wohlstand ist, bestätigt eine Untersuchung über die ökonomischen Schäden durch Corona: Jene Teile Österreichs haben prozentuell geringere wirtschaftliche Schäden erlitten, die durch eine technologie- und wissensintensive Wertschöpfung geprägt sind. Außerdem haben wir in den vergangenen Monaten eindrucksvoll gesehen, dass Österreich sich auch in schwierigen Zeiten auf die Industrie verlassen kann. Gemeinsam halten wir, wie schon im Frühling, das Land am Laufen – und damit stellen wir die Versorgung der Menschen mit Gütern des täglichen Bedarfs sicher.

LEADERSNET: Sie sind im Mai zum Präsidenten der Industriellenvereinigung gewählt worden. Wie sieht ein erstes Resümee aus?

Knill: Es ist keine einfache Zeit. Aber im Wirtschaftsleben gibt es ohnehin nur sehr selten Phasen, in denen keine Herausforderungen zu meistern sind. Mit der Corona-Krise erleben wir die größte Wirtschaftskrise der 2. Republik, der Wirtschaftseinbruch betrifft nicht nur einzelne Branchen, sondern die gesamte Wirtschaft. Alleine in der Industrie rechnen wir mit einem Verlust von mehr als acht Milliarden Euro. Aber ich denke, dass wir die Talsohle durchschritten haben. Und ich bin überzeugt, dass die Industrie einen starken Beitrag für das wirtschaftliche Comeback leisten wird. Als Industriellenvereinigung setzen wir uns für die bestmöglichen Rahmenbedingungen ein. Neben der Bewältigung der Corona-Krise müssen wir auch daran arbeiten, unseren Standort zukunftsfit aufzustellen. Auch hier kann und wird die IV ihre Expertise einbringen. Ich werde mich auf jeden Fall mit viel Engagement dafür einsetzen, hier viel zu bewegen.

LEADERSNET: Wie konnten die Herausforderungen im Corona-Jahr bis dato bewältigt werden?

Knill: Im Gesundheitsbereich ist es wichtig, nach vorne zu blicken, um die Infektionszahlen kurz-, mittel- und langfristig unter Kontrolle zu bekommen. Dafür braucht es eine umfangreiche Teststrategie, etwa wie die angekündigten Massentests, sowie den Einsatz digitaler Möglichkeiten. Ziel muss sein, den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schaden für Österreich möglichst gering zu halten. Richtig war bisher, dass die Bundesregierung die Wirtschaft unterstützt und Milliarden-Pakete geschnürt hat. Für die Industrie waren besonders die liquiditäts- und eigenkapitalstärkenden Maßnahmen sehr wichtig. Wichtig sind zudem die Investitionsprämie, die Möglichkeit der degressiven Abschreibung oder der Verlustrücktrag für Jahr 2020/21. Auch das Instrument der Kurzarbeit hat ausgezeichnet funktioniert und tausende Arbeitsplätze in Österreich abgesichert. Es zeigte sich, dass die heimische Industrie sehr robust und stabil durch die Krise gekommen ist.

LEADERSNET:  Welche Maßnahmen müssen im Krisenmanagement gesetzt werden, um den Problemstellungen durch die Pandemie begegnen zu können?

Knill: Die Pandemie verlangt uns – den Unternehmen, der Politik und der Gesellschaft insgesamt – alles ab. Wir brauchen weiterhin ein starkes, wirkungsvolles Krisenmanagement, um diese Herausforderung zu bewältigen. Wünschenswert wäre, dass Behörden und Verwaltung auf allen Ebenen eine ähnliche Flexibilität und Innovationskraft an den Tag legen, wie wir es in der Industrie sehen. Hier haben beispielsweise die Unternehmen sehr früh Sicherheitsvorkehrungen massiv verstärkt und erfolgreiche Schutzmaßnahmen für und gemeinsam mit ihren Beschäftigten gesetzt

LEADERSNET: Was lernt Österreich aus der Krise?

Knill: Wir müssen die richtigen Schlüsse ziehen und die entsprechenden Maßnahmen auf den Weg bringen. Jede Krise hat eine gewisse Katalysatorwirkung, es verstärkt sowohl Stärken, als auch Schwächen. In unserem Fall wird es mit Sicherheit die Innovationstätigkeiten verstärken, Österreich gilt in Zusammenarbeit mit seinen Forschungseinrichtungen weltweit als großer Player in Sachen Innovationen. Und genau diese Themen - Stichwort Digitalisierung und Klimawandel - werden massive Innovationsschübe mit sichbringen. Immerhin misst sich die heimische Industrie hier mit weltweiter Konkurrenz. Damit sehe ich uns als Wirtschafts- und als Industriestandort Österreich gestärkt aus der Krise kommen. Wir brauchen dafür allerdings die richtigen Rahmenbedingungen. Und hier sehen wir, dass die Bundesregierung sich bemüht, einerseits die richtigen Maßnahmen zu setzen, um die Pandemie bestmöglich in Griff zu bekommen, aber andererseits Ansätze verfolgt, wie wir das Wachstum voranbringen.

LEADERSNET:  Oft ist vom "Herausinvestieren aus der Krise" zu hören. Was ist damit gemeint?

Knill: Nur mit nachhaltigem Wachstum können wir die Corona-Wirtschaftskrise überwinden. Dieses Wachstum kann nur durch Investitionen stimuliert werden, die das Fundament dafür sind, Arbeitsplätze von heute zu sichern und Jobs von morgen zu schaffen. Außerdem bekräftigen Investitionen in Österreich einerseits den festen Glauben an die Zukunft und andererseits die Attraktivität des heimischen Industriestandortes. In diesem Sinne war und ist die Investitionsprämie eine wichtige Empfehlung der Industrie, die umsetzt wurde und ein wichtiger Impuls für Investitionen war und ist.

LEADERSNET:  Ein besonderes Spannungsfeld zeichnet sich auch in Sachen Umwelt ab. Befindet sich die Industrie in der Herausforderung des Klimawandels nicht auch gleichzeitig in der Rolle eines Verursachers?

Knill: Österreichs Industrie steht seit Jahrzehnten maßgeblich für Innovation und Technologie und produziert heute umweltfreundlicher denn je. Wir haben weltweit die klimafreundlichste Produktion. Nirgendwo auf der Welt wird eine Tonne Zement mit weniger CO2 Emissionen produziert als in Österreich und auch die heimische Eisen- und Stahlindustrie ist Benchmark in der Nachhaltigkeit. Die österreichische Industrie hat intensiv daran gearbeitet, eine Vorreiterrolle einzunehmen, auch die Zulieferindustrie hat sich bei Klimatechnologien stark aufgestellt. Konkret bedeutet das: Heute gibt es in Österreich rund 2.500 Unternehmen, die sich mit Umwelttechnologien beschäftigen und diese auch exportieren. Österreichs Industrie ist ein Teil der Lösung, wir wollen mitwirken – wenn man uns lässt.

LEADERSNET: Welche Schwerpunkte setzen Sie in der IV in der nahen Zukunft?

Knill: Wir führen einen intensiven Austausch mit den Industriebtrieben und richten unsere Arbeitsprogramm exakt nach den Bedürfnissen der Unternehmen aus. Das Themenspektrum ist vielschichtig und herausfordern. In den nächsten Monaten wird es darum gehen, Verbesserungen in den Bereichen Aus- & Weiterbildung; Forschung & Entwicklung; Digitalisierung sowie Fachkräfteverfügbarkeit zu erreichen. Wichtige Themen bleiben naturgemäß die Stärkung des Kapitalmarkts und des Eigenkapitals von Unternehmen, ein bestmöglicher Zugang für unsere exportorientierten Unternehmen zu wichtigen Märkten, wettbewerbsfähige Steuerpolitik oder eine moderne Energie- und Infrastrukturpolitik. Insgesamt müssen wir künftig die Leistung der Industrie für Wohlstand, Lebensqualität und Arbeitsplätze noch stärker vermitteln.

LEADERSNET: Bald sollen die ersten Corona-Massentests beginnen. Was halten Sie davon und welche Erkenntnisse wird man aus den vorgesehenen Massentestungen ziehen können?

Knill: Die angekündigten freiwilligen Massentestungen sind in Verbindung mit einer weiträumigen Teststrategie ein notwendiges Mittel, um die Ausbreitung des Coronavirus mittelfristig unter Kontrolle zu bekommen. Entscheidend ist nun die effiziente und rasche Umsetzung in den kommenden Wochen. Insgesamt müsse es jetzt darum gehen, eine umfassende Corona-Strategie zu entwickeln. Wir müssen lernen, mit Corona umzugehen. Dafür müssen wir unter anderem digitale Möglichkeiten – wie die ‚Stopp-Corona-App' – stärker nutzen sowie das Tracing deutlich verbessern, um Infektionsketten künftig frühzeitig erkennen und unterbrechen zu können. Zudem empfiehlt die Industrie, dass eine Verkürzung der Quarantänezeiten für symptomfreie Kontaktpersonen oder "Freitestungen" gerade für Schlüsselpersonal möglich sein sollte.

LEADERSNET: Sind potenziell alle Beschäftigten in den heimischen Industriebetrieben für eine Impfung namhaft zu machen?

Knill: Die Industrie appelliert an die Menschen, an den Testungen teilzunehmen. Wir alle haben es jetzt gemeinsam in der Hand, harte Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung in Zukunft zu verhindern und wieder zu einer Form der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Normalität zurückzukehren. In den Industriebetrieben haben wir aber gesehen, dass die Sicherheitsvorkehrungen sowie die Testungen sehr gut funktionieren.

LEADERSNET: Zählt die Pharmaindustrie nachhaltig zu den Gewinnern der Corona-Krise?

Knill: Die Corona-Krise zeigt den klaren Nutzen von technologischem Fortschritt – konkret greifbar wird das mit der Erforschung des Corona-Impfstoffes, den es ohne große forschungsintensive Konzerne nicht geben würde.

LEADERSNET: Wie kann man Forschung und Entwicklung in Österreich vorantreiben?

Knill: Forschung, Technologie und Innovationen machen die Betriebe krisenfest und fit für neues Wachstum. Genau das brauchen wir jetzt. Ohne die forschenden Unternehmen hätten wir einen volkswirtschaftlichen Dauer-Lockdown in Österreich. Umso mehr müssen die Unternehmen gerade jetzt in ihren F&E-Aktivitäten Kurs halten können. Dafür braucht es die Unterstützung durch die Politik – sowohl strategisch, durch eine neue, ambitionierte FTI-Strategie, als auch in finanzieller Hinsicht. Notwendig ist eine Technologieoffensive als Ticket in die Zukunft. Diese muss Themen wie moderne Produktionstechnologien, Tech for Green, Digitalisierung in der gesamten Bandbreite sowie Life Sciences umfassen. Entscheidend ist, dass der Fokus auch auf weitere wichtige Zukunftstechnologien, wie Künstliche Intelligenz (KI), geschärft wird. (jw)

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