LEADERSNET: Sollen wir uns über die voranschreitende Digitalisierung uneingeschränkt freuen oder gibt es auch Grenzen?
Schramböck: Die Krise hat die Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die digitale Zukunft gebeamt. Wir haben in den vergangenen Monaten gesehen, was alles möglich ist. Ein gutes Beispiel dafür sind die Bereiche Distance Learning und Home Office, wo man auf der einen Seite die Vorteile aber auch die Risiken gesehen hat. Deshalb ist es wichtig, dass bei der Digitalisierung der Mensch im Mittelpunkt steht. Die Digitalisierung soll den Menschen das Leben leichter machen, im Gesundheitsbereich, genauso wie im schulischen Bereich und in der Arbeitswelt. Wir sehen auch, dass jene Länder, die Vorreiter in der Digitalisierung sind – und hier reden wir nicht nur über digitale Kommunikation, sondern auch über smarte Produktion, Internet der Dinge (IoT) und technische Innovationen – eine geringere Arbeitslosigkeit und eine höhere Krisenresilienz haben.
LEADERSNET: Die Europäische Union (EU) hat sich in der Coronakrise nicht unbedingt durch Zusammenhalt ausgezeichnet. Was ist ihr Appell an die europäische Staatengemeinschaft?
Schramböck: Eines der wichtigsten Themen ist der europäische Binnenmarkt. Ich war erstaunt, wie schnell dieser Binnenmarkt gefallen ist – vor allem durch die beiden großen Länder Frankreich und Deutschland, die plötzlich den Export von medizinischen Schutzgütern verboten haben. Auch das derzeitige Verhalten von Ungarn ist vollkommen kontraproduktiv. Wir müssen den Fluss der Güter innerhalb Europas aufrechterhalten. Das ist eine unsere Stärken und hat uns zum heutigen Wohlstand geführt. Als Wirtschaftsministerin ist es mir natürlich ein Anliegen, dass die Unternehmen die Voraussetzungen haben, um innerhalb Europas frei wirtschaften zu können.
LEADERSNET: Warum hinkt Europa beim Thema Digitalisierung so stark hinter den USA hinterher?
Schramböck: Ein Thema, das in Europa bei der Digitalisierung stark gefördert wurde, ist der Konsumentenschutz. Konsumentenschutz ist wichtig, aber wir müssen auch unseren Unternehmen den Raum lassen, sich zu entwickeln und Innovationen voran zu bringen. Bei den Förderungen im Bereich Forschung sind wir hingegen recht gut unterwegs. Insgesamt muss das Thema Digitalisierung auf europäischer Ebene vorangebracht werden. Alleingänge der einzelnen Mitglieder bringen wenig. Nur dann schaffen wir es auch, dass die Unternehmen in Europa – anstatt in China oder den USA – investieren. Deshalb ist der Binnenmarkt auch so wichtig.
LEADERSNET: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die großen Online-Plattformen, wie etwa Amazon oder Google, so gut wie immer aus den USA aber nie aus Europa kommen?
Schramböck: Es ist tatsächlich so, dass im B2C-Bereich die Vereinigten Staaten dieses Thema komplett dominieren. Hier hat Europa sicherlich einiges verpasst, was auch an der Kleinteiligkeit der einzelnen Länder liegt. Ich kann mich also nur wiederholen: Es sind europäische Lösungen gefragt, statt Alleingänge einzelner Länder. Als EU sind wir sehr gut darin, Papiere zu entwickeln aber wir müssen uns auch fragen, wie wir diese Ideen und Projekte zu den Unternehmen und den Menschen bringen. Leider hat die Europäische Kommission in den vergangenen Jahren in diese Richtung nicht viel weiter gebracht. Deshalb haben wir uns jetzt als Länder zusammengetan, um beispielsweise eine europäische Cloud auf den Weg zu bringen. Es gibt viele gute Dinge, die schon da sind, die jedoch erst vernetzt und zusammengebracht werden müssen, um sie auf ein neues Level zu heben und damit wir global konkurrenzfähig bleiben. Wir müssen den europäischen Unternehmen ein Level Playing Field (gleiche Wettbewerbesbedingungen – Anm. d. Red.) mit den US-Unternehmen ermöglichen. Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir das Korsett für die Unternehmen nicht zu eng schnallen. Dafür braucht es ein gesamteuropäisches Wettbewerbsrecht, denn das können wir auf einzelstaatlicher Ebene nicht lösen.
LEADERSNET: Sie haben beim Accenture Digitalisierungs-Talk in Alpbach kürzlich erwähnt, dass sie an einem Projekt namens "Kaufhaus Österreich" arbeiten. Was hat es damit genau auf sich?
Schramböck: Beim "Kaufhaus Österreich" geht es darum, eine Metaebene zu schaffen, wo wir alle Angebote, Webshops, Plattformen usw., die es in Österreich gibt, sichtbar machen – so eine Art "Österreich-Ecke im Internet". Ich habe gerade in der Coronakrise erlebt, wie schwer es teilweise ist, auf österreichische Produkte und Händler zurückzugreifen, wenn man online einkauft. Deshalb ist es mir ein Anliegen, dieses Gütesiegel "Kaufhaus Österreich" zu schaffen, um auch kleine, heimische Händler im Internet sichtbar zu machen.
LEADERSNET: Wir befinden uns zweifelsohne in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – viele Folgen der Krise werden uns erst in den kommenden Monaten und im nächsten Jahr treffen. Was ist Ihre Durchhalteparole an die vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die vor massiven Herausforderungen stehen?
Schramböck: Die KMU haben bisher schon Großartiges geleistet. Wir haben versucht sie mit einem Hilfspaket im Ausmaß von 50 Milliarden Euro zu unterstützen. In der ersten Phase war das Ziel, die Liquidität zu erhalten. Jetzt in der zweiten Phase geht es darum, die Konjunktur so anzukurbeln, dass Investitionen getätigt werden können. Das ist ein Ökosystem, bei dem vor allem die mittelständischen Betriebe stark davon abhängen, welche Investitionen getätigt werden. Die Investitionsprämie ist ein wichtiges Mittel, um die Konjunktur anzukurbeln und vor allem zu verhindern, dass Investitionen hinausgeschoben werden oder gar aufgegeben werden. Die 14 Prozent bzw. sieben Prozent in cash zurück, sind für die Unternehmen eine wichtige Hilfe und für die Kleinen genauso zugänglich, wie für die Großen. Das fängt an bei 5.000 Euro pro Unternehmen und geht bis zu Investitionen in Höhe von 50 Millionen Euro. Dabei geht es nicht um Projekte, sondern um alle Investitionen, die ein Unternehmen tätigt.
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