Mucha: "Die meisten Marktanteile haben wir immer dann dazugewonnen, wenn es der Branche besonders schlecht gegangen ist"

Der Verleger im exklusiven Interview über die Profiteure der Krise, welche Medienunternehmen vom Markt verschwinden werden, wie er in das Medienpaket 3 involviert war und was es mit der "Baumarkt-Revue" auf sich hat.


LEADERSNET hat den Medienexperten und Brancheninsider Christian W. Mucha, Herausgeber von Zeitschriften wie ExtraDienst, FaktuM, FM und Elite, zum Gespräch über Status quo und Zukunft der Medienbranche gebeten.


LEADERSNET: Die Corona-Krise hat in den vergangenen Monaten deutliche Spuren in allen Branchen hinterlassen. Viele glauben, der Untergang so gut wie aller Medienhäuser steht bevor. Sehen Sie die Lage genau so kritisch?

Mucha: "Kein Problem", sagte Noah zu seiner Familie, die alle bis zum Hals im Wasser standen, "kommt einfach mit mir auf diese wunderschöne Arche …"

LEADERSNET: Welche Medienunternehmen sind dem Untergang geweiht?

Mucha: Definitiv alle, die nicht kreativ sind, die nicht proaktiv verkaufen und die keinen USP anbieten können. Aber die waren schon immer schwer gefährdet.

LEADERSNET: Hat aber Journalismus nicht gerade durch die Covid-19-Krise an Bedeutung gewonnen?

Mucha: Natürlich hat der Journalismus an Bedeutung gewonnen. Aber guter, unabhängiger Journalismus funktioniert nur dort, wo gutes Werbegeld fließt. Und das ist heuer in unzähligen Bereichen versickert. Das Geheimnis in solchen Zeiten heißt, dass man gezielt die Gewinner der Krise findet, mit ihnen Kooperationen sucht und dort sein Geld macht.
Wir haben eine der größten Gastronomie- und Hotellerie-Zeitschriften und die größte Reisezeitschrift des Landes. Und  haben trotzdem im ersten Halbjahr lediglich ein Minus von 1,44 Prozent hinnehmen müssen. Vor allem deshalb, weil wir als einer der ersten erkannt haben, wer die Covid-19-Profiteure sein werden und die ersten waren, die diese überzeugt haben, starke Werbung zu machen  bei uns. Genau diese Aufträge haben uns gerettet.

LEADERSNET: Zeigen Krisen deutlich auf, wo wirklich Qualität produziert wird?

Mucha: Die meisten Marktanteile haben wir immer dann dazugewonnen, wenn es den von uns belegten Branchen schlecht gegangen ist. 2008 haben wir gleich vier Mitbewerber geschluckt ...

Doch nicht wir haben dafür gesorgt, dass sie das Zeitliche segnen, sondern sie konnten einfach mit der damaligen massiven Medien-Rezession nicht zurecht kommen. Im heurigen Jahr hat sich natürlich vor allem in der Reise-, Gastronomie- sowie Hotellerie-Fachmedien-Szene viel getan. Da zählen wir zu den letzten Mohikanern.

LEADERSNET: Pandemieopfer Pressefreiheit. Wie beurteilen Sie die Situation?

Mucha: Natürlich ist es niemandem gut bekommen (denn die meisten Medien haben sich damit gerettet, dass sie mehr denn je öffentliche Gelder von Bund, Ländern, Ministerien und Interessenvertretungen eingesammelt haben), wenn er Corona  leugnet. Wer das als Eingriff in die Pressefreiheit versteht oder wer es als Einschnitt versteht, die Aktivitäten der Regierung nicht mehr kritisch kommentieren zu dürfen, weil man sonst die Werbegelder verliert, der hat natürlich ein Stück Freiheit verloren.

Ich persönlich habe deshalb nichts verloren, weil ich fest daran glaube, dass die Regierungsmaßnahmen das einzig Richtige waren.

LEADERSNET: Welcher Voraussetzungen bedarf es, um in der aktuellen Lage als Medienhaus bestehen zu können oder sogar erfolgreich aus der Krise herauszugehen?

Mucha: Es bedarf sehr viel Fleiß, Flexibilität, unglaublicher Schnelligkeit beim Entscheiden und der Rücksichtslosigkeit beim Verhandeln, langjährigen Partnern alles abzutrotzen, soweit dies natürlich erträglich ist und für den Partner noch ein minimaler Profit über bleibt.Denn nur, wenn sich jetzt alle gemeinsam über die von Hochwasser bedrohte Brücke kämpfen, werden wir das andere Ufer erreichen.

LEADERSNET: Gibt es Maßnahmen, die man den Untergangsszenarien entgegen setzen kann?

Mucha: Ja, Ideen.

LEADERSNET: Welche Fehler machen Werbetreibende dieser Tage?

Mucha: Nicht zu werben.

LEADERSNET: In welchen Branchen funktioniert das Werbegeschäft 2020?

Mucha: Es gibt unzählige Profiteure der Krise. Das beginnt mit dem Möbelhandel. Die Vorstände der Firmen Lutz und kika/Leiner haben mir mitgeteilt, dass sie bis Jahresende den Lockdown nicht nur überwinden werden, sondern sogar noch Profit draufsetzen. Das ist schon sehr erstaunlich.

In Niederösterreich sitzt einer der größten Swimming-Pool- Hersteller Österreichs. Dessen Auftragsbücher sind voll. Alles, was mit Wohnung, Einrichten, Renovieren, Ausbauen und Garten zu tun hat, profitiert gewaltig von der Krise: Von der Bohrmaschine über den Akkuschrauber bis zu den Komfortliegen.

Echte Profiteure sind auch Elektroboot-Hersteller, die Lieferanten von Caravans und Wohnmobilen, aber auch alles, was mit dem Prepper-Phänomen zusammenhängt, hat ordentlich geboomt.

LEADERSNET: Wann rechnen Sie mit einer Erholung der Werbemärkte?

Mucha: Leider später als die meisten meiner Kollegen, mit denen ich mich austausche. Ich erwarte für den Spätherbst, Winter und das Frühjahr eine gewaltige Pleitewelle. Alleine in der Gastronomie werden drei von zehn Betrieben sterben, in der Stadthotellerie vier von zehn und in der Reisebranche wird jedes zweite Büro sperren. Das sind irre Eingriffe in ganze Branchen.

Wenn man sich vor Augen hält, dass im Tourismus weltweit zu Beginn der Krise jeden Tag über eine Million Menschen ihre Job verloren haben, dann versteht man erst, welche Dramatik in dieser Pandemie liegt. Da wir nun in Österreich hunderttausende Arbeitslose haben, etliche hunderttausend in Kurzarbeit und eine Insolvenzwelle, die auf uns zukommt, stellt sich naturgemäß die Frage, wer den Wirtschaftsaufschwung dann bewerkstelligen wird. Denn Arbeitslose werden nicht mehr als vorher konsumieren. Und Pleite-Firmen können den Markt nicht ankurbeln. Ich glaube deshalb, dass Covid-19 viele Unternehmer drei bis vier volle Jahresgewinne kosten wird.

Meine Einschätzung liegt doch bei etwa drei Jahren, die uns das Ganze mindestens noch gröber beschäftigt.

LEADERSNET: Wie beurteilen Sie die Corona-Sonder-Medienförderung? Sie waren ja maßgeblich am Medienpaket 3 beteiligt.  Wie kam es dazu?

Mucha: Es ist schwer, etwas zu beurteilen, an dem man selber mitgearbeitet hat. Ich hoffe aber, dass nach dem Lob, das mir von Seiten der Kollegenschaft einerseits und vom Bundeskanzleramt andererseits entgegengebracht wurde, der eine oder andere Kollege zufrieden mit meinen Ideen ist. 

Ich wollte unbedingt, dass Medien, die auch weniger oft als zwölf Mal im Jahr erscheinen, gefördert werden. Das war im ursprünglichen Vorschlag nicht vorgesehen. Jetzt erhalten auch Medien, die nur viermal im Jahr erscheinen, Unterstützung. Ich wollte, dass die Sache an das Personal gebunden ist. Denn was Fachzeitschriften betrifft, haben wir schätzungsweise 15.000 Titel, davon sind aber der Löwenanteil Karteileichen. Und so ist es, glaube ich, am klügsten, wenn man das mit dem Personalstand korreliert.

Das Medien-Paket 3 ist eine wertvolle Hilfe, aber sicher von der Dimension her keine Rettung. Würde ich es in Anspruch nehmen, läge der maximal ausschöpfbare Betrag in meinem Fall etwa bei 2,6% unseres Jahresumsatzes. Das rettet einen definitiv nicht …

LEADERSNET: Welche Visionen haben Sie für ihre Mediengruppe?

Mucha: Solange ich gesund bin, habe ich jede Menge Visionen.

LEADERSNET: Setzen Sie weiterhin auf bewährte Produkte? FM besteht ja beispielsweise schon seit 44 Jahren am Markt.

Mucha: Natürlich wäre es mir ein Herzensanliegen, FM und Faktum weiter herauszubringen. Im 1. Halbjahr 2020 haben wir das ganz gut geschafft. Ob das 2021 auch noch funktioniert  das wird von der Befindlichkeit der Branche einerseits, der Werbebereitschaft der Unternehmen andererseits und davon, wie wir Covid-19 unter Kontrolle bringen, abhängen.
Ich will aber – als Zweckpessimist  die Chancen mit fifty fifty annehmen. Und wenn es nicht klappt, dann machen wir etwas ganz anderes. Etwas völlig Neues: Eine Lebensmittelhandels Zeitung, einen Guide für Swimmingpools oder die Baumarkt-Revue bekanntlich gibt es ja nichts Gutes, außer man tut es. (jw)

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