Während manche Nachtgastronomen wie DOTS-Eigentümer Martin Ho während der COVID-19-Maßnahmen etwas zeitiger zu Bett gehen, um ausgeschlafen zu sein, findet in Sachen Clubszene ein politischer Traumtanz statt. Ob es ein böses Erwachen gibt oder doch einen legalen Wachkuss aus dem Dauerdornröschenschlaf, wollte LEADERSNET von Stefan Ratzenberger wissen, der die Interessen der Nachtgastronomie medienwirksam vertritt und sich für lange Partynächte ins Zeug wirft.
LEADERSNET: Die heimische Nachtgastronomie wurde durch die Coronakrise ironischerweise auch quasi "über Nacht" komplett eingeschläfert, wie und wie bald sie wiederauferstehen kann, ist und bleibt ungewiss. Als wie realistisch schätzen Sie aus heutiger Sicht die Durchsetzung der neuen Lockerungen, die für 1. August in Aussicht gestellt wurden, ein?
Ratzenberger: Die gesamte heimische Nachtgastronomie wurde vor vier Monaten als erste Branche geschlossen. So wie es derzeit aussieht, werden wir als letzte Branche wieder aufsperren. Wichtig war im Zuge der Verhandlungen mit Gesundheitsminister Anschober, Tourismusministerin Köstinger und WKO-Gastronomie-Obmann Pulker der Konsens im Verständnis für die Lage der Nachtgastronomen. Nicht das Öffnen allein stand hierbei im Vordergrund, sondern die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unserer Gäste und natürlich die Planungs- und Rechtssicherheit, sowie die Übernahme der 100-prozentigen Fixkosten jener Betriebe, die nach wie vor geschlossen halten müssen. Den Fahrplan haben wir nun, aber die Finanzierung fehlt. Aber wir stehen in Verhandlungen. Der 1. August wird durch keinen Nachtgastronom erzwungen, denn wir alle tragen die Verantwortung für die allgemeine Gesundheit zur Gänze mit. Nicht so die Veranstalter wilder und illegaler Feiern.
LEADERSNET: Dass das Nachtleben, so wie wir es kannten, im Angesicht der Krise für längere Zeit nicht mehr so stattfinden kann, wie wir es kannten, war schon sehr früh klar. Welche Betreuung, bzw. welche Maßnahmen hätten Sie sich von der Regierung von Stunde Eins des Lockdowns gewünscht?
Ratzenberger: Grundsätzlich muss man festhalten, dass wir mit einer Situation konfrontiert sind, wie wir alle es noch nie waren – und hoffentlich nie wieder sein werden. Aber weniger Ankündigungspolitik und mehr Umsetzung wären wünschenswert gewesen. Der wohl gefährlichste Satz der Bundesregierung "Koste es was es wolle!" wird nun von allen Unternehmern so verstanden und vor allem so erwartet. Mein Appell an die Bundesregierung: "Handeln Sie jetzt – warten Sie nicht noch länger zu!" Andernfalls werden wir uns mit unzähligen verschleppten Insolvenzen konfrontiert sehen.
LEADERSNET: Welche Schritte müssen Ihrer Meinung nach umgehend gesetzt werden um das Überleben der heimischen Bar- und Clubszene zu sichern und ein "Massensterben" zu verhindern? Was darf noch warten, was nicht?
Ratzenberger: Unabdingbar ist die Erweiterung des Fixkostenzuschusses auf 100 Prozent für all jene, die bisher noch immer nicht aufsperren konnten. Weiters muss ein Finanzunterstützungspaket geschnürt werden, um die schrittweise Öffnung zu begleiten. Steuerliche Reduktion auf Eintritte, Garderobe, der Fall der Steuer auf ausländische Künstler etc. - es gibt ausreichend Möglichkeiten seitens des Staates mit einfachen Mitteln zu helfen. Unser erster Vorschlag zu Beginn der Verhandlungen war die temporäre Liberalisierung der Öffnungszeiten bzgl. der Betriebsanlagengenehmigung für die Dauer der durch die österreichisch Bundesregierung gesetzten Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19. So dürfen Diskotheken erst um 22.00 Uhr öffnen. Bei einer gesetzlichen Schließung um 23.00 Uhr und später um 1.00 Uhr ist ein wirtschaftlicher Totalschaden. Eine Liberalisierung hätte hier geholfen. Die rasche Umsetzung wurde zugesagt. Realisiert wurde dies nie. Es kommt einer "coronabedingten Zwangsverstaatlichung" gleich.
LEADERSNET: Wo sehen Sie Potenzial für Schulterschlüsse bzw. Synergien mit anderen Branchen und Wirtschaftszweigen, um sich gegenseitig durch die Krise zu helfen?
Ratzenberger: Gering. Es muss eine klare Regelung für die heimische Nachtgastronomie geben. Nicht in Kooperation und Abhängigkeit mit oder von anderen Branchen. Nur das schafft Rechtssicherheit. Im Kleinen mag es funktionieren, aber nicht mehr.
LEADERSNET: Können Einzelne bzw. Privatpersonen etwas tun, um ihre Lieblingsnachtlokale in diesen schweren Zeiten zu stützen? Wenn ja, was?
Ratzenberger: Absolut! Besuchen Sie Ihre Stammlokale. Auch, wenn es zeitlich begrenzt um 1.00 Uhr zu Ende ist – aber damit unterstützen Sie nicht nur den Gastronomen, sondern alle Mitarbeiter und die Familien. Aber vermeiden Sie illegale und "wilde" Partys. Sie riskieren damit die Gesundheit der Allgemeinheit. Danke!
LEADERSNET: Wie kann Ihrer Meinung nach die Nachtgastronomie in einer "neuen Normalität" nachhaltig funktionieren – auch, falls die Regierung angesichts einer zweiten Welle die Maßnahmen wieder verschärfen muss?
Ratzenberger: Es wird bei einer zweiten Welle wieder zu einer Schließung der heimischen Nachtgastronomie kommen. Das ist aus epidemiologischer Sicht nachvollziehbar. Allerdings muss es bis dahin eine 100-prozentige Absicherung für die heimische Nachtgastronomie geben. Andernfalls wird es sehr leise werden in Österreichs Nächten. Gar nicht zu sprechen von dem unglaublichen Kulturverlust.