Er ist das konzern-gewordene Böse, zumindest wenn es nach dem jüngsten Bericht von Migthy Earth geht: die Rede ist von Cargill, einem Agrarmarkt-Giganten, der viele Big Player der Lebensmittelindustrie sowie Supermarkt-und Restaurantketten wie Nestlé, Hofer oder McDonalds beliefert. Laut dem detaillierten Enthüllungsbericht soll der Konzern mitverantwortlich für eine Vielzahl an Vergehen sein – darunter Kinderarbeit, Regenwaldzerstörung und Umweltverschmutzung.
"Heute hat ein privat geführtes Unternehmen vielleicht mehr Macht, das Klima, das Wasser, die Ernährungssicherheit, die öffentliche Gesundheit und die Menschenrechte der Welt zu zerstören oder zu schützen als jedes andere Unternehmen in der Geschichte.": mit diesen Worten beginnt der Bericht der Umweltschutzorganisation Mighty Earth über den weltweit agierenden US-Agrarkonzern Cargill, zu dessen Kunden auch deutsche Supermärkte und Schnellrestaurants gehören. Auch wenn Cargill den meisten Menschen unbekannt ist: Das Unternehmen liefert vieles, was auch nur entfernt für die Lebensmittelproduktion notwendig ist - entkommen kann man ihm kaum.
Unsichtbarer Produzent für (fast) alles: Cargill ist überall
Cargill baut Baumwolle, Weizen, Ölsaaten, Mais, Gerste sowie Hirse an und verkauft, transportiert, lagert und verarbeitet die Rohstoffe. Er stellt Futtermittel (und Zusatzstoffe) für Rinder, Schweine, Geflügel und Fische her, berät US-Bauern und bietet weltweit Risikomanagement-Dienstleistungen an. Ebenso ist der Goliath-Konzern der größte Hersteller von Rinderhackfleisch und bratfertigen Hamburgern weltweit: einer seiner Hauptkunden ist McDonald's, für den Cargill auch die Chicken McNuggets herstellt.
Aber das Portfolio des Agrar-Riesen endet hier noch lange nicht: auch Lebensmittel wie Kakao und Schokolade, Glasuren und Füllungen, Tortillas, Salz, Öle und Fette, Süßungsmittel, Fleisch- und Eiprodukte sowie hochverarbeitete Produkte stellt Cargill her. Ebenso Lebensmittelzusatzstoffe wie Stärke, Proteine, Emulgatoren, Pektine, Carrageene, Lecithine und andere chemische Produkte. Und die Liste geht mit Beschichtungen für Pfannen und Backblechen, Zusatzstoffen für Kosmetika, Straßenbelägen, Biotreibstoffen, Straßensalz und Enteisungsmitteln weiter.
Scheinheiliges Auftreten
Anmerken lässt sich Cargill seine vermeintlich sündigen Methoden freilich nicht: auf seiner Website wirbt der Konzern mit dem Wohltäter-Slogan: "Cargill setzt sich dafür ein, dass die Welt gedeiht." Viel eher müsse es heißen: "Cargill setzt die Welt dafür ein, dass das Unternehmen gedeiht", so legt es der Bericht von Mighty Earth wenig subtil nahe.
Die Organisation recherchiert seit Jahren weltweit zu Unternehmen, die Regenwälder roden, um Plantagen für Soja, Kakao oder Palmöl anzulegen, die Arbeiter- und Menschenrechte missachten und die Umwelt verschmutzen. Ob in Südamerika, in Afrika, in Asien oder in den USA: Cargill ist fast immer irgendwie dabei. Für Mighty Earth ist der Konzern damit "das schlimmste Unternehmen der Welt".
"Strafregister" auf 50 Seiten
Der aktuelle Bericht von Mighty Earth listet auf 50 Seiten die möglichen Verfehlungen des Unternehmens auf. Es ist eine Sammlung aus eigenen Recherchen, öffentlichen Verfahren gegen Cargill und Erkenntnissen von Behörden und anderen Organisationen. Hier ein unvollständiger Überblick:
In Südamerika ist Cargill dafür verantwortlich, dass große Flächen Regenwald für den Sojaanbau abgeholzt werden. Auch Kinderarbeit ist auf Plantagen weit verbreitet. Derzeit wird eine Klage gegen Cargill (und Nestlé) vorbereitet, weil das Unternehmen Kakao von Plantagen gekauft hat, auf der Kinder dazu gezwungen wurden, bis zu 14 Stunden täglich zu arbeiten, ohne Geld, mit wenig Essen und Schlaf und regelmäßigen Schlägen. Die Kinder sollen zuvor aus Mali in die Elfenbeinküste verschleppt worden sein.
In den USA ist Cargill 2005 von der Regierung und zehn Bundesstaaten wegen systematischer Verletzung der Luftreinheitsgesetze verklagt worden. Mehrere Fälle von Salmonellen- und E.Coli-Ausbrüchen sind auf verunreinigtes Fleisch in Fast-Food-Ketten von Cargill zurückgeführt worden. In Kolumbien soll Cargill sich unrechtmäßig Land angeeignet haben. Durch Gründung von 36 Tochterunternehmen soll der Konzern Gesetze gegen die Konzentration von Landbesitz umgangen und mehr als 52.000 Hektar gekauft haben.
Den Bericht im Detail finden Sie in englischer Sprache hier.
Mighty Earth: "Cargill lässt nicht mit sich reden"
Mighty Earth nimmt vor der Veröffentlichung seiner Berichte Kontakt mit den Unternehmen auf, die sie anprangert. Die Idee dahinter: Die Firmen können reagieren, Verantwortung übernehmen und sich öffentlich zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten - das wird dann in den Bericht aufgenommen. Dann ändere sich mehr, als wenn das Unternehmen nur angeprangert wird.
Auch mit Cargill hat Mighty Earth das versucht, doch der Konzern zeigte sich laut der NGO uneinsichtig. Im Januar dieses Jahres hat die Organisation dem Konzern den Berichtsentwurf zukommen lassen. Wenige Tage vor Veröffentlichung habe Cargill-Chef David MacLennan persönlich um Zeit gebeten, um die Empfehlungen des Berichts zu überdenken und gegebenenfalls umzusetzen. "Es ist ungewöhnlich, dass sich ein Unternehmenschef persönlich äußert. Wir haben ihm geglaubt und die Veröffentlichung zurückgehalten", erzählt Mighty-Earth-Geschäftsführer Glenn Hurowitz dem Spiegel. Und fügt an: "Den Fakten in unserem Bericht hat Cargill nicht widersprochen."
Laut Hurowitz folgte ein wochenlanges Hinhalten: "MacLennan hat versprochen, Rodungen zu stoppen und den Kauf von Kakao aus Plantagen in Nationalparks." Geschehen sei aber nichts - fünf Monate lang. "Offenbar folgt das Unternehmen seinem Chef nicht", sagt Hurowitz mit einer Mischung aus Frust und Verwunderung.
Handlungsbedarf bei Kundenunternehmen
Handlungsbedarf besteht vor allem bei den Direktabnehmern Cargill, also den großen Kundenunternehmen. Denn: Endverbraucher können kaum etwas direkt gegen den Konzern ausrichten, Cargill-Produkte zu vermeiden ist schwierig: der Name steht nicht auf der Verpackung.
Mighty Earth ruft deshalb vor allem Cargills Geschäftskunden dazu auf, auf nachhaltige Unternehmensrichtlinien zu dringen, die die Umwelt und die Menschenrechte schützen. Meinen seine größten Kunden - wie McDonald's, Burger King, Aldi/Hofer, Edeka, Danone, Walmart, Nestlé, Unilever, Kellogg's und die Supermarktkonzerne Tesco, Carrefour und Ahold Delhaize - es mit Nachhaltigkeit ernst, so Mighty Earth, dann sollten und werden sie ihre Verbindung zu dem Agrarkonzern kappen.
Allerdings, das räumt auch Mighty-Earth-Chef Glenn Hurowitz ein, dürfte es schwierig werden, sich dem Weltmarktführer in so vielen Bereichen komplett zu entziehen. "Sie könnten ihre Rohstoffe zum Beispiel von Louis Dreyfus kaufen" - einem der größten Cargill-Konkurrenten, dessen Umweltbilanz nicht viel weniger desaströs ausfiel, der sich aber empfänglicher für die Argumente von Mighty Earth zeigte. (red)
www.mightyearth.org
www.cargill.de