Berlitz bietet sowohl Sprachunterricht für Kinder, Jugendliche und Erwachsene als auch Sprachtraining, Businesstraining und interkulturelles Training für Unternehmen. LEADERSNET hat Berlitz Österreich-Geschäftsführer Heino Sieberath getroffen und sich mit ihm über die Veränderung der deutschen Sprache, Einflüsse auf unsere Sprache und die Jugendsprache unterhalten. "Zu diesem Thema haben die Meisten eine eigene Meinung", konstatiert Sieberath. "Ich persönlich habe mich damit etwas beschäftigt und appelliere für etwas mehr Gelassenheit."
LEADERSNET: Welchen Einfluss haben Anglizismen und Migration auf die Veränderung der deutschen Sprache?
Sieberath: Grundsätzlich unterliegen alle Sprachen einem fortlaufendem Wandel. Die deutsche Sprache verändert sich nicht erst seit der Amerikanisierung unserer Kultur und dem damit verbundenen Einzug der Anglizismen oder seit den frühen 1960er Jahren, als Türken als Arbeitskräfte nach Deutschland kamen und den Turzismus im Gepäck hatten. Geschichtlich waren es meist militärische Auseinandersetzungen, Kolonialisierungen und andere Ursachen, die eine Völkerwanderung verursachten, im Zuge dessen es dann auch zu einer fremdsprachlichen Vermengung von Kulturen und Sprachen kam. Die deutsche Sprache hat sich immer entwickelt. Die Zahl der Anglizismen wächst, und seit Jahrhunderten macht sich der Einfluss der französischen Sprache, des Lateinischen oder des Italienischen bemerkbar. Basierend darauf haben auch die jüngste Migration und weltweit steigende Fluchtursachen einen Einfluss auf die deutsche Sprache. Es ist in allen deutschsprachigen Ländern ein Phänomen, dass die Sprache sich rasant verändert.
LEADERSNET: Wie macht sich diese Veränderung aktuell bemerkbar?
Sieberath: Der Gesamtwortschatz scheint zu schrumpfen, es gibt phonetische Änderungen – aus "ich" wird beispielsweise "isch" – Artikel werden weggelassen und Satzkonstruktionen werden vereinfacht. Grundsätzlich muss hier aber auch die Abgrenzung zwischen Sprache und Dialekten und deren veränderte Nutzung näher betrachtet werden.
LEADERSNET: Was ist der größte Antrieb für den Wandel der Sprache?
Sieberath: Es sind Lebensveränderungen, soziologische Einflüsse, technische Entwicklungen, die Globalisierung, Umweltbedingungen und politische Veränderungen, die den Wandel fördern und damit auch die Kommunikation verändern. Es kommen viele neue Wörter hinzu, manche verschwinden wieder oder aber bleiben und werden an nachfolgende Generationen weitergeben. Das "Jugendwort des Jahres 2017" vom Langenscheidt Verlag ist "I bims" (Ich bin es – Anm. d. Red.). Bei vielen neuen Jugendwörtern kommen Fragezeichen beim Gegenüber auf und manche Begriffe laden zum Schmunzeln ein: der Teilzeittarzan (jemand, der sich hin und wieder wie ein Affe verhält), tacken (während des Toilettengangs Nachrichten schreiben), looten ersetzt das Shoppen und das napflixen ist ein Nickerchen halten, während ein Film läuft. Tinderjährig ist derjenige, der alt genug ist, um diese Dating-App zu benutzen und sozialtot ist der, der keine Präsenz in sozialen Medien hat. "Was ist das für 1 Life" drückt das Erstaunen über eine außergewöhnliche Situation aus. "Geht fit" kommt dem österreichischen "passt schon" am nächsten. Das "Fernschimmeln" ist das Chillen am nicht gewohnten Platz und die "Noicemail" ist eine nervige Sprachnachricht. Wie Sie an diesen Beispielen sehen: Es wird bunter, umschreibt typische und zum Teil neue Situationen und ersetzt gegebenenfalls den Spitzbuben, die Bordsteinschwalbe und das Abspielgerät. Hinzu kommen viele neue Abkürzungen, die praktischerweise gerade in den sozialen Medien hilfreich sind: auch hier gilt Schnelligkeit vor Korrektheit: ka (keine Ahnung), lol (lough out loud), yolo (you only live once) , bibi (bye bye), omg (oh my god), sry (sorry), kp (keinen Plan) oder ggg (ganz groß grins).
LEADERSNET: Gerade die ältere Generation macht die Jungen gerne dafür verantwortlich, dass die deutsche Sprache nicht mehr das ist, was sie mal war …
Sieberath: Ja, das hat es aber immer schon gegeben. Es sind die unmittelbar nachfolgenden Generationen, die sich mit der Adaption oft schwer tun, die Veränderungen nicht gelassen hinnehmen und die "Jugend" zum Sündenbock machen. Im Mittelalter gab es beispielsweise gar keine Anglizismen: fair war rechtens oder ritterlich, der Trick war ein Kunststück, Sport die Ertüchtigung und das Baby ein Säugling. Doch wer würde heute im Restaurant anstatt eines Steaks einen köstlichen Fleischlappen und dazu einen Humpen von Gerstensaft bestellen? "Dürfte ich meine Afterballen hier platzieren?" ("Darf ich mich setzen?" – Anm. d. Red.) würde zumindest zu einiger Verwunderung beim Kellner führen.
LEADERSNET: Was stört die Älteren Ihrer Meinung nach am meisten am Sprachgebrauch der Jugendlichen?
Sieberath: Oft klingen Wörter und Redewendungen der Jugendlichen beleidigend und die Jugendlichen sagen selbst: Das sind Wörter, die andere provozieren. Sie werden eingesetzt, um sich Gehör zu verschaffen, um Macht zu demonstrieren oder einfach nur eine Zugehörigkeit darzustellen. Sie werden jedoch meist als neutrale Wörter gesehen und sind teilweise sogar liebevoll und anerkennend gemeint. Das führt zwangläufig zu Irritationen bei früheren Generationen. Eltern und Großeltern stören sich daran, weil diese Wörter mit Tabus und den Konventionen von Anstand, die wir in unserer Erwachsenenwelt klar geregelt haben, brechen. Dabei können die Jugendlichen sehr gut unterscheiden, an wen sie sich wie adressieren. Oft benutzen sie die Sprache nur untereinander, um selbst ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit zu markieren und Respekt zu erhalten. Also genau das Gegenteil von dem, was wir Erwachsene denken.
LEADERSNET: Wo liegen die Unterschiede in der Verwendung der Sprache zwischen den verschiedenen Altersgruppen?
Sieberath: Jedes Jahr werden neue Wörter in den Duden aufgenommen und andere sind bereits nicht mehr im Sprachgebrauch oder zählen zu den bedrohten Wörtern. Wenn Großmutter ihr Nachmittagskleid zum Damengedeck trägt, den Enkel als Dreikäsehoch betitelt und das Smartphone als unwichtigen Firlefanz degradiert, dann erkennen wir die Unterschiede in unserer Kommunikation innerhalb der Generationen unmittelbar im täglichen Leben. Wobei das eine Frage der Perspektive ist, aus welcher Generation die Beteiligten eines Gesprächs sind.
LEADERSNET: Welche besonderen Merkmale zeichnen die Jugendsprache aus?
Sieberath: Die Merkmale der Jugendsprache sind breit gefächert und kreativ. Sie variieren von Großstadt zu Großstadt, von Stadtteil zu Stadtteil, sogar von Clique zu Clique. Schließlich wird die Sprache durch mehrere Faktoren beeinflusst: den regionalen Dialekt, die Sprache er lokalen Migrantengruppen, die Sprache der Bezugspersonen und natürlich durch die Schule. Diese Entwicklung kann als auch als etwas Positives und als multikulturelle Bereicherung gesehen werden.
LEADERSNET: Viele Menschen regen sich über Anglizismen auf, getrieben von der angeblich unaufhaltsamen Flut von englischen Wörtern, die ins Deutsche schwappt. Wie hoch ist eigentlich die Anzahl der Anglizismen, die in den deutschen Sprachgebrauch übergegangen sind, tatsächlich?
Sieberath: Es gab schon viele Untersuchungen über englischstämmige Wörter, deren Schätzungen und Aussagen über die Anzahl variieren, sie liegen vermutlich bei ca. 14.000. Das Make-up, den All-inclusive-Urlaub, die Bahn-Card, den Bodybuilder das Computer-Training, die Moonboots oder das Chip sind nicht mehr wegzudenken. Dabei handelt es sich oft um Exotismen und Eigennamen, die nur in englischen Sprachraum bekannt sind und zu denen es kaum passende Übersetzungen gibt.
LEADERSNET: Ist die deutsche Sprache eigentlich besonders "anfällig" für die Verwendung von Anglizismen?
Sieberath: Wahrscheinlich stellen die deutschen Anglizismen im Vergleich zu anderen europäischen Sprachen keinen Sonderfall dar. Man kann davon ausgehen, dass die Jugendsprache und die Nutzersprache im Internet einen besonders hohen und auch steigenden Anteil von Anglizismen aufweist. Es gibt jedoch keine strukturellen Untergangszenarien der deutschen Sprache.
LEADERSNET: Es besteht also keine konkrete Gefahr, dass die deutsche Sprache ausstirbt?
Sieberath: Nein, aber es stimmt uns traurig zu hören, dass ca. 3.000 Sprachen weltweit vom Aussterben bedroht sind. Derzeitig gibt es noch knapp 7.000 Sprachen und nach Schätzung der UNESCO wird bis Ende des 21. Jahrhunderts nur noch die Hälfte davon existieren. Die Gesellschaft für bedrohte Sprachen warnt, dass damit auch sehr viel Wissen verloren gehen wird. Es sind meist indigene Sprachen mit vergleichsweise wenigen Sprechern, die verschwinden. Es sind jedes Jahr vier Sprachen weltweit, die dieses Schicksal betrifft. Wenn eine Sprache nicht mehr von Kindern gesprochen wird, dann wird sie innerhalb einer Generation ausgestorben sein. Und wenn nur noch die Großeltern die Sprache sprechen, dann nennen wir das eine moribunde Sprache, deren Aussterben kurz bevor steht. Potentiell gefährdet sind in Europa zum Beispiel das Baskisch und Walisisch, gefährdet ist auch das Burgenlandkroatisch in Österreich und bereits moribund sind das Kornisch (Cornwall, Großbritannien – Anm. d. Red.) und das Tsakonisch in Griechenland.
LEADERSNET: "Liest die heutige Jugend noch?", ist eine Frage, die sich viele Erwachsene stellen. Wie sieht es in der Realität aus? Lesen Jugendliche gar nicht mehr, weil sie lieber am Smartphone und vor ihrem Laptop sitzen oder hat sich das Leseverhalten dieser Generation einfach verändert?
Sieberath: Noch nie haben Menschen über so viele Kanäle Informationen erhalten: Sie lesen, eignen sich Wissen an, informieren sich, verknüpfen Wissen, sorgen für ihr passendes Entertainment. Verschiedene Studien belegen, dass der Einzug digitaler Medien in den Jugendzimmern andere Mediengattungen nicht zwingend verdrängen muss. Meine persönliche Erfahrung und Meinung ist, dass die Jugend heute nicht weniger liest, sondern eher umfangreicher informiert ist, Informationen über diverse Zugänge erhält, weitaus stärker vernetzt und das Interesse an Bildung und Wissen vorhanden ist.
LEADERSNET: Welche Erfahrungen machen Sie bei Berlitz mit Jugendlichen?
Sieberath: Wir haben bei Berlitz einen wachsenden Anteil von Jugendlichen, die nicht nur ihr Englisch verbessern möchten – meist im Rahmen der Nachhilfe oder als Maturavorbereitung – sondern mit höheren und besseren Vorkenntnissen kommen und/oder eine weitere Fremdsprache lernen möchten. Sie sind lernwillig, erkennen die Vorteile fremdsprachlicher Kommunikation und lassen nicht darauf schließen, dass sie weniger lesen. Selbstverständlich reicht der wöchentliche Kurs einmal abends im klassischen Präsenzunterricht und das Übungsbuch für zu Hause nicht mehr aus: E-Learning, Blended Learning, Lern-Apps, virtuelles Training und fremdsprachliche Chats sind nachvollziehbare Anforderungen der Jugendlichen, denen wir als Bildungsträger Rechnung tragen müssen. Daran sehen wir, dass auch das Lernen in den Fragen wann, wie und in welchem Format sich geändert hat, jedoch nicht zum Nachteil. Informationen werden einfach anders und schneller herangezogen und aufgenommen.
LEADERSNET: Welchen Umgang mit dem Thema empfehlen Sie persönlich?
Sieberath: Mein persönlicher Vorschlag: mehr Akzeptanz für die Jugendsprache und den damit einhergehenden Veränderungen, ohne dass wir krampfhaft versuchen, die Sprache auf uns, den Erwachsenen zu übertragen, sodass wir nicht "abloosen" und uns nicht "zum Willi oder Horst machen", weiterhin ausländische Kulinarik wie Ayran, Köfte und Baklava genießen und den Wandel insgesamt als Bereicherung ansehen und den Jugendlichen ein wenig mehr Gelassenheit entgegenbringen.
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