Krieg mitten in Europa, eine Hochphase der Rechtspopulist:innen, Inflation, hohe Zinsen, Deindustrialisierung, demographischer Wandel und Fachkräftemangel. Die aktuelle politische Situation ist weder im kleinen Österreich noch im großen Europa besonders rosig. Man hat das Gefühl, die Politik sitzt wie das Kaninchen vor der Schlange und wartet starr vor Angst, bis es gefressen wird. Ob es um die langfristige Sicherung unserer Sozialsysteme geht, oder um eine Wirtschaftspolitik jenseits des bloßen Alimentierens mit milliardenschweren Förderungen. Wie können wir uns vor Populist:innen schützen, deren einziges Ziel es ist, unsere demokratischen Strukturen zu schwächen? Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges wird auch klar, dass die Europäische Union nicht auf eine militärische Verteidigung ausgelegt ist, sollte das notwendig sein. Dies erscheint umso brisanter, als nach einem Wahlsieg von Donald Trump absehbar ist, dass die USA ihr Engagement in Europa massiv reduzieren würden.
Seidenstraßenpolitik
Schaut man über den Tellerrand der EU, dann muss man erkennen, dass der Westbalkan Österreich geographisch und historisch sehr viel näher ist, als so mancher westliche EU-Partner. Und in dieser Region wird die Tatenlosigkeit der EU schon länger mit großer Sorge zur Kenntnis genommen. Vor allem die großen europäischen Player Deutschland und Frankreich zeigen kein wirkliches Interesse an dieser boomenden Region. Obwohl deren geopolitische Bedeutung völlig unbestritten ist.
China hat dies früh erkannt und schon vor zwanzig Jahren begonnen, mit fast allen Westbalkanstaaten (u.a. Montenegro, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Slowenien, Serbien, Nordmazedonien, Rumänien, Ungarn, Moldau) Verträge zu schließen, Kredite zu vergeben, oder Infrastruktur aufzubauen. Diese Seidenstraßenpolitik war bislang erfolgreich und hat China Einfluss im Westbalkan gebracht.
Euphorie und Enttäuschung
Die EU hingegen hat mit vielen dieser angesprochenen Westbalkan-Staaten Vorverhandlungen und Prüfungen für einen EU-Beitritt begonnen – sehr zur Freude der Bevölkerung dieser Staaten, die sich von einem EU-Beitritt zurecht wirtschaftlichen Aufstieg und politische Stabilität erwarten. Viel weitergegangen ist auf diesem Weg aber bislang nicht und so ist die Euphorie einer großen Enttäuschung gewichen. In dieses negative Klima stoßen immer mehr Populist:innen, deren nationalistische Parolen auf fruchtbaren Boden fallen. Und auch das große, jahrzehntelang taktgebende, Russland nutzt dieses Vakuum einer weit entfernten europäischen Integration, um den Westbalkan wieder stärker an sich zu ziehen. Deutlich zu sehen ist diese Strategie an den sehr freundschaftlichen Beziehungen Serbiens zu Russland. Wladimir Putin ist sehr beliebt bei der serbischen Bevölkerung, über 200.000 Russ:innen leben in Serbien, rund 7.000 russische Unternehmen sind dort registriert. Dieses Serbien ist seit vielen Monaten dabei, innerhalb der Region zu zündeln. In Bosnien und Herzegowina, im Kosovo, wo es Ende 2023 fast zu einem bewaffneten Konflikt gekommen wäre. Viele Beobachter:innen meinen dahinter die Unterstützung Russlands zu erkennen, das von einem instabilen Balkan profitiert.
Was aber ist die Alternative, um die aufstrebenden Balkanstaaten dem Einfluss Russlands zu entziehen? Sind diese Staaten bereits "EU ready"? Sicherlich nicht wenn man sich die Demokratiedefizite bei Wahlen anschaut, die weiterhin dominierende Korruption oder die Migrationspolitik. Und die vergangenen Monate haben gezeigt, dass auch der Kosovo-Konflikt längst noch nicht aufgearbeitet ist.
Sprachrohr und Vermittler
Eben deswegen wäre die Europäische Union in dieser Situation sehr gut beraten, den Balkanstaaten eine wirklich klare Beitritts-Perspektive zu geben, ehrliches Interesse an einer europäischen Integration zu signalisieren, sie viel mehr zu unterstützen auf diesem Weg. Nur so ist die EU ein echtes Gegengewicht zu den Avancen Russlands und die Zeit drängt! Die beängstigende Alternative wäre es wohl, an den EU-Außengrenzen nur noch Europagegner vorzufinden, die auch noch Russland nahestehen, von Putin abhängig sind und deshalb seine außenpolitischen Ziele mitten in Europa durchzusetzen versuchen.
Vor allem Österreich – seit jeher diplomatische und politische Brücke zwischen Ost und West – muss hier aktiver werden, Sprachrohr und Vermittler sein, die positive Vision eines gemeinsamen Europas propagieren, in dem jeder Mitgliedsstaat großen Einfluss und Mitgestaltungsmöglichkeit haben kann. Hier schließt sich der Kreis zu unserer 240-jährigen Unternehmensgeschichte als österreichisches Unternehmen mit vielen Anknüpfungspunkten in die Balkanregion. Ihre kulturelle, wirtschaftspolitische und geopolitische Bedeutung muss erkannt und wertgeschätzt werden.
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