Die Ukraine macht nicht nur an der Front Fortschritte, sondern auch bei der Entwicklung der Demokratie

| Redaktion 
| 04.09.2023

Effizienz der Sanktionen gegen Russland soll erhöht werden – vor allem auch innerhalb der Ukraine. Gastkommentar von Rostyslaw Kravets.

 

Die Effizienz der Verhängung von Sanktionen gegen Russen und ihre Verbündeten als Folge der Aggression gegen die Ukraine bleibt ein Thema, das sowohl in der Ukraine als auch in der EU heftig diskutiert wird.

Neben dem heißen Krieg an der Frontlinie bemüht sich Kiew aktiv darum, dass die Russen auch wirtschaftliche Verluste erleiden.

Die Europäische Union, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und andere westliche Länder kündigen immer mehr neue Sanktionslisten an. Diese umfassen sowohl russische staatliche Strukturen wie auch russische Oligarchen und deren Unternehmen. Die Ukraine verfolgt ihre Sanktionspolitik in dem Versuch, den russischen Einfluss auf ihre wirtschaftliche Entwicklung zurückzudrängen.

Die größten russischen Banken wurden vom SWIFT-System abgekoppelt. Mehr als 300 Milliarden Dollar an russischen Vermögenswerten wurden im Ausland eingefroren, und mehr als 1.000 westliche Unternehmen haben Russland verlassen. Vor allem amerikanische Investmentbanken, die nicht mehr in Russland investieren können. Im Gegenzug hat Europa, das zu den wichtigsten Entscheidern gehört, die Einfuhr von russischem Öl und Gas stark eingeschränkt.

Sanktionsmechanismus muss verbessert werden

Doch die Auswirkungen der wirtschaftlichen Bestrafung für Russlands Aggression wird wahrscheinlich länger dauern als erwartet. Laut der Prognose des Internationalen Währungsfonds wird das russische BIP im Jahr 2023 um 1,5 % und im Jahr 2024 um 1,3 % wachsen.
Zwar halten Beobachter die Zahlen des IWF für zu optimistisch, doch sind internationale Think-Tanks der Ansicht, dass die Sanktionspolitik gegenüber Russland verbessert werden muss. Vor allem haben die Sanktionen Russland nicht von den Märkten des globalen Südens und Chinas isoliert. Moskau musste zwar neue Methoden zur Umgehung der Sanktionen erfinden. Doch der Kreml hatte immer noch die Möglichkeit dazu. Die Sanktionen sind zwar nach wie vor ein wirksames Instrument, um das Regime von Wolodymyr Putin zum Nachdenken über seine Handlungen anzuregen, konnten aber die Fortsetzung der Aggression gegen die Ukraine nicht verhindern.

Aus öffentlich zugänglichen Berichten ukrainischer Regierungsstellen geht hervor, dass die Russen beispielsweise weiterhin Raketen herstellen, die vor allem für Angriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine verwendet werden. Dabei sollten die Sanktionen die Entwicklung Russlands, vor allem im militärisch-industriellen Komplex, stoppen. Doch die Tatsache, dass in den Partnerländern der Ukraine hergestellte Teile und Komponenten in russischen Raketen zu finden sind, trägt nicht gerade zum Optimismus bei. Auch dies erfordert eine angemessene Reaktion.
Deshalb ist die Meinung der Analytiker, dass der Sanktionsmechanismus verbessert werden muss, nicht völlig unbegründet.
Die breite Anwendung des Sanktionsmechanismus hat jedoch ein weiteres unerwartetes Problem geschaffen. Es handelt sich dabei um die irrtümliche, nicht gerechtfertigte Aufnahme von Personen und Unternehmen in die Sanktionslisten.
Inzwischen wird sowohl im Westen als auch in der Ukraine zunehmend über die Notwendigkeit diskutiert, einen Mechanismus zu schaffen, mit dem verhängte Sanktionen auf rechtlichem Wege angefochten und Personen, die fälschlicherweise in die Listen aufgenommen wurden, gestrichen werden können. So wie es derzeit aussieht, wird denjenigen, die ungerechtfertigterweise von Sanktionen betroffen sind, tatsächlich die Möglichkeit genommen, ihren Status schnell zu regulieren.
Das „schärfste" Beispiel dafür ist der russische Geschäftsmann Oleh Tinkow, der erst vor kurzem von der britischen Sanktionsliste gestrichen wurde. Zu Beginn der russischen Invasion stand er noch auf der Liste.
Obwohl Tinkow sich öffentlich und durchaus laut gegen den Krieg aussprach, die Anteile an seiner russischen Bank verkaufte und später seine russische Staatsbürgerschaft aufgab, dauerte es fast anderthalb Jahre, bis London diesen Fehler korrigierte.

Ein weiteres Problem könnte die undurchsichtige Verhängung von Sanktionen durch die Ukraine selbst sein.
Schon vor dem vollständigen Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 war Kiew bemüht, den Einfluss des Kremls auf die ukrainische Wirtschaft und Innenpolitik zu begrenzen. Diese Politik war offensichtlich erfolgreich.
Die seit dem Zusammenbruch der UdSSR bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland wurden von Moskau häufig genutzt, um entweder Druck auf Kiew auszuüben oder ukrainische Politiker zu korrumpieren, um den Interessen Moskaus dienen. Unmittelbare Vertreter von Wolodymyr Putins Einfluss, wie der einst einflussreiche ukrainische Politiker Wiktor Medwedtschuk, waren nicht weniger aktiv. Als der große Krieg ausbrach, war dieser Einfluss fast vollständig verschwunden, der Handel der Ukraine mit der EU nahm jedes Jahr zu.

Nach dem Februar 2022 setzte Kiew seine Bemühungen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene fort. So wurde eine separate gemeinsame Kommission des ukrainischen Präsidialamtes und des renommierten amerikanischen Diplomaten Michael McFaul eingesetzt, die den Prozess der Verhängung von Sanktionen koordinieren und versuchen sollte, Russland die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Fortsetzung des Krieges so effektiv wie möglich zu entziehen.
Derzeit hat die Ukraine Sanktionen gegen mehr als 10.000 natürliche und juristische Personen verhängt. Das könnten noch mehr sein. Außerdem würde es Kiew sehr gefallen, wenn seine Sanktionslisten von den westlichen Ländern akzeptiert würden.

Das Verfahren zur Verhängung von Sanktionen durch die Ukraine selbst hängt jedoch von nicht öffentlich verfügbarem Informationsmaterial ab, das von den ukrainischen Sonderdiensten erstellt wurde. Genau dieses Material dient als Grundlage für Kiews Sanktionen gegen Unternehmen und Einzelpersonen wegen ihrer Verbindungen zu den Russen zu verhängen. Das gleiche Material kann dann auch für die Verhängung internationaler Sanktionen verwendet werden.

Prozess zur Verhängung von Sanktionen sollte durchsichtiger sein

Zum einen wäre der Prozess viel durchsichtiger, wenn solche Materialien veröffentlicht würden. Zum anderen ist es gesetzlich verboten, insbesondere aufgrund der militärischen Geheimhaltung, was auch ganz klar ist.
In Anbetracht des hohen Korruptionsniveaus in der Ukraine und der undurchsichtigen Gründe für die Verhängung von Sanktionen kann dies auch Risiken bergen. Bereits vor dem Krieg wurden in der Ukraine von Mitgliedern der Regierungspartei von Präsident Selenskyj Vorwürfe über eine potenzielle besondere Aufnahme in die Sanktionslisten wegen Bestechung erhoben.

Fehler in der Sanktionsliste der Ukraine betreffen auch westliche Länder

Diese so genannten „Fehler" können durchaus auf die Sanktionslisten der Europäischen Union und anderer westlicher Länder geraten. Die EU, die USA und das Vereinigte Königreich kennen manchmal nicht einmal die eindeutigen Gründe, warum einige Personen und Unternehmen auf Kiews Sanktionslisten zu finden sind.
Außerdem werden einige Beamte der ukrainischen Sicherheitsdienste, insbesondere des Sicherheitsdienstes der Ukraine, der hauptsächlich für die Vorbereitung des Sanktionsantrags zuständig ist, verdächtigt, für den russischen Geheimdienst zu arbeiten. Der ehemalige Leiter des Sicherheitsdienstes der Ukraine wurde nach der russischen Invasion gerade wegen dieses Verdachts entlassen.

Dabei fordert Kiew, dass der Westen aktiver auf die Verhängung von Sanktionen hinwirkt und versucht, die Länder einzubeziehen, über die es den Russen gelingt, die Beschränkungen zu umgehen. Das ist eine überaus wichtige Aufgabe für Kiew. Doch ohne größere Transparenz wird dies schwer zu erreichen sein.
Bekannte ukrainische Juristen wiesen wiederholt auf den teilweise undurchsichtigen Mechanismus der Verhängung von Sanktionen hin und fordern, dass ein Mechanismus geschaffen werden muss, um solche Situationen anzufechten und zu korrigieren. Sowohl innerhalb der Ukraine als auch auf internationaler Ebene, wo ebenfalls Fehler auftreten.
Der Sanktionsmechanismus muss nicht nur in seiner Effizienz verbessert werden, sondern darf auch das Vertrauen der Gesellschaft und der Geschäftswelt nicht verlieren. Dies stellt keine geringere Bedrohung dar als zum Beispiel die Lieferung von Waffen und deren Komponenten nach Russland.

Schließlich hängen die Sanktionspolitik und ihr letztendliches Ziel, die russische Aggression gegen die Ukraine zu beenden, in hohem Maße vom Vertrauen ab. Transparenz und Rechtmäßigkeit sind dabei die Eckpfeiler des Widerstands der zivilisierten Welt gegen diktatorische Regime.


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Zur Person

Rostyslaw Kravets ist Seniorpartner der Anwaltskanzlei "Kravets und Partner" und Mitglied des Kiewer Anwaltsrats. Er betreibt Videoblogs und schreibt regelmäßig Beiträge sowohl zu juristischen als auch zu gesellschaftlich sensiblen politischen und wirtschaftlichen Themen. Sein Videoblog auf YouTube "Recht in der Ukraine": youtube.com/@pravork hat 230.000 Abonnenten.

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Rostyslaw Kravets ist Seniorpartner der Anwaltskanzlei "Kravets und Partner" und Mitglied des Kiewer Anwaltsrats. Er betreibt Videoblogs und schreibt regelmäßig Beiträge sowohl zu juristischen als auch zu gesellschaftlich sensiblen politischen und wirtschaftlichen Themen. Sein Videoblog auf YouTube "Recht in der Ukraine": youtube.com/@pravork hat 230.000 Abonnenten.

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