Aufholjagd bei Künstliche Intelligenz
Österreichische Bevölkerung hinkt bei digitaler Fitness hinterher

Eine Studie zeigt, dass Menschen hierzulande erst wenig mit Künstlicher Intelligenz betraut sind, heimische Betriebe noch weniger. Expert:innen fordern deshalb dringend Maßnahmen, um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren.

Mitte Juli wurde die Digital Skills Barometer 2024 – Sonderedition Künstliche Intelligenz vorgestellt (LEADERSNET berichtete). Nun wurden im Rahmen eines Reports die Ergebnisse weiter ausgearbeitet und publiziert. Diese belegen, dass sich die Österreicher:innen mit Künstlicher Intelligenz (KI) noch nicht gut auskennen. Der Verein fit4internet hat 2000 online-aktive Personen ab 16 Jahren ausführlich befragt. Ihr Wissen nach der Testung ist als maximal grundlegend eingestuft, wobei sich die Befragten selbst deutlich besser einschätzten.

Fehlendes Wissen

KI-Anwendungen wie ChatGPT werden oft genützt, vor allem von jüngeren Erwachsenen, während Ältere, erwartungsgemäß, deutlich zurückliegen. Probleme macht im Speziellen das fehlende Wissen, wie man KI-Lösungen sicher anwenden kann. Was die Ergebnisse zeigen, ist, dass Personen, die sich für Technologien interessieren, sich auch mit KI besser auskennen. Männer liegen bei der KI-Nutzung ebenfalls deutlich vor Frauen. Die befragten Personen verbinden mit dem Thema Künstliche Intelligenz zahlreiche Chancen, etwa eine leichtere Datenanalyse in der Forschung, aber auch mögliche Gefahren, wie Cyberkriminalität, Überwachung und fehlende Datensicherheit.

Große Veränderungen

Große Veränderungen für die Wirtschaft wird ebenfalls von vielen erwartet, von einer hohen Relevanz im eigenen Betrieb ist aber nicht einmal jede:r Dritte überzeugt. Nur 14 Prozent der Befragten meinen, dass ihr Unternehmen auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ausreichend vorbereitet ist. Im Moment sind nur elf Prozent der österreichischen Betriebe KI-Nutzer. Das Regierungsziel für 2030 lautet 75 Prozent.

KI-Nutzung © Digitale Fitness in Ö - Sonderedition 2024 KI-Kompetenzen

Der Datenwissenschaftler Andreas Lederer hat aus diesem Grund 2023 Advantage AI gegründet, um Unternehmen am Weg in die Welt der Künstlichen Intelligenz professionell zu begleiten. "Das, was Unternehmen im Moment am meisten brauchen, ist Orientierung", sagt Lederer. Denn im Speziellen Generative KI (GenAI) sei eine sehr breit einsetzbare Technologie, bei der es erst wenige Best Practice-Beispiele gebe. "Alle sind in der Experimentierphase", so der Experte. KI-Anwendungen, wie etwa das Transkribieren von Konferenzen, könne man schon auf Knopfdruck im Internet kaufen, das steigere die Effizienz. Individuelle Lösungen brächten jedoch echte Wettbewerbsvorteile. "In jedem Unternehmen hilft dabei etwas anderes", sagt Lederer, der in ChatGPT einen echten "Game-Changer" sieht, weil eine große Zahl an Menschen sich über Nacht vorstellen konnte, was KI konkret bringen kann. "Die Innovationsgeschichte zeigt, dass es immer so ein Verbreitungsmoment gebraucht hat, um globale Wirksamkeit einer neuen Technologie zu entfalten", sagt der Experte.

Aktuell passiere der Großteil der Entwicklung von KI-Sprachmodellen in den Vereinigten Staaten von Amerika, aus China komme eher wenig nach Europa, und Europa selbst sei mit ganz wenigen Ausnahmen eher abgeschlagen. Auch in Österreich, wo es aber große Stärken auf der Grundlagenebene gebe. Dabei sei hierzulande vor allem in der Wertschöpfung durch KI-Sprachmodelle noch viel mehr möglich: "Wir haben einen extrem hochwertigen Datenschatz, den wir durch Sprachmodelle für neue Produkte nutzen können", sagt Lederer.

Wertvolle Datenmengen

Patricia Neumann, Vorstandsvorsitzende von Siemens Österreich, meint, dass man den vorhandenen Datenschatz durch KI wesentlich besser nutzen kann. "In der Industrie werden über vernetzte Maschinen heute riesige Datenmengen produziert. Diese Daten können wir heute dank KI in wertvolle Informationen etwa für Produktdesign oder einen effizienten Produktionsprozess umwandeln, für Prozessüberwachungen und Qualitätskontrollen", so Neumann. Durch KI sei es möglich, bestehende Dienste in der realen Welt effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Die Zeiten in der IT-Branche seien noch nie so spannend gewesen. "Wir stehen an einem Wendepunkt, und ich bin überzeugt, dass die Chancen durch Technologie größer sind als je zuvor", so die Vorstandsvorsitzende von Siemens Österreich. Um diese Möglichkeit zu nutzen, brauche es Personen, die Technologie anwenden und die Digitalisierung angreifbar machen können. "Die Basis dafür ist eine entsprechende Aus- und Weiterbildung", sagt die Siemens Österreich-Chefin, die sich bei fit4internet als Vizepräsidentin engagiert. Den Mitarbeiter:innen solle man ermöglichen, sich mit GenAI zu beschäftigen und zu experimentieren. Bei Siemens gebe es dazu bereits ein umfassendes Angebot. "Trotzdem müssen wir darauf achten, keinen Pool an, 'Zurückgelassenen' zu erzeugen. Aktuell mache ich mir aber keine großen Sorgen, da der Mensch in der Bedienung der KI unerlässlich bleibt", ist Neumann überzeugt. Bei KI gehe es nicht um Personalabbau, sondern darum, Menschen zu unterstützen, ihre Fähigkeiten und ihr Know-how noch gezielter einzusetzen.

Dass Europa bei KI-Entwicklungen kaum wahrnehmbar ist, sieht Patricia Neumann nicht. Die USA seien zwar im B2C-Bereich führend, Europa gebe aber den Takt bei KI für den industriellen Bereich vor. "Wir haben die Chance und arbeiten intensiv daran, uns bei der KI-Revolution in den Fabriken als weltweit führender Anbieter zu etablieren", sagt Neumann. Eine Erleichterung der Arbeit in Österreich könnten bessere Rahmenbedingungen erreichen. Es brauche eine Kombination aus regulatorischen Maßnahmen, Ausbildungsprogrammen, finanzieller Unterstützung und infrastruktureller Entwicklung. "Neben dem wichtigen Bereich Forschung und Entwicklung, wo vor allem finanzielle Anreize seitens des Staates bzw. Steuererleichterung gefragt sind, sind Angebote in der Aus- und Weiterbildung unerlässlich. Nur wenn genügend Personal zur Verfügung steht, das mit KI-basierten Systemen arbeiten kann, werden wir in Zukunft unseren Standort attraktiv gestalten können", stellt Neumann klar. Weiters seien rechtliche Rahmenbedingungen bei Datenschutz und Ethik-Richtlinien sowie eine funktionierende digitale Infrastruktur - vor allem High-Speed-Internet und Rechenzentren - "wichtige Parameter am Weg zu einer nahtlosen Integration von KI in unser alltägliches Leben", so Neumann. Einiges muss besser werde.

Chance/Risiken durch den KI-Einsatz und KI-Nutzung nach Altersgruppen © Digitale Fitness in Ö - Sonderedition 2024 KI-Kompetenzen

Die Zukunft gehört ...

Martin Heimhilcher, Spartenobmann der Wirtschaftskammer Wien für Information und Consulting, sieht auch, dass Österreich nicht optimal vorbereitet ist. Er gilt als einer der vehementesten Befürworter einer aktiveren Rolle Österreichs, um die Vorteile der KI-Revolution in die heimischen Unternehmen zu bringen. Laut dem Spartenobmann werde die Zukunft jenen Unternehmen gehören, die diesen Wandel schneller und effektiver vollziehen als ihre Mitbewerber. "KI wird zum Schlüsselfaktor über Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens", so Heimhilcher. Es sei daher wichtig, dass die Bildung zu KI breitenwirksam vorangetrieben werden, in den Schulen und Unis ebenso wie in den Unternehmen. "KI-Kompetenzen sind auch essenziell, um mit der dynamischen Entwicklung von KI umgehen zu können", sagt Heimhilcher. Die verschiedenen KI-Initiativen hierzulande müssten zudem besser miteinander vernetzt und koordiniert werden, ein KI-Cluster sei erstrebenswert. Wien könne zu einem KI-Hotspot werden, ist Heimhilcher überzeugt, der dafür aber die "weißen Flecken" bei der Breitbandversorgung in Wien beseitigt sehen will, vor allem in den Betriebsgebieten.

"Wenn KI richtig und effektiv eingesetzt wird, können Unternehmen damit ihre Kosten senken und ihren Umsatz steigern. Das sind Fakten, kein Hype", so der Spartenobmann. Die Vielfalt an Anwendungsbereichen nehme schnell zu und reiche mittlerweile von der Diagnostik im Gesundheitsbereich über die Robotersteuerung in der Industrie bis hin zum eigenständigen Lösen von Problemen und einer zufriedenstellenden Kundenkommunikation. "Eine positive Einstellung zu KI ist dabei ein entscheidender Faktor. In der Bevölkerung und in den Unternehmen", sagt Heimhilcher abschließend.

www.fit4internet.at

www.wko.at/wien

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