Schau mir in die Augen, KI

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Künstliche Intelligenz (KI) und affective Computing sind an vielen Stellen nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Die Entwicklung ist dabei rasant und dennoch vielfach unbemerkt vonstatten gegangen. Ein einziges Smartphone hat heute mehr Rechenleistung, als es die Computer der NASA im Jahr 1969 hatten, mit denen die Apollo 11 zum Mond gebracht wurde. In den 1990er Jahren hatten Mikrochips ca. zehn Millionen Transistoren, heute sind es ungefähr zehn Milliarden! Auch die Speichermöglichkeiten und Kapazitäten für Daten sind exponentiell angestiegen. Erinnern Sie sich noch an die gute, alte Floppy-Disk? Um den Jahrtausendwechsel konnten auf den 1,44 MB Speicherplatz rund zehn Digitalfotos gesichert werden. Und wie viele tausend Fotos haben Sie heute auf Ihrem Smartphone? Welches die meisten von uns inzwischen mittels Gesichtserkennung entsperren? Vielfach sind Sensoren im Einsatz, die Sprache, deren Tonalität samt dahinterliegender Gefühlslage, aber auch Bilder, Gesichtszüge, ja sogar Gerüche erkennen und in Daten umwandeln und sie so analysieren können.

Jahrzehnt der KI

Nicht umsonst wurde zuletzt auf der Digitalkonferenz in München das Jahr 2023 bzw. dieses Jahrzehnt als die Zeit der KI bezeichnet. Salopp ausgedrückt steckt hinter KI die Möglichkeit, menschliche Intelligenz auf Maschinen zu übertragen. Das Ergebnis sind ausgezeichnet Schach spielende Computer, hervorragende medizinische Diagnosegeräte mit besseren Ergebnissen, als Menschen jemals in der Lage wären zu liefern und einiges mehr, was uns in vielen Fällen den Alltag erleichtert. So weit so gut!

Computer lernen

Was mich aber etwas nachdenklich stimmt und in gewisser Weise an die Figur des "Terminator", der ja auch von Episode zu Episode "menschlicher" wurde, erinnert ist, dass Computer tatsächlich dabei sind zu lernen, menschliche Gefühle und Emotionen zu erkennen und auf diese zu reagieren. Da stellt sich mir als allererstes die Frage, wozu denn das überhaupt gut sein soll? Gefühle, die irrational und so gesehen unsere letzte "Bastion" sind, die uns noch von den Maschinen unterscheiden – warum wollen wir überhaupt, dass sie diese erkennen? In der Süddeutschen Zeitung war kürzlich dazu zu lesen, dass solche Systeme etwa in Callcentern zum Einsatz kommen. Dort erfassen KI-Systeme die Stimmung der Anrufer:in und schlagen, wenn diese sehr wütend oder aufgebracht sind, gleich die entsprechende Deeskalations-Strategie vor. Auch helfen solche Systeme Unternehmen, die Stimmung der Kund:innen oder der eigenen Belegschaft zu ermitteln. Oder: Das Fahrzeug erkennt Zustände wie Müdigkeit oder Gereiztheit und kann dem Fahr:in eine Kaffeepause vorschlagen. Auch hier: so weit so gut.

Aber waren genau diese Gefühle nicht bisher die klare Trennlinie zwischen Mensch und Maschine – das, was uns Menschen ausmacht? Gefühle und Emotionen, die wir haben, zeigen oder verbergen können – und das sollen jetzt Maschinen erkennen und darauf reagieren können? Ich bitte Sie, mich nicht Falsch zu verstehen, denn ich bin mit Sicherheit kein Technikkritiker – im Gegenteil, ich bin sogar bekennender Gadget-Freak! Und deswegen bin ich auch überzeugt davon, dass man diese Art von Fortschritt weder aufhalten kann und noch soll, weil er eben viele der zuvor beschriebenen Vorteile bringt. Aber es schadet bestimmt auch nicht, gerade bei solch einem heiklen Thema auch einmal innezuhalten und nicht nur die technischen Möglichkeiten zu sehen, sondern auch weniger offensichtliche Aspekte zu betrachten. Wollen wir, dass Maschinen unsere Gefühle erkennen, die wir bisher zumindest teilweise noch verbergen konnten? Wollen wir, dass Maschinen – so wie wir Menschen in manchen Fällen – emotional und möglicherweise irrational handeln? Was macht das mit uns Menschen? Welche Auswirkungen hat das auf die Gesellschaft?

Die Bedeutung für die Gesellschaft

Das ist in meinen Augen nämlich ein entscheidender Punkt: die Bedeutung für die Gesellschaft. Abseits aller technischen Möglichkeiten ist es hoch an der Zeit, parallel zu den Entwicklungen eine transparente und öffentliche Diskussion darüber zu führen, welche Leitplanken, Regelungen und auch Aufklärung es zu den fortschreitenden Entwicklungen braucht. Dabei sehe ich nicht die "Angst vor dem Terminator“" als Gefahr, sondern dass die Gesellschaft auf vieles davon nicht vorbereitet ist und deshalb nicht mitkommt, was dann trotzdem Angst und Ablehnung hervorrufen kann. Die Vergangenheit hat schon öfters gezeigt, dass Fortschritt nur dann dem Wohl der Gesellschaft dienen kann, wenn diese auch dafür bereit ist, wenn sie mitgenommen wurde am Weg des Fortschritts.

Deshalb sollten wir – die Gesellschaft – uns auch dazu angehalten fühlen, uns gegenseitig zu unterstützen, egal ob in den Unternehmen oder in den Familien. Die Generationen können einander helfen: die Jungen, indem sie den Älteren durch Erklären die Angst vor dem Neuen nehmen und die Älteren, indem sie bei den Jungen mit der Gelassenheit der Erfahrung die allgegenwärtige "fear of missing out" verringern, das Gefühl, immer hinterherzuhinken. Denn Angst ist in keinem Fall ein guter Begleiter, und das konnten wir schon ohne die Hilfe der Künstlichen Intelligenz feststellen.

www.jti.com


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