Die Nutzung der Stärken unterschiedlicher Standorte durch globale Wertschöpfungsketten hat über Jahrzehnte eine effiziente und somit kostengünstige Güterherstellung ermöglicht, die weltweit den Wohlstand erhöht hat. Mit den Verwerfungen im Zuge der wirtschaftlichen Erholung aus der Pandemie ist jedoch die Anfälligkeit dieser langen Lieferketten gegen Störungen sichtbar geworden. Obwohl sich die Lieferkettenprobleme trotz des Kriegs in der Ukraine langsam zu verbessern scheinen, ist laut Expert:innen eine Umorientierung in der Wirtschaft zu beobachten.
Versorgungssicherheit wichtiger als Kosten
"Die Resilienz sowie die Nachhaltigkeit globaler Wertschöpfungsketten mit einer hohen Anzahl an potenziell instabilen Partnern wird aufgrund der bestehenden Lieferprobleme in den Unternehmen kritisch hinterfragt. Die Versorgungssicherheit gewinnt gegenüber dem alleinigen Kostenargument an Bedeutung und wird durch Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit wie die Diversifikation von Anbieterunternehmen und Regionen bewusst gestärkt", meint UniCredit Bank Austria Chefökonom Stefan Bruckbauer und ergänzt: "Das Ende der Globalisierung ist zwar nach unserer Einschätzung nicht gekommen, doch die Pandemie und die jüngsten geopolitischen Veränderungen werden die wirtschaftlichen Organisations- und Steuerungskonzepte der Betriebe in den Industrieländern in den kommenden Jahren nachhaltig verändern."
Die Analyse der Lieferprobleme auf Basis der monatlichen Befragung von Einkaufsmanager:innen zeige seit rund zweieinhalb Jahren eine Verlängerung der Lieferzeiten für Vormaterialien und Rohstoffe, die über den Sommer 2021 ihren Höhepunkt erreicht hatte. "Die Lieferverzögerungen haben sich mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine zwischenzeitlich zwar verschärft, aber der Lieferzeitenindex zeigt bereits wieder eine Entspannungstendenz an. Dennoch geben derzeit rund neun von zehn heimischen Industriebetrieben an, dass die Fertigstellung ihrer Erzeugnisse durch Materialengpässe verzögert ist", so Bruckbauer.
Situation in Österreich
"Im internationalen Vergleich sind die österreichischen Betriebe überdurchschnittlich stark von den Lieferverzögerungen berührt. Wie in allen Industrieländern besteht eine stärkere Betroffenheit als von Entwicklungsländern, da zur Steigerung der Effizienz und Verringerung der Kosten komplexe und lange Lieferketten genutzt werden. Der aktuelle Lieferzeitenindex im Rahmen der Einkaufsmanagerumfrage zeigt für die Industrieländer einen Wert von 32,8 Punkten und für die Entwicklungsländer im Durchschnitt 44,0 Punkte", analysiert UniCredit Bank Austria Ökonom Walter Pudschedl. Mit einem aktuellen Wert von 33,5 Punkten des Lieferzeitenindex sei der Euroraum zur Jahresmitte 2022 etwa gleich stark betroffen wie die USA. Die zusätzlichen Belastungen durch den Krieg in der Ukraine hätten sich in den Monaten davor jedoch weiter negativ auf die Liefersituation in Europa ausgewirkt.
"Innerhalb Europas zeigt sich eine besonders hohe Betroffenheit von Ländern, deren Industrie eine enge Verknüpfung mit jener Deutschlands aufweisen. In Deutschland selbst waren die Lieferstaus durch besonders gravierende Lieferengpässe von Halbleitern für die Autoindustrie etwas früher und stärker als in anderen EU-Ländern zu spüren. Österreich war in weiterer Folge im Sommer 2021 das EU-Land mit den längsten Lieferverzögerungen in der Industrie, abgelöst erst im Herbst durch Dänemark", so Pudschedl weiter. Dagegen seien manche osteuropäischen Länder wie etwa Polen und vor allem südeuropäische Länder wie Griechenland, Spanien und auch Italien weit weniger von Lieferverzögerungen betroffen gewesen. Alle Werte unter 50 würden eine Verlängerung der Lieferzeiten im Vergleich zum Vormonat bedeuten, je tiefer der Wert sei, umso stärker die Verlängerung gegenüber dem Vormonat.
Ursachen für lange Lieferverzögerungen
Auf globaler Ebene seien laut der Analyse klare sektorale Unterschiede bei den Lieferverzögerungen erkennbar. "Während die Lieferprobleme bei Grund- und Rohstoffen, Metallen und mittlerweile auch bei Baustoffen am geringsten sind, sind die größten Verzögerungen in den Lieferketten bei technologischer Ausrüstung gegeben, die auch die Produktion von Halbleitern inkludiert, gefolgt vom Maschinen- und Anlagenbau", erklärt Pudschedl. Hinter allgemeinen Industriegütern folgen demnach mittlerweile Nahrungsmittel, deren Liefersituation sich in den vergangenen Monaten im Vergleich zur Entwicklung von Erzeugnissen anderer Sektoren verschlechtert habe.
Generell sei die Länge der Lieferzeiten, stark von der Anzahl der verbauten Komponenten im Endprodukt sowie der Komplexität des Produktionsprozesses abhängig, also von der Nutzung von langen, globalen Wertschöpfungsketten. Eine Ausnahme sei die Entwicklung bei Nahrungsmitteln, die mit dem Krieg in der Ukraine in Zusammenhang stehen dürfte. Weltweit betrachtet, würden sich aktuell in allen abgefragten Produktgruppen die Lieferzeiten verlängern, wenn auch mit nachlassendem Tempo.
Krieg treibe Kosten weiter nach oben
Die Länge der Lieferzeiten sei ein wichtiger Indikator für die Beurteilung der Verhältnisse von Angebot und Nachfrage auf den Märkten. Ein Ungleichgewicht wirke sich auf die Entwicklung der Preise aus. Neben der starken Nachfrage in Folge der Pandemie und der angebotsseitigen Probleme durch Transportschwierigkeiten und Produktionsausfälle durch Quarantänebestimmungen, seien aktuell die Verwerfungen auf Rohstoffmärkten, insbesondere bei Erdöl und Erdgas infolge des Kriegs in der Ukraine die preistreibenden Faktoren. Die Einkaufspreise für die Betriebe würden weltweit rasant ansteigen. Der globale Index der Einkaufspreise liege bei mehr als 70 Punkten, nur knapp unter dem absoluten Höchststand vom Herbst vorigen Jahres.
"Infolge der unterschiedlichen Lieferzeitenprobleme und Abhängigkeiten sind die Preisanstiege in den Entwicklungsländern deutlich niedriger als in den Industrieländern bei etwas stärkerer Betroffenheit Europas im Vergleich zur USA bedingt unter anderem durch die Gaskomponente", meint Pudschedl und ergänzt: "Die Entwicklung in Österreich ist innerhalb Europas mit einem Einkaufspreisindex von 81,6 Punkten im Juni weiterhin von einer überdurchschnittlich starken Kostenbeschleunigung gekennzeichnet".
Kostenüberwälzung auf die Verkaufspreise verstärke Inflation
Ab Herbst 2020 begannen die Einkaufspreise laut den Expert:innen weltweit zu steigen. Erst ab dem Jahresbeginn 2021 hätten sich die Abgabepreise beschleunigt. "Mit einer Zeitverzögerung von rund drei Monaten haben sich die höheren Kosten für Rohstoffe und Vormaterialien in steigenden Verkaufspreisen der Industrie niedergeschlagen, weil unter anderem Preiszusagen in bestehenden Verträgen erfüllt werden mussten. Die Preisdynamik im Verkauf erreichte ihren Höhepunkt erst im April 2022, angeheizt von den starken Energiekostenanstiegen, die sich überdurchschnittlich stark in den Industrieländern bemerkbar machten", meint Pudschedl. Dabei sei die Preisdynamik in den USA bis zum Jahresende 2021 besonders hoch gewesen, seitdem sei die Entwicklung im Euroraum dynamischer.
Stärker von Lieferverzögerungen betroffene Länder wie Deutschland und Österreich, würden dabei im Durchschnitt einen überproportional hohen Anstieg der Abgabepreise ausweisen. Das Indexverhältnis zwischen Output- und Inputpreisen aus der Befragung der Einkaufsmanager:innen zeige uns, dass während des ersten Jahres der Pandemie 2020 der deutliche Rückgang der Kosten nicht vollständig in die Verkaufspreise übertragen wurde. Das Indexverhältnis sei zum Teil deutlich über eins gelegen, das heiße die Einkaufspreise sind stärker gesunken als die Verkaufspreise. Knapp vor dem Jahreswechsel 2020/21 habe sich die Situation geändert. Der rasante Anstieg der Einkaufspreise habe jenen der Verkaufspreise übertroffen. Mit zunehmender Dauer und Intensität des Kostenanstiegs sowie der kräftigen Nachfrage erhöhte sich die Preisfestsetzungsmacht der Hersteller und die Übertragung der höheren Kosten in die Abgabepreise konnte besser umgesetzt werden. Dennoch würden die Daten bislang auf eine höhere Dynamik der Kosten als jene der Abgabepreise hinweisen, was für die kommenden Monate noch weiteren Kostendruck auf die Abgabepreise erwarten lasse.
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