„Wir sind am absteigenden Ast“

Professor Alfred Taudes über den Status Quo Österreichs und Europas in Sachen IT und digitale Wirtschaft

Alfred Taudes ist einer der Ansprechpartner hierzulande, wenn es um IT- und Digitalisierungsthemen geht. Er ist Vorstand des Departments für Informationssysteme und Prozessmanagement an der WU Wien, war an der Gründung mehrerer Unternehmen beteiligt und ist mit Ehrungen wie dem Best Paper Award des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft ausgezeichnet worden. Was die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs und Europas in Sachen IT betrifft, greift er zu drastischen Worten: Europa sei am besten Weg eine digitale Kolonie zu werden, erklärt er  und fordert vor allem eines: mehr Mut zum Expertiment.

leadersnet.at: Warum sind die EU allgemein und Österreich im speziellen am absteigenden Ast, was die Wettbewerbsfähigkeit auf dem IT-Sektor betrifft?

Taudes: Bis auf SAP haben wir in Europa keinen namhaften IT-Player mehr, und auch dort nimmt die Bedeutung des USA-Anteils zu. Das zeigt, dass Europa am besten Weg ist, eine digitale Kolonie zu werden - und Österreich am Weg vom Innovation Follower zum Innovation Laggard.  Digitale Produkte werden in einem permanenten Experimentierprozess entwickelt und benötigen große, einheitliche Märkte damit Fixkostendegression und Netzwerkeffekt greifen. In Europa sind die Märkte rechtlich und sozial fragmentiert und wie man in Österreich mit Scheitern umgeht kann man im kürzlich erschienen Buch von DiTech-Gründer Damian Izdebski nachlesen.

leadersnet.at: Was muss man ändern, um mithalten zu können?

Taudes:  Es muss ein Bündel an Maßnahmen geben, da die Experimentierkosten aufgrund einer Reihe von Faktoren hoch sind. Dazu zählen: Kosten, um ein Unternehmen zu gründen und zu betreiben (Steuerberatung, Bürokratiekosten), die Kosten und Flexibilität der Arbeit. Außerdem haben wir es mit risikoscheuen Kunden zu tun (in Österreich der öffentliche Sektor und KMUs), mit einem Mangel an Risikokapital und eben dieser soziale Ächtung von Scheitern. Demgegenüber steht eine Zersplitterung der politischen Gestaltungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen. Die Harmonisierung des EU-Urheberrechts ist hier ein schönes Beispiel. Sicher nicht Teil des Maßnahmenbündels sollte ein Ausbau der staatlich administrierten Förderung sein, sicher schon eine Förderung des Unternehmertums an Universitäten.

leadersnet.at: Was können wir von Unternehmern in den USA und in China lernen?

Taudes: Risikofreude, globaler Ansatz von Beginn an, Orientierung am Kundennutzen und nicht an technischer Perfektion. Chinas Unternehmen profitieren von einem großen wachsenden Heimmarkt. Dort nutzt der Staat seine Möglichkeiten, um ausländische Konkurrenz vom Markt fernzuhalten und eigenen Unternehmen eine Entwicklungschance zu geben. Google und Facebook haben keinen Zugang, es gibt lokale Anbieter, im öffentlichen Bereich wird auf open source gesetzt.

leadersnet.at: Was raten Sie europäischen bzw. österreichischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen - welche Nischen oder Themen sollten Sie besetzen?

Taudes: Nicht versuchen zu kopieren, sondern auf lokale Stärken aufzubauen. Was die konkret sind muss im Einzelfall entschieden werden - mit Mut zum Experiment. In Österreich haben wir einen hohen handwerklichen Standard und eine international konkurrenzfähige  Tourismusindustrie. Digitalisieren und Globalisieren wir dort! Dadurch bekommen wir kein zweites Facebook, aber auch künftig sichere Arbeitsplätze.
 
leadersnet.at: Wo stehen wir in zehn Jahren, wenn sich nichts Grundlegendes ändert?

Taudes: In Europa gibt es bei allen Rankings ein ähnliches Bild. Zuerst kommen die nordischen Staaten, dann D-A-CH und dann die südlichen. Wenn Österreich so weitermacht, wird es uns gehen wie Portugal, wo schon heute die gut ausgebildeten Jungen auf der Suche nach Arbeit das Land verlassen müssen.

(nao)

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