"Ganze Branchen sind einfach verschwunden"

| Redaktion 
| 23.10.2023

Georg Wailand, Chefredakteur der Kronen Zeitung, Herausgeber des Gewinn und Winzer spricht im LEADERSNET-Interview über seinen Werdegang, sein Weingut und wie Digitalisierung das Medienverhalten der Menschen verändert.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Wailand, es gab schon vor einigen Jahrzehnten, wie heute, Umbrüche in der Medienbranche. Sie standen immer "Gewehr bei Fuß", auch als es galt, zwei Drittel der Beschäftigten abzubauen, aufgrund der Umstellung von Bleisatz auf Computerisierung.

Wailand: Das war mein Projekt. Es war die größte Herausforderung, die man mir je übertragen hatte, da jeder in der Belegschaft wusste, was auf uns zukommt. Da nur noch ein Teil der Belegschaft übrig blieb, mussten Sozialpläne erstellt werden. Dies war eine Operation am offenen Herzen, da die Zeitung täglich erscheinen musste. Wir standen bei 33 Streikankündigungen ("Stehungen") – das Vorstadium eines Streiks. Letztendlich gelang uns die Umstellung jedoch, ohne einen Streik, aber mit enormen Anstrengungen. Es war zweifellos eine sehr herausfordernde Situation.

LEADERSNET: Sie kommen Ihren Leser:innen immer sehr entgegen. Schreiben Sie Ihre Kolumne auch in den Urlauben?

Wailand: Auch im Urlaub schreibe ich. Es ist eine gewisse Geste der Treue unseren Leser:innen gegenüber. Viele Leser:innen antworten darauf und erhalten Informationen, die für sie wichtig sind. Man ist nicht verpflichtet dazu, aber ich empfinde es als Teil dieser Verbindung.

LEADERSNET: Sie haben in den 1970ern das Buch "Die Reichen und die Superreichen in Österreich" geschrieben. Wie kam es dazu?

Wailand: Durch meine Aktivitäten verschaffe ich mir eine gewisse Unabhängigkeit. Beim Buch hatte ich ein Vorbild aus den USA vor Augen und dachte, ich werde das für Österreich umsetzen. Tatsächlich habe ich es in Zusammenarbeit mit dem Hoffmann und Campe Verlag erfolgreich in Österreich umgesetzt. Die Resonanz war enorm, jedoch gestaltete sich das Projekt auch äußerst herausfordernd, besonders als die Phase der Entführungen begann – ein äußerst heikles Thema also.

LEADERSNET: Die Entführungen waren vorher oder nachher? Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Wailand: Sowohl als auch. Ich habe alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen und niemals konkrete Adressen erwähnt.

LEADERSNET: Was haben Sie aus dem Buch gelernt?

Wailand: Heutzutage ist es offensichtlich, wie schnelllebig die Zeit sein kann. Ganze Branchen sind einfach verschwunden. Früher waren die Skierzeuger in Österreich die Titanen. Wo sind sie heute? Verschwunden. Die Papierindustrie – eine Säule der österreichischen Wirtschaft. Wo steht sie heute? In ausländischen Händen. Das verdeutlicht, wie rasch sich die Wirtschaft tatsächlich verändern kann.

LEADERSNET: Sonst noch davon etwas in Erinnerung?

Wailand: Karl Wlaschek – einst als Barpianist tätig – schuf aus dem Nichts das Handelsimperium Billa. Das Interessante daran war, dass er mich persönlich anrief, als er es verkaufte. Zwischen uns herrschte ein starkes Vertrauensverhältnis. Ich sicherte 24-stündiges Schweigen zu und als Krone hatten wir die Exklusivrechte an der Berichterstattung. Dies war ein gewaltiger Deal mit der Rewe-Gruppe in Deutschland, und unsere Telefone glühten förmlich vor Betriebsamkeit.

LEADERSNET: Als Herausgeber des größten Wirtschaftsmagazins Österreichs tragen Sie zur Wirtschaftsberichterstattung des Landes bei. Wie kam es dazu? Welche aktuellen wirtschaftlichen Trends sehen Sie als besonders prägend für die Zukunft Österreichs?

Wailand: Ich hatte einen soliden Job, jedoch erkannte ich eine journalistische Marktlücke. Mein Ziel war es, den Leser:innen einen persönlichen Mehrwert zu bieten, und so entstand der Gewinn. Der Solgan lautet noch heute: Das Wirtschaftsmagazin für ihren persönlichen Vorteil. Falk und Dichand ließen mir die Freiheit dafür, spielten dabei jedoch keine Rolle, und ich trug das gesamte Risiko für dieses Projekt.

LEADERSNET: Die Digitalisierung hat das Medienverhalten der Menschen verändert. Stehen wir an einem Wendepunkt hin zu datengetriebenen Geschäftsmodellen? Wo geht die "Reise" hin? Welche aktuellen Entwicklungen beobachten Sie in Ihrem Berufstand? Wie sehen Sie die Zukunft des Journalismus und welche Anpassungen sind aus Ihrer Sicht erforderlich, um relevant zu bleiben? Mittlerweile ist weltweit auch bei den großen Medienhäusern zu beobachten, dass die sinkenden Print-Verkäufe nicht mehr mit E-Papers im Huckepack von Digital-Abos ausgleichen können. Print-Werbung ist durch rückgängige Verkaufserlöse und wegen des technologischen Wandels doppelt betroffen. Auf lange Sicht wird darunter die Qualität des Journalismus leiden?

Wailand: Derzeit erleben wir eine äußerst dramatische Phase im Mediengeschäft, die sich in absehbarer Zeit noch drastisch verschärfen wird. Dabei wird es viele Herausforderungen geben. Früher waren bestimmte Säulen in der Medienlandschaft von Bedeutung, sei es der ORF, die Krone, das Profil oder andere Nachrichtenmagazine. Heutzutage herrscht jedoch ein atomistischer Wettbewerb, bei dem dank sozialer Medien jeder seine Meinung kundtun kann und ein gewisses Publikum erreicht. Je sensationsheischender oder unverblümter die Behauptungen sind, desto mehr ziehen sie die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. Hierbei ist Vorsicht geboten. Ich glaube, dass das gesamte Publikum und die Bevölkerung vor einer gewaltigen Herausforderung stehen, wenn es darum geht, glaubwürdige Quellen auszuwählen.

LEADERSNET: Wie beurteilen Sie dabei die Reform des ORF?

Wailand: Der ORF erfüllt seine Rolle nur in einem begrenzten Maße, da er entgegen seinen eigenen Behauptungen tatsächlich von der Politik beeinflusst wird. Das ergibt sich aus den rechtlichen Vorgaben und den gegebenen Möglichkeiten. Die Aussage, dass der ORF völlig unabhängig ist, trifft nicht zu. Tatsächlich liegt er in den Händen der politischen Parteien, egal welche, und dient als Instrument, das ihnen nichts kostet, aber ihnen ermöglicht, ihre Botschaften zu verbreiten. Dies ist eine weitverbreitete Praxis. Die ORF-Reform war kein erfolgreiches Unterfangen. Die großen amerikanischen Konzerne haben den Großteil des Werbevolumens abgegriffen, und nicht die Österreicher. Hier haben wir eine Gelegenheit verpasst.

LEADERSNET: Sie haben in Ihrer Karriere sicherlich einige bemerkenswerte Geschichten erlebt. Sie sind seit vielen Jahrzehnten Publizist und seit 1971 bei der Krone. In Ihrer Position haben Sie mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten gesprochen. Gibt es ein Interview, eine Geschichte oder einen Moment, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist, oder der Sie berührt oder geprägt hat?

Wailand: Ja, die Interviews mit Bill Gates waren beeindruckend. Ich hatte mehrere Gelegenheiten, mit ihm zu sprechen, und das war zu einer Zeit, als er auf dem Höhepunkt seiner Berühmtheit stand. Unsere persönlichen Gespräche verliefen unglaublich locker. Etwas, das ich besonders an ihm bewunderte, war seine klare Lebensführung. Er saß nicht den ganzen Tag da und zählte sein Geld, sondern hatte immer noch Ideen wie ein "College-Boy". Ich erinnere mich, wie er mit einem Pappbecher in der Hand und einer Cola da saß. Durch mein Buch und meine Interviews erkannte ich, dass viel Geld zu haben, das Leben nicht zwangsläufig einfacher macht. Ich beschäftigte mich auch intensiv mit dem Kampf gegen die Inflation. Während dieser Zeit sprach ich persönlich mit Nobelpreisträger Milton Friedman und führenden Ökonomen. Es war äußerst faszinierend zu sehen, wie diese klugen Köpfe die Welt auf unterschiedliche Weisen interpretierten.

LEADERSNET: Im Jahr 1996 schufen Sie das Weingut Wailand, welches seit Beginn zur Spitzen-Gastronomie zählt und zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat. Ist gutes Marketing mittlerweile wichtiger, als hochqualitative Winzerarbeit zu leisten? Was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Fehler, die in der Erzeugung hochqualitativer Weine gemacht werden? Was hat Sie der Weinbau gelehrt und wie unterscheidet er sich vom Journalismus?

Wailand: Es trat eine neue Generation von hervorragend ausgebildeten jungen Winzern auf den Markt. Diese sind in der Lage zu verkaufen, auf Englisch zu präsentieren und bis nach Japan zu reisen. Marketing ist von entscheidender Bedeutung, da Wein ein Genussprodukt ist und es auch zum Erzählen von Geschichten gehört. Kürzlich wurde ich im Beisein vom Bundespräsidenten Österreichs für meine Lebensleistung als Winzer ausgezeichnet. Viele andere Expert:innen der Branche waren ebenfalls anwesend.

LEADERSNET: Das Leben als Winzer muss doch nun ein ganz anderes sein, als Ihr vorhergehendes als Publizist. Was fasziniert Sie an Wein? Woher kommt diese Leidenschaft? Was ist das Schöne daran?

Wailand: Wein ist ein biblisches und ein kommunikatives Getränk. Er hat einen hohen gesellschaftlichen Wert. Er hat eine extreme Qualitätsstufung. Im Journalismus ist es so, dass wenn ich etwas schreibe, Sie es sofort beurteilen können, ob es klug ist, ob es nicht gut ist, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Beim Wein ist es jedoch ganz anders – man erkennt seine Eigenschaften erst später. Welchen Einfluss hat das Wetter auf den Wein? Was kann ich mit dem Wein tun? Welche Wirkung hat er? Und dann muss ich mich darauf einstellen. Und das ist faszinierend, weil man die Demut vor der Entwicklung lernt.

LEADERSNET: Was würden Sie sagen, ist eine Eigenschaft, die Sie haben, die es Ihnen ermöglicht hat, Ihre Karriere und Geschäfte aufzubauen. Waren Sie schlauer als andere, oder arbeiteten Sie härter?

Wailand: Was sicherlich wahr ist, ist, dass ich mehr gearbeitet habe als die meisten anderen und das ohne Verkrampfung. Als Redakteur besuchte ich jeden Samstag und Sonntag Fußballspiele – und das tat ich bereits in meiner Schulzeit. Während andere baden gingen, sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließen oder ähnliches taten, investierte ich meine Zeit anders. Über 30 Jahre hinweg hatte ich zwei herausragende Tätigkeiten – den Aufbau des Unternehmens Gewinn und die Position des Chefredakteurs bei der Krone. Doch es gab auch ein angeborenes Talent, das mir geschenkt wurde und das ich stets zu nutzen versuchte. Wenn man sich dann den Ruf erarbeitet hat, verlässlich zu sein und anständigen Journalismus zu betreiben, ist das sicherlich ebenfalls hilfreich. Aber es gehört auch eine Menge Glück dazu.

LEADERSNET: Was ist der beste Ratschlag, den Sie für ihre berufliche Laufbahn und Ihr Leben je erhalten haben? Was ist die wichtigste Lektion, die Sie gelernt haben?

Wailand: Ich habe aus dem Leben gelernt, wie wichtig es ist, den Blick zu schärfen. Welche Talente wurden einem geschenkt? Wo kann ich etwas bieten, das anderen fehlt? Hierbei sollte man auch auf das Echo achten. Alles, was man mit Leidenschaft und Begeisterung tut, führt in der Regel zu Fähigkeiten auf hohem Niveau.

LEADERSNET: Sie sind ein gläubiger Christ und haben einen kritischen Zugang zur Kirche. Wie kam es dazu? Was muss sich in der Kirche ändern, um mit vergangenen Fehlern aufzuräumen?

Wailand: Ich stamme aus einem eher kritischen Umfeld. Einmal habe ich einen Spruch gelesen: "Die katholische Kirche steht seit 2000 Jahren unter demselben Management." Es wäre notwendig, näher am Alltag der Menschen zu sein, und hier gäbe es auch Möglichkeiten für mehr Veränderung.

LEADERSNET: Was wissen Sie heute über das Leben, was Sie gerne bereits vor 50 Jahre darüber gewusst hätten?

Wailand: Dass Gesundheit endlich ist. Man denkt, es geht für 100 Jahre weiter, aber meistens ist das nicht der Fall.

LEADERSNET: Wenn Sie nicht Publizist sind, Ihr Unternehmen leiten und nicht der Vater von zwei Kindern und Winzer sind, was machen Sie sonst da draußen? Sie sind schon langjährig beruflich tätig? Wie lange wollen Sie das noch machen? Denken Sie an den Ruhestand? Worum geht es im Leben, Herr Wailand?

Wailand: Zwischenmenschliche Kontakte sind äußerst bedeutsam. Ich setze das fort, solange ich eine positive Rolle einnehmen kann. Dabei ist es mir wichtig, was ich für andere tun kann. Wenn wir gemeinsam auf meinem Weingut sitzen, sie meinen Wein kosten und sagen: "Der ist wirklich außergewöhnlich gut", dann habe ich etwas erreicht, und das erfüllt mich mit Freude. Irgendwann geht es zu Ende, und dann tritt das Unvermeidliche ein – in diesem Punkt bin ich eher dem Schicksal ergeben.

www.krone.at

www.gewinn.com

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