Am 1. Jänner 2022 löste Edgar Weinzettl Landesdirektorin Brigitte Wolf (das Abschiedsinterview lesen Sie HIER) an der Spitze des ORF Wien ab. Im Gespräch mit LEADERSNET verrät er seine Pläne.
LEADERSNET: Als Nachfolger von Brigitte Wolf traten Sie kürzlich in große Fußstapfen. Werden Sie ähnliche Wege beschreiten oder zieht ein völlig neuer Stil ins Landesstudio ein?
Weinzettl: Brigitte Wolf hat mir ein sehr gut aufgestelltes Haus übergeben. Das Landesstudio Wien ist der wendige Segler im Vergleich zum großen Tanker ORF. Wir können Live und wir können regional - auf diese Stärken werden wir als Hauptstadt-Studio künftig noch mehr setzen. Da kann kein Netflix, Google oder Amazon mit.
LEADERSNET: Was wollen Sie alles verändern?
Weinzettl: Wir müssen an unser künftiges Publikum denken. Das wird nicht mehr wie selbstverständlich bei unseren ORF Wien-Angeboten landen. Wir müssen es schaffen, Menschen aller Altersgruppen mit unseren Kanälen, also Radio Wien, Wien heute und wien.orf.at in Kontakt zu bringen. Also müssen wir viel stärker dorthin, wo die Jüngeren sind. Und das sind nun einmal die Social Media-Plattformen. Aber hier sind wir gesetzlich sehr stark eingeschränkt, darum hoffe ich sosehr auf die Digitalnovelle.
LEADERSNET: Ab 2012 waren Sie in der ORF-Hörfunkinformation als Ressortleiter der ORF Radio-Innenpolitik-Redaktion tätig. Wann reifte der Wunsch, Landesdirektor zu werden?
Weinzettl: Meine Berufslaufbahn verläuft in Dekaden. Alle acht bis neun Jahre reift in mir der Wunsch heran, etwas Neues auszuprobieren. Und im zehnten Jahr vollzieht sich dann der Wechsel. So war es auch diesmal. Also wenn Sie so wollen, ein bisschen ein Muster.
LEADERSNET: Gab es auch Widerstände gegen Sie? Ihnen wurde ja öffentlich große Parteinähe zugeschrieben... Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?
Weinzettl: Widerstand habe ich so nicht wahrgenommen. Natürlich gab es viele namhafte und hochqualifizierte Mitbewerber:innen. Aber der Generaldirektor hat mich vorgeschlagen und die Wahl im Stiftungsrat war mehr als eindeutig. Das hat mich tatsächlich sehr gefreut! Und was die Parteinähe angeht - Sie sagen ja selbst: zugeschrieben… da schreibt der eine vom anderen ab und irgendwann wird das nicht mehr hinterfragt. Ich weiß nicht, ob das noch viel mit Journalismus zu tun hat.
LEADERSNET: Sie sind seit 25 Jahren beim ORF tätig. Was waren bisher die größten Herausforderungen in Ihrer Karriere?
Weinzettl: Die letzten Jahre als Ressortchef der Radio-Innenpolitik waren sehr fordernd. Weil eigentlich seit der Flüchtlingskrise 2015 permanenter Ausnahmezustand geherrscht hat. Alle Parteichefs abgelöst, ständige Neuwahlen, die vielen Anläufe bei der Bundespräsidenten-Wahl, das Ibiza-Video, die erstmalige Abwahl einer Bundesregierung, die Corona-Pandemie - früher hätte man von italienischen Verhältnissen gesprochen. Aber im Vergleich zu uns 'gehens' die Italiener mittlerweile viel ruhiger an.
LEADERSNET: Dem Vernehmen nach wollen Sie das Landesstudio sichtbarer machen. Können Sie uns das konkretisieren?
Weinzettl: Wir wollen einerseits im Stadtbild sichtbarer werden. Da haben uns wie die meisten anderen auch die zwei Corona-Jahre einfach zurückgeworfen. Wir sind seit dem Frühjahr wieder bei den meisten wichtigen Veranstaltungen und Freiluftbühnen dabei. Wir leisten uns als Stadtstudio noch Rasende Radio-Wien Reporter:innen, die uns die Stadt und ihre BewohnerInnen näher bringen und ich will eben andererseits, dass wir das auch verstärkt auf Facebook und Instagram machen - dürfen - wohlgemerkt, weil uns da halt zur Zeit noch ganz enge Fesseln angelegt werden.
LEADERSNET: Wie steht es aktuell eigentlich um die Digitalisierung? Welche Strategie verfolgen Sie hier?
Weinzettl: Die Verhandlungen seitens des ORF mit der Politik und den Mitbewerbern führt der Generaldirektor. Aber eines ist für mich klar: Du kannst das größte Medienunternehmen des Landes nicht dauerhaft von der Zukunft abschneiden. Und die Zukunft liegt eben sehr stark im Online- und Social Media-Bereich, um – wie gesagt – jüngeren Zielgruppen überhaupt einmal den Erstkontakt zu unseren Produkten zu ermöglichen. Online first oder Online only sind Selbstverständlichkeiten geworden, wir dürfen das aber nach wie vor nicht. Und das ist in urbanen Zentren – Wien ist nun einmal die einzige Großstadt in Österreich – spielentscheidend, weil die Publikumsschichten das hier stärker nachfragen.
LEADERSNET: … und es gibt ein wöchentliches Limit für Online-Meldungen….
Weinzettl: Genau – meine Online-Redaktion darf gesetzlich nur 80 Meldungen pro Woche veröffentlichen. 80 Meldungen für ein Einzugsgebiet von 2,5 Millionen Menschen! Die überlegen sich ab Mittwoch, ob sie diese Meldung jetzt gerade veröffentlichen sollen, oder ob sie die liegen lassen, weil bis zum Sonntag in einer Großstadt eben noch sehr viel passieren kann. Das widerspricht fundamental unserer Informationspflicht und trotzdem will es das Gesetz so. Jeder, dem ich das erzähle, schüttelt ungläubig den Kopf…
LEADERSNET: Das Funkhaus soll ein echtes Hauptstadtstudio werden. Was kann man sich darunter vorstellen?
Weinzettl: Für uns als Landesstudio ist es vorrangig, einen starken Standort in der Stadt zu haben. Darum sind wir auch nicht auf den Küniglberg übersiedelt und werden das auch nicht tun. Unser Haus wird grundlegend saniert und im Zusammenspiel mit dem Immobilienentwickler, der den Großteil des Funkhauses in der Argentinierstraße gekauft hat, kann das ein ganz tolles Medien- und Kulturquartier werden. Der Große Sendesaal mit dem Radio Symphonieorchester bleibt ja auch im ORF-Eigentum und das Radio-Kulturhaus mit erweiterter Bühne bietet viel mehr Möglichkeiten für Aufführungen. Ich sehe im Zusammenspiel zb mit allem, was sich schon jetzt am Karlsplatz tut bis hin zum benachbarten Wien Museum die großartige Chance für einen echten cultural-hub in Innenstadtlage. (jw)
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