Letzte Woche war ich gemeinsam mit Laura Ries und Jens Hansen ein Referententeam auf der "Category Creation Conference: Powering The King of Grwoth" in Shanghai. Dabei war in Gesprächen und Interviews rund um die Konferenz ein Begriff immer wiederkehrend: "Der ökonomischen Winter".
Es gibt in China Befürchtungen, dass die Konjunktur – ähnlich wie in Japan – die nächsten Jahre oder sogar Jahrzehnte eher auf der Stelle treten werde.
Gleichzeitig präsentierte Simon Zhang, CEO von Ries Global seine Theorie der Category Creation als ultimative Wachstumsstrategie. Im Kern geht es dabei darum, dass man neue freie Kategorien findet, um diese dann mit dem richtigen Markennamen national und global zu besetzen. Für chinesische Unternehmen ergeben sich dabei im globalen Kontext vier verschiedene Wachstumsstrategien aus Kategorie- und Markensicht:
1. Global auf die eigene bestehende Kategorie und Marke setzen
Das ist die klassische Strategie, auf die auch viele westliche Marken setzten und natürlich setzen. Typische Beispiele dafür sind Marken wie Coca-Cola, McDonald’s, Mercedes-Benz, Porsche, Microsoft, Amazon, Google, SAP, Ikea, H&M oder Spotify.
Voraussetzung dafür ist, dass man eine Kategorie und einen Markennamen besitzt, der "internationalisierbar" ist. Marken wie Coca-Cola oder McDonald’s werden überall auf der Welt als führend in ihrer jeweiligen Kategorie wahrgenommen. Sehr erfolgreich mit dieser Art der Strategie war etwa die Marke Huawei mit der Kategorie "Kamera-Smartphone". Weniger erfolgreich war die chinesische Marke OnePlus. Man hatte zwar einen sehr guten Markennamen aus westlicher Sicht – sicher einfacher und merkbarer als Huawei – nur schaffte man es nie, eine eigene Kategorie global zu finden zu besetzen.
Im Idealfall passt zudem die regionale Herkunft im Sinne des "Country-of-Origins-Effekt" perfekt zur Kategorie und zum Markennamen. "Made in Germany" löst andere Assoziationen als "Made in Japan" oder "Made in China" aus. Gleichzeitig muss man aber immer auch mitbedenken, dass erfolgreiche Marken wiederum das Herkunftsland und damit das zukünftige "Made in …"-Image prägen.
2. Global die eigene Kategorie und Marke adaptieren
Nur viele chinesische und auch asiatische Marken können auf die erste oben genannte Strategie nicht setzen. Das hat zwei Gründe:
1. Die eigene Kategorie, in der man führend im chinesischen oder asiatischen Heimmarkt ist, hat wenig Aussicht auf internationalen Erfolg.
2. Der eigene Markenname stellt international eine Barriere dar, weil er schwer aussprechbar und damit merkbar ist.
Dazu sollten wir uns ein thailändisches Getränk ansehen. Dieses Getränk war und ist Marktführer in der Kategorie "Energetikum für Landarbeiter" und hat den Markennamen "Krating Daeng" (Roter Büffel oder Roter Gaur). Die internationalen Erfolgsaussichten mit dieser Kategorie und diesem Namen dürften mehr als nur gering gewesen sein.
So gesehen war es von Dietrich Mateschitz genial, dass er daraus die Kategorie "Energydrink" und den abgeleiteten Markennamen "Red Bull" entwickelte. Zudem adaptierte er leicht die Rezeptur und fügte Kohlensäure hinzu. Heute ist Red Bull nicht nur Weltmarktführer bei Energydrinks, sondern bereits auch die drittwertvollste Getränkemarke der Welt. Das wäre mit einem Namen wie "Krating Daeng" sehr schwer vorstellbar.
Hier stellt vor allem Pinyin, das System der Transkription chinesischer Begriffszeichen mit lateinischen Buchstaben, aus Markensicht ein großes Problem dar. Es erzeugt "westliche" Markennamen, die in vielen Fällen schwer aussprechbar und schwer merkbar sind. Es erzeugt Namen wie Xiaomi oder Meituan. China würde etwa "Zhōngguó" und nicht "China" in der westlichen Welt heißen.
Dazu kommt, dass oft auch positive chinesische Namen in ihrer Übersetzung negative Bedeutungen bekommen. Diese Erfahrung musste Jack, Weltmarktführer bei Nähmaschinen und einer der Hidden Champions aus China machen. Der Gründer und CEO Jixiang Ruan musste erkennen, dass Flying Balls speziell in den USA ein Name mit Bedeutungen war, die man keinesfalls wollte. Die Konsequenz daraus: Man taufte sich sehr erfolgreich in Jack um.
3. Eine bestehende, aber mental freie Kategorie finden und besetzen
Wer heute erfolgreich eine neue Kategorie besetzen will, muss diese nicht unbedingt erfinden. Vielmehr geht es darum, diese als erste Marke in der "globalen Wahrnehmung" zu besetzen. Genau das machte – strategisch gesehen – Elon Musk mit Tesla. Über Jahre dominierte Nissan mit dem Nissan Leaf den kleinen Markt für Elektroautos in den Marktanteilsstatistiken.
In der Wahrnehmung der Kund:innen spielte der Nissan Leaf so gut wie keine Rolle. Damit war der Weg für Elon Musk und die Marke Tesla frei, um die Kategorie Elektroauto zuerst mental und dann tatsächlich zu besetzen. Interessant dabei ist aktuell, ob und welcher chinesischen Elektroautomarke es gelingen wird, sich nachhaltig eine zuerst mentale und dann tatsächliche Position am Weltmarkt zu erobern.
Aktuell etwa ist MG die meistverkaufte Elektroautomarke in Europa in den Marktanteilsstatistiken. Gleichzeitig versucht BYD sich als die meistverkaufte Elektroautomarke Chinas in Europa und in den USA einmal mental zu positionieren. Hier wird es spannend, wer sich wirklich als erste chinesische Marke mental und tatsächlich dauerhaften positionieren kann.
4. Eine neue Kategorie und neue Marke speziell für die westliche Welt kreieren
Aus Markensicht sind aktuell TikTok, Shein und Temu interessant, die sich in extrem kurzer Zeit in der westlichen Welt vor allem in den Sozialen Medien etabliert haben. Diese Marken aus China wurden extra für die westliche Welt kreiert und positioniert. So ist heute TikTok diie Nummer 1 in der Kategorie "Kurzvideos", Shein in der Kategorie "Ultra-Fast-Fashion" und Temu in der Kategorie "Shopping like a billionaire".
In diesem globalen Expansionskontext erklärte Zhang Yiming, der Gründer und frühere CEO von TikTok: "In China befindet sich nur ein Fünftel der weltweiten Internetnutzer:innen. Wenn wir nicht auf globaler Ebene expandieren, werden wir zwangsläufig gegen Weggefährten verlieren, die es auf die vier Fünftel abgesehen haben. Eine globale Ausrichtung ist also ein Muss."
Hier, also speziell in der globalen Internetwelt könnten diese oben genannten Marken echte Vorbilder für die nächste Generation an chinesischen Internetmarken werden. Entscheidend dabei ist aber, dass man eine mental freie Kategorie findet. Zhang Yiming hätte wenig Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn er mit einer chinesischen Kopie von YouTube auf den globalen Markt geschielt hätte. Viel besser war es, sich mit der neuen Kategorie Kurzvideo einen eigenen Markt zu schaffen. Perfekt passend dazu natürlich der Name TikTok.
Zwischen ökonomischen Winter und globaler Aufbruchsstimmung
Aktuell sind sowohl das Wirtschafts- als auch das Konsumklima in China vom "ökonomischen Winter" geprägt. Viele Chinesen sehen sich gezwungen, dass man entweder den Konsum reduziert oder dass man zu billigeren Alternativen greift. Gleichzeitig sehen aber auch viele chinesische Unternehmer:innen die Chance, international und global zu wachsen. Nur das wird auch einen Paradigmenwechsel erfordern, von einer Verkaufsmentalität hin zu einer Markenmentalität mit nachhaltiger Wertschöpfung. Und je mehr echte Marken aus China kommen werden, desto stärker wird sich auch die globale Wahrnehmung von "Made in China" verändern. In diesem Kontext war meine Botschaft an China und die Welt: Krisen kommen und gehen, starke Marken bestehen.
Markenstratege Michael Brandtner ist Österreichs führender Markenpositionierungsexperte und Associate of Ries Global. Zudem ist er Autor der Bücher "Markenpositionierung im 21. Jahrhundert" und "Radikale Markenfokussierung".
www.brandtneronbranding.com
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