"Es ist beschämend"

Marie Hélène Ametsreiter, Partnerin bei Speedinvest, im Interview über Old Economy und Start-up-Welt, warum Frauen auch in dieser noch immer unterrepräsentiert sind und welchen Stellenwert die kulturellen, sozialen, nationalen und intellektuellen Aspekte haben. 

LEADERSNET: Old Economy und Start-up-Welt präsentieren sich in Sachen Diversität erstaunlich ähnlich: Jung und männlich ist der Prototyp des Start-up-Gründers. Gründerinnen, aber auch Investorinnen sind in Österreich noch eher eine Rarität. Wo liegen die Ursachen? Warum sind Frauen noch immer unterrepräsentiert?

Ametsreiter: Tatsächlich liegt der Anteil an weiblichen Gründerinnen in österreichischen Startups (rein weibliche oder gender-mixed Gründerteams) bei unter 20 Prozent. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von sozio strukturellen Gründen (Unternehmertum gilt als "Risikoberufsgruppe") über bildungspolitische Ursachen (zu wenige Mädchen mit technischer Ausbildung) bis hin zu faktisch-praktischen Auslösern (fehlende Karenzregelungen und Kinderversorgung für selbstständige Frauen).

LEADERSNET:  Wie ist die Lage bei den Investorinnen?

Ametsreiter: Bei den Investorinnen ist es ähnlich: Die Berufssparte ist noch recht neu und so setzt erst jetzt die Erkenntnis ein, dass es hier ein massives Ungleichgewicht gibt. In der DACH-Region gibt es unter den 28 größten VCs, die 6,6 Milliarden Euro Assets under Management verwalten, derzeit nur fünf weibliche Investment-Partnerinnen. Das ist beschämend.

LEADERSNET:  Worin liegen die größten Probleme?

Ametsreiter: Das Hauptproblem ist derzeit, dass die Venture Capital (VC) und Start-up-Community ein in sich stark geschlossenes System ist. Investitionen zu tätigen ist ein Vertrauensgeschäft – und so investiert man leichter in Teams, die man bereits kennt, deren Entscheidungsmuster und Hintergründe vertraut sind. Ehemalige erfolgreiche Gründer sind die Investoren von heute – also ein sich selbst verstärkendes Netzwerk. Diese Struktur gilt es aufzubrechen und neue, diverse Gruppen zu integrieren.

LEADERSNET:  Was unterscheidet Gründerinnen und Gründer?

Ametsreiter: Ich bin generell gegen Geschlechter-Pauschalisierungen. Ich habe sehr starke und souveräne Gründerinnen getroffen, die sich selbst und ihr Unternehmen perfekt vermarkten konnten. Genauso kenne ich Männer, die nicht in der Lage waren, ihre exzellente Technologie in ein verkaufbares Produkt zu übersetzen. Tendenziell kann man aber schon feststellen, dass weibliche Gründerinnen sich leider noch zu häufig "unter Wert verkaufen" und auch in ihren Forderungen oft zu bescheiden sind.

Zudem plädiere ich für ein breites Verständnis von Diversität. Wirkliche Bereicherung kommt nicht nur durch eine ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen, sondern auch durch kulturelle, soziale, nationale und intellektuelle Vielfalt zustande.

LEADERSNET:  Tun sich Frauen schwerer, Investoren von ihren Ideen zu überzeugen?

Ametsreiter: Ja und das ist auch statistisch bewiesen. Dies hat mit dem Bias zu tun, dass Männer weiblichen Gründerinnen einfach weniger zutrauen als ihren männlichen Gegenstücken und damit im Due-Diligence Verfahren bereits viele negativ konnotierte Fragen stellen – sprich mit Frauen öfter die Risiken und Gefahren diskutieren als die Chancen und Möglichkeiten. Zudem tun sich Frauen oftmals auch schwer in einem sehr männerdominierten Umfeld zu pitchen. Es ist manchmal einfach nicht angenehm vor reinen Männer-Jurys oder Investment-Committees zu präsentieren.

LEADERSNET: Wie können Role Models das Gendergleichgewicht in der Startup-Szene erhöhen?

Ametsreiter: Auch hier ist statistisch bewiesen, dass diverse Investorenteams auch "buntere" Portfolios aufbauen und nicht in ihrer eigenen "bubble" feststecken. Kurzum: Ja, wir brauchen unbedingt mehr weibliche bzw. diverse Role-Models und müssen diese auch sichtbar machen.

LEADERSNET: Wie steht es um den Frauenanteil bei den Investoren? Wer sind die spannendsten und inspirierendsten Frauen der internationalen Szene?

Ametsreiter: Susanne Klatten – Investorin und Förderin des UnternehmerTUMs in München. Aber auch viele erfolgreiche Gründerinnen wie z.B. Katharina Klausberger (Shpock) betätigen sich als Business Angel oder gründen sogar eigene Fonds wie z.B. Reshma Sohoni (Seedcamp).

Die österreichischen Gründerinnen von Female Founders seien hier ebenfalls erwähnt. Sie machen einen wirklich tollen Job, um Bewusstseinsbildung und Förderung des weiblichen Startup-Eco-Systems voranzutreiben. (jw)

www.speedinvest.com

Marie Hélène Ametsreiter

Marie Hélène Ametsreiter hat Betriebswirtschaftslehre in Wien und Kalifornien studiert. Bei der Telekom Austria war sie 16 Jahre lang tätig, während sie gleichzeitig als Präsidentin im Vorstand von VIPnet, dem ersten Mobilfunkanbieter Kroatiens agierte. 2006 wurde Ametsreiter zur Managerin des Jahres gewählt und übernahm anschließend den Handelssektor in acht Ländern. 2011 wurde ihr die Führung der Abteilung Corporate Sustainability bei der OMV übergeben. Seit 2014 ist sie Partnerin von Speedinvest.

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Marie Hélène Ametsreiter

Marie Hélène Ametsreiter hat Betriebswirtschaftslehre in Wien und Kalifornien studiert. Bei der Telekom Austria war sie 16 Jahre lang tätig, während sie gleichzeitig als Präsidentin im Vorstand von VIPnet, dem ersten Mobilfunkanbieter Kroatiens agierte. 2006 wurde Ametsreiter zur Managerin des Jahres gewählt und übernahm anschließend den Handelssektor in acht Ländern. 2011 wurde ihr die Führung der Abteilung Corporate Sustainability bei der OMV übergeben. Seit 2014 ist sie Partnerin von Speedinvest.

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