"Ich fange wieder bei null an"

Noch-Erste Bank-Chef Peter Bosek wagt nach 24 Jahren einen beruflichen Neuanfang. Was ihn im Baltikum erwarten wird, wie er zu "Mr. George" geworden ist, was sein Team bei der Ersten nach seinem Abschied machen wird und warum er ein Fan der DSGVO ist, erzählt er im LEADERSNET-Interview.

Erste Bank-Vorstandschef Peter Bosek hat vor einem Monat überraschend angekündigt, die Erste Bank nach 24 Jahren zu verlassen. Ab nächstem Jahr wird er die Position des CEO bei der Luminor Bank im Baltikum übernehmen.

LEADERSNET hat den 52-Jährigen zum großen Abschiedsinterview getroffen und sich mit ihm über die Widerstände bei der Einführung des Online-Bankings "George", die zukünftigen Entwicklungen des Bankensektors, seine berufliche Zukunft, seine Mentoren, seine Vorliebe für die DSGVO und welchen Beitrag die Kreditwirtschaft zur Lösung der Coronakrise beitragen kann, unterhalten.

LEADERSNET: Sie waren 24 Jahre bei der Erste Bank tätig, davon die letzten 13 als Vorstand. Als "Mr. George" haben Sie in Sachen Digitalisierung gezeigt, was im Bankensektor alles möglich ist. Wenn Sie heute zurückblicken: War die Branche damals schon bereit dafür?

Bosek: Als wir die Digitalisierung das erste Mal aufs Tapet gebracht haben, war es nicht so, dass jeder gesagt hat: "Wow, das ist eine mega-gute Idee." Ich kann mich noch erinnern, dass uns alle angeschaut haben, als hätten wir irgendwelche komischen Substanzen zu uns genommen, als Maurizio Poletto, Boris Marte und ich die ersten Präsentationen zum Thema "George" gemacht haben. Es hat eine Zeit lang gedauert, die Menschen davon zu überzeugen, dass wir uns als Bank an ein verändertes Kundenverhalten anpassen müssen. Man kauft mit einem Klick auf Amazon ein und scrollt mit dem Daumen durch den Instagram-Account – das sind alles Dinge, die damals im Online-Banking nicht gegangen sind. Somit war klar, dass man hier etwas machen muss. Wir haben am Anfang viele Hürden überwinden müssen. Ich hatte auch das Riesenglück, dass wir ein sensationelles Team waren, das sehr divers war.

LEADERSNET: Welche Rolle hat die Diversität des Teams gespielt?

Bosek: Das war extrem wichtig. Wir haben uns immer wieder gechallenged und uns gegenseitig die Stange gehalten. Wir hatten auch das Glück, dass uns Erste Group-CEO Andreas Treichl einen gewissen Freiraum gegeben hat, uns da auszutoben. Wir hatten das gemeinsame Ziel das Thema Banking weiterzuentwickeln und zu verbessern. Das kann man sich natürlich vornehmen, aber wenn man nicht das richtige Team rundherum hat, dann funktioniert es nicht. Wir haben natürlich alle nicht gewusst, ob das gut enden wird. Glücklicherweise ist es sogar sehr gut geendet. Trotzdem glaube ich, dass das erst der Anfang ist.

LEADERSNET: Und wer wird es zu Ende bringen?

Bosek: Die, die jetzt kommen, machen weiter. Ein Ende ist aber noch ganz lange nicht in Sicht. Das, was uns bis jetzt gelungen ist, ist eine sehr smarte, "conviniende" Oberfläche für die Kunden zu schaffen, die zudem ein paar Zusatzfeatures hat, die andere nicht haben. Ich glaube der nächste Schritt, der jetzt kommen wird, ist ein digitales Beratungsteil, für alle die dies wollen. Im Anschluss wird es eine Automatisierung dieses Beratungsteils geben. Man darf nämlich nicht erwarten, dass Menschen gerne dauernd irgendwas auf ihrem Girokonto machen oder Geld hin und her überweisen. Die Menschen wollen es einfach haben und desto mehr wir ihnen dabei helfen können, umso besser.

LEADERSNET: Wann denken Sie, werden wir diese Neuerungen sehen?

Bosek: Ich glaube, dass das Entwicklungen sind, die wir wahrscheinlich in den nächsten zwei bis drei Jahren sehen werden. Und dann könnte es sein, dass das Thema Sprache noch einmal kommt. Ich würde davon ausgehen, dass Apple und Amazon ihre Siris und Alexas noch zwei Mal neu programmieren und dann werden diese Sprachassistenten so richtig gut funktionieren und es wird sich nochmal flächendeckend etwas verändern.

LEADERSNET: Inwieweit ist Künstliche Intelligenz in der Branche ein Thema?

Bosek: Ja, das ist natürlich ein Thema, keine Frage. Ich halte es nur im Moment für sehr gehypt. Es gibt natürlich große Unternehmen wie Google, die sich mit diesen Dingen wahnsinnig gut auskennen. Ich glaube aber nicht, dass der Bankensektor weltweit zu den führenden Branchen beim Thema Künstliche Intelligenz zählen wird. Aber es wird sicherlich genutzt werden, wenn es etabliert ist. Ich glaube jedoch, dass da noch ein Entwicklungs- und Lernprozess notwendig ist. Das ist nichts, wo wir – aus meiner Sicht zumindest – Frontrunner sein müssen. Da gibt es noch ganz andere Potenziale, die wir vorher nutzen können und die das Leben unserer Kunden leichter machen.

LEADERSNET: Denken Sie, dass Ihr Team nach Ihrem Abgang von der Konkurrenz abgeworben werden könnte?

Bosek: Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Team nicht "abwerbbar" ist. Die Erste Bank hat ihren speziellen Reiz. Ich kann mir schwer vorstellen, dass das in anderen Unternehmen vom Spirit her so funktioniert, wie es hier funktioniert hat. Darum bin überzeugt davon, dass sie weiterhin im Unternehmen bleiben werden und auch ohne mich richtig gute Dinge machen werden.

LEADERSNET: Sie verlassen die Erste mit Ende des Jahres und werden CEO der Luminor Bank im Baltikum. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Bosek: Luminor ist die drittgrößte Bank im Baltikum und die größte lokale baltische Bank, an der Blackstone letztes Jahr 60 Prozent erworben hat. Der Markt selbst ist dort wahnsinnig dynamisch. Es ist ein sehr profitabler Bankenmarkt. Die schwedischen Banken verdienen dort 20 Prozent ROI (Return of Investement), haben eine Cost Income Ratio von unter 40. Jetzt gilt es, die Luminor auf der Vertriebsseite und auf der digitalen Seite stark zu machen. Und das ist genau mein Ding.

LEADERSNET: Was genau heißt "digital stark machen"?

Bosek: Das heißt, eine starke Bank mit einem starken digitalen Ast zu bauen. Es bedeutet aber nicht, eine rein digitale Bank daraus zu machen. Das möchte ich nicht. Aber ich kann dort in einem Umfeld mit vielen sehr guten Softwareentwickler arbeiten. Darüber hinaus sind die Menschen grundsätzlich sehr gewöhnt daran, mit digitalen Instrumenten zu arbeiten.

LEADERSNET: Was denken Sie, hat die Entscheidungsträger der Luminor am meisten an Ihnen überzeugt, sie als CEO zu verpflichten?

Bosek: Ich glaube, sie waren von meinem Wiener Schmäh fasziniert (lacht). Aber Spaß beiseite: Ich denke das ist ein guter Fit, weil ich Banking von allen Seiten kenne, das Kundengeschäft sehr liebe und mich mit dem Thema Digitalisierung ein wenig auskenne.

LEADERSNET: War die Aussicht auf eine neue berufliche Herausforderung in einem anderen Land hemmend oder war sie ein entscheidender Mitgrund zu Luminor zu wechseln?

Bosek: Es ist für mich beruflich auf jeden Fall nochmal so etwas wie ein Neustart. Ich gehe in ein Land, wo ich den Markt nicht kenne, wo ich die Politik nicht kenne und ich eigentlich wieder bei null anfange. Ich denke, dass das für meine Persönlichkeitsentwicklung extrem wichtig ist und mir Riesenspaß machen wird.

LEADERSNET: Werden Sie Ihren Lebensmittelpunkt auch dorthin verlegen?

Bosek: Ja, das ist gar keine Frage. Ich kann mir nicht vorstellen, so eine Bank zu führen, wenn ich nicht dort lebe. Da würde mir das Gefühl für den Markt verloren gehen.

LEADERSNET: Wie sehr unterscheiden sich die Rahmenbedingungen, die Sie dort vorfinden werden, von denen in Österreich?

Bosek: Die Rahmenbedingungen sind natürlich teilweise anders. Es ist um ein paar Grad stärker digitalisiert – und zwar vom gesamten Niveau her, nicht nur im Banking. Es sind drei sehr aufstrebende Volkswirtschaften, die in den letzten 30 Jahren viel richtig gemacht haben und wo wahrscheinlich im Moment in Europa der beste Platz ist, um Banking zu machen.

LEADERSNET: Wenn Sie dem österreichischen Markt zum Abschied eine Empfehlung geben würden, welche wäre das?

Bosek: Ich glaube, dass das österreichische Banking in weiten Teilen auf einem guten Weg ist. Ich glaube, dass das Land ein paar starke österreichische Banken braucht. Jedes Land braucht eine starke Kreditwirtschaft. Gerade in einer Zeit wie jetzt, wo wir mitten in einer Krise stecken, ist es umso wichtiger einen kreditwirtschaftlichen Sektor zu haben, der sich vernünftig verhält. Ich habe immer einen sehr positiven Eindruck von meinen Kollegen gehabt. Ich glaube, sie haben in den letzten Monaten auch alle bewiesen, dass sie, wenn es anfängt rein zu regnen, auch sehr gut unterstützen können.

Ich glaube, es wird auch Initiativen der Banken brauchen, um wieder nach vorne schauen zu können und um ein paar Dinge finanzieren zu können, die mental wieder Lust auf wirtschaftliche Aktivitäten machen. Ich glaube, das ist eine der größten Herausforderungen, die wir jetzt alle gemeinsam vor uns haben. Wir müssen das Land mental wieder nach vorne ziehen. Es braucht nicht nur eine Impfung gegen das Virus, sondern auch eine Optimismus-Spritze. Wenn Menschen nur Zuhause sind und Sorge haben, sich anzustecken, dann ist klar, dass das mental was macht. Wir brauchen aber wieder eine Situation, wo Menschen mit stolzer Brust rausgehen und Aktivitäten setzen. Das kann die Kreditwirtschaft natürlich nicht alleine machen, aber sie kann sehr wohl einen sinnvollen Beitrag leisten.

LEADERSNET: Ist der europäische Datenschutz für die Digitalisierung ein Hemmschuh?

Bosek: Nein, ich sehe das eigentlich als extrem positiv. Das ist etwas, das Europa wieder stärker machen kann. Ich glaube nicht daran, dass in Europa das nächste Google oder Amazon entsteht. Dieser Zug ist schon vor 20 Jahren abgefahren. Da kann die Europäische Kommission jetzt noch zehnmal eine Digitalisierungsagenda mit 3.000 Punkten machen, die man nach zwei Tagen wieder vergessen hat oder einschläft, während man sie liest. Aber ich glaube, dass der europäische Beitrag zur Digitalisierung der sein kann, dem Ganzen ein kulturelles Verständnis und einen kulturellen Kontext mitzugeben. Und das Thema Datenschutz ist in diesem Zusammenhang extrem wichtig. Wir haben in Europa einen hohen Standard an Datenschutz und das ist auch gut so. Ich bin wahrscheinlich einer der ganz wenigen, der die DSGVO für wirklich gescheit hält. Der Grund dafür ist, dass es sich um eine Regulatorik handelt, die zum ersten Mal wirklich nach vorne schaut, weil sie ein Bedürfnis der Bevölkerung abholt. Nämlich, dass meine Daten für mich da sind und nicht für die Googles und Facebooks dieser Welt. Das finde ich gut und ich glaube, dass das natürlich auch für viele Banken ein riesen Startvorteil ist, weil wir in Österreich beispielsweise eine starke Bankgeheimniskultur haben. Ich glaube nicht, dass Banken ausschließlich Technologiekonzerne mit Banklizenz werden, auch wenn es Branchenkollegen gibt, die das so sehen. Ich glaube, dass wir Banking machen sollten und es für die Menschen so gestalten sollten, dass es einfach handzuhaben ist. Da möchte man auch nicht, dass die eigenen Daten weiterverkauft werden.

LEADERSNET: Abschließend noch zwei persönliche Fragen. Was lieben Sie an Wien und Österreich ganz besonders?

Bosek: Ich lebe wahnsinnig gerne hier. Ich bin in der Stadt aufgewachsen. Ich mag, dass Wien so grün ist und ich mag, dass Wien zwar groß aber gleichzeitig auch nicht groß ist. Die Stadt hat eine unfassbare Lebensqualität. Österreich hat wunderschöne Teile. Ich muss zugeben, dass ich ein Steiermark-Fan bin, obwohl ich die Oberösterreicher auch sehr mag.

LEADERSNET: Und wer waren die Mentoren, die Sie in Ihrer Karriere begleitet haben?

Bosek: Andreas Treichl hat sich sehr um mich gekümmert aber auch – gerade am Anfang meiner Karriere – Elisabeth Bleyleben-Koren sowie Wolfgang Ulrich und Josef Schmidinger waren die prägendsten Menschen beruflicher Natur.

www.erstebank.at

www.luminor.lt

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