Text: Sonja Planeta
LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das Nachhaltigkeits-Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in allen ihren Facetten von Environment über Social bis Governance.
Nachdem es in den vergangenen Wochen zum einen um Strategien und Umsetzung von Inklusion ging und zum anderen darum, eine Behinderung als Chance zu sehen und Inklusion als Superkraft zu verstehen, geht es in dieser Woche um vegane Ernährung. Nadina Ruedl will die österreichischen Essgewohnheiten nachhaltiger gestalten. Mit ihrer "Die Pflanzerei" setzt sie deshalb auf vegane Hausmannskost – und revolutioniert gleichzeitig Fleischerbranche und pflanzliche Landwirtschaft.
Mehr als eine Million Österreicher:innen essen wöchentlich Leberkäse. Das geht aus einer Studie hervor, die 2017 vom Market-Institut im Auftrag des oberösterreichischen Fleisch- und Leberkäseproduzenten gourmetfein veröffentlicht wurde. "Das sind Zahlen, die kannst du dir nicht vorstellen", sagt Nadina Ruedl, Gründerin und CEO von Die Pflanzerei, die auf die Produktion von pflanzlichen Fleisch-, Wurst- und Mehlspeisenklassikern der österreichischen Küche spezialisiert ist. Ruedls bekanntestes Produkt ist "Gustl – Der pflanzliche Leverkas". "Wenn du die Österreicher:innen abholen willst, brauchst du die Leberkässemmel. Sie ist der Inbegriff von Essen."
Gustl, der Erste. Nadina Ruedl bot ihren veganen Leberkäse anfangs als Streetfood an. 2022 gelang ihr die Listung im Supermarkt © Robert Harson
Kein Pflanz!
Nadina Ruedl lebt seit knapp vier Jahren vegan. Auf österreichische Hausmannskost will sie dennoch nicht verzichten. Die Leberkässemmel ist Kindheitserinnerung und Teil ihrer Ess-Identität, genauso wie das Schnitzel, das Fleischlaberl von der Oma mit den zu groß geschnittenen Zwiebelstücken und das Wurstradl, das ihr beim Fleischer über die Theke gereicht wurde. "Das ist mir erst bewusst geworden, als ich es nicht mehr hatte. Das ist die österreichische Esskultur. Und genau diese Emotion, diese Begeisterung für die Hausmannskost, die ich aus meiner Kindheit kenne, will ich mit der Pflanzerei transportieren. Als ich meinen Eltern erzählt habe, dass ich jetzt veganen Leberkäse mache, war das für meinen Vater wie eine Grenze, die ich überschritten hatte. Wie kann ich nur die Leberkässemmel angreifen? Da wusste ich: Das ist die Reaktion, die ich brauche. Das ist die Emotion."
60 Prozent Umsatz auf dem Fleischmarkt werden 2040 auf plant-based Produkte entfallen. (Quelle: Kearney 2020)
2022 gründete Ruedl ihr Unternehmen, das heute zu den nachhaltigsten Businessideen Österreichs zählt. Davor war die gebürtige Salzburgerin Kommunikationsleiterin bei den gemeinnützigen Vereinen "Donau Soja" und "Land schafft Leben", die sich für eine regionale und nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion einsetzen. Zudem war Ruedl als Dozentin und Lehrgangsleiterin an der Donau-Universität Krems und der Fachhochschule Wiener Neustadt tätig. Ihre Vision für "Die Pflanzerei": regionale Landwirtschaft und echtes Handwerk statt anonymer Massenware. "Die Idee ist es, eine Systemumstellung zu bewirken – das heißt, die bereits bestehende Wertschöpfungskette zu nutzen. Es geht nicht darum, dass "Die Pflanzerei" eine eigene Produktion hat, sondern ich arbeite mit Partnern, die bereits im System sind und dieses System mit mir umdrehen. Also mit Metzgern, die zusätzlich zu ihren tierischen Produkten pflanzliche Fleischprodukte herstellen. Und mit Landwirten, die ohnehin schon Rohstoffe produzieren, nur dass diese nun auch für Fleischprodukte aus pflanzlichen Zutaten verwendet werden."
»Die Leberkässemmel ist der Inbegriff österreichischer Esskultur.« Nadina Ruedl
Anfangs gestaltete sich die Suche nach Metzgern schwierig. Ruedl begann daraufhin, im Branchenmagazin Fleisch & Co. eine monatliche Kolumne zu verfassen. Sie schrieb von ihrer Oma, die an den Weihnachtstagen zum Metzger ging, um für ihre vegan lebende Enkelin einzukaufen – aber natürlich nichts bekam ("Für meine Oma ist das ganz normal, dass sie zum Metzger geht."). Sie erzählte von ihrem Onkel, der nicht verstand, warum er für sie vegane Würstl grillen sollte ("Ich will nicht kein Fleisch essen, ich will’s nur nicht vom Tier."). Und sie schilderte, wie einer ihrer Produzenten eine Kiste vegane Käsekrainer zu ihr nach Hause in den siebten Wiener Gemeindebezirk lieferte, sie im Altbau auf den Postkästen abstellte und diese Kiste gestohlen wurde ("Weil die Käsekrainer so gut ausgesehen haben. Ich werte das als Erfolg."). "So bin ich in die Fleischerszene reingekommen. Die Metzger haben gesehen, dass ich weder dogmatisch noch eine Bedrohung für sie bin, sondern eine Möglichkeit, die sie nutzen können, wenn sie wollen: Ich habe die Rezepturen, den Markt, die Listungen. Und ich nehme sie in der Kommunikation voll mit."
Regional, handgemacht, nachhaltig
Das Sortiment der Pflanzerei umfasst mittlerweile 25 Produkte, bis Jahresende 2024 dann 40. Die Zutaten dafür werden regional und möglichst nah bei den Produzenten bezogen; die Grenzen des Einkaufs werden sogar vertraglich festgelegt. Ausnahmen gibt es, um Spitzen abzufedern, wie Ruedl sagt, etwa bei Gustl-Großbestellungen für den Lebensmitteleinzelhandel oder das Münchner Oktoberfest. "Es ist immer ein Kompromiss zwischen regional, saisonal und was in der Praxis wirklich machbar ist." Produktnamen wie Gustl (Leverkas), G’rippter Rudi (pflanzliche Ripperln), Wiener Mitzl (veganes Schnitzel), Flotti Lotti (Vleisch-Laibchen) oder Scharfer Rainer (scharfe Kävekrainer) unterstreichen die österreichische DNA und helfen, Berührungsängste abzubauen.
Wiener Mitzl. Das pflanzliche Schnitzel ist handgemacht und dünn geklopft. Es ist eines von mittlerweile 25 "Die Pflanzerei"-Produkten © Die Pflanzerei/ Veganes Schnitzel/ Wien Mitzl
"Ich würde gerne sagen, dass sich das Image veganer Produkte in den letzten Jahren verändert hat und jetzt alles anders ist, aber es gibt immer noch Barrieren abzubauen. Es ist kein entweder oder, sondern ein und. Wir müssen weg von diesem Schwarz oder Weiß, von richtig oder falsch. Vegan ist eine weitere Variante, und im Mittelpunkt steht der Genuss. Der Esstisch muss für jeden etwas anbieten. Und wenn ich als vegan lebender Mensch mit einem Metzger zusammenarbeiten kann, dann werden wir es ja wohl schaffen, dass wir generell ein System der Gemeinschaft zusammenbringen."
15 Prozent der Österreicher:innen essen (mehrmals) wöchentlich Leberkäse. (Quelle: Leberkäsereport 2017)
Laut der "Smart Protein European Customer Survey 2023" hat Österreich europaweit den höchsten Anteil an vegan lebenden Menschen (5 %). 15 Prozent ernähren sich entweder vegan, vegetarisch oder pescetarisch, 37 Prozent bezeichnen sich selbst als Flexitarier:innen. Gleichzeitig ist Österreich mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 57,6 Kilogramm Fleisch aber unter den Top-3-Ländern innerhalb der EU. Was es braucht, um den Österreicher:innen vegane Lebensmittel näherzubringen und ihr Vertrauen in die Produkte zu stärken, sei laut Ruedl Transparenz. "Du kannst ein System nicht ändern, wenn du den Menschen die Unterscheidung zwischen echtem Handwerk und industrieller Fertigung nicht vermittelst. Es braucht bei pflanzlichen Fleischprodukten Konsumkompetenz, und die fehlt. Ich will kritische Konsument:innen, die nachfragen und uns, wenn nötig, auf die Finger klopfen." Produkte der Pflanzerei werden von Hand gefertigt, "ökologisch vernünftig produziert und die Menschen werden fair bezahlt. Das ist der Grund, warum meine Produkte am Ende des Tages reale Preise haben. Weil die Anforderungen, die ich stelle, andere sind: Ich hätte gerne Partner auf Augenhöhe, die mit mir gemeinsam die Idee von guten, regionalen, pflanzlichen Produkten tragen. Und dann hätte ich gerne Gemüse, und das möglichst regional. Und dann hätte ich gerne, dass da keine Zusatzstoffe drinnen sind. Und jedes dieser 'hätte ich gerne' kostet. Wie soll ich da mit einem Eigenmarke-Leberkäse um 3,99 mithalten, der aus einem Wasser-Pulver-Gemisch industriell gefertigt wird?"
»Die Idee der Pflanzerei ist es, eine Systemumstellung zu bewirken.« Nadina Ruedl
Auch arbeitete Nadina Ruedl im vergangenen Jahr mit ihrem Team und Partner:innen an einem veganen Martinigansl und veganem, paniertem Karpfen für die Weihnachtstage. Zudem möchte sie in Zukunft vermehrt als Speakerin auftreten und die Zusammenarbeit mit Schulen verstärken. Auch eine eigene Supplement-Linie und das erste Pop-up-Gastrokonzept auf dem Wiener Karmelitermarkt sind in Planung. "Das Vegane bietet ganz viele Möglichkeiten, ein System aufzubrechen und einem Lebensmittel einen neuen Wert zu geben. Das sollten wir nutzen. Der Gustl war der erste vegane Leberkäse, der es bei Billa in die heiße Theke geschafft hat; dort, wo der Fleischesser steht, da liegt er jetzt neben allen anderen. Neben allen anderen. Das meine ich mit: sich einlassen. Die anderen akzeptieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass man bei mehreren Varianten auch mal die vegane probiert, ist groß. Und genau darum geht es. Darum, Barrieren abzubauen." –
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