LEADERSNET: Korruption, Kartellaffären, Geldwäsche und Preisabsprachen. Betrachtet man die Schlagzeilen der letzten Monate, taucht das Schlagwort Compliance regelmäßig auf. Aber was bedeutet Compliance im Wirtschaftsleben eigentlich?
Jonas: Vereinfacht gesagt, bedeutet dieser Begriff Regeltreue. Man sagt zu, dass man am Markt die Regeln einhält und andere Unternehmer:innen und Kund:innen fair und regelkonform behandelt.
Speziell in der Wirtschaft wird die Regeldichte immer größer und komplexer, so dass sich ein Unternehmen auch aktiv darum kümmern muss. Es ist nicht immer Vorsatz, der zu Regelverstößen führt, oft ist man ganz einfach überfordert und verliert den Überblick. Deswegen braucht es heutzutage auch ein Compliance-Management.
LEADERSNET: Warum steht gerade das Management bei Compliance im Rampenlicht?
Jonas: Das hat mit der rechtlichen Lage zu tun. Immerhin wird die Unternehmensführung für Fehler oder Regelverstöße verantwortlich gemacht. Ein CEO hat am Ende des Tages die Verantwortung, dass ein Unternehmen regelkonform geführt wird und entsprechend agiert.
Außerdem hat die Führung den Auftrag, beim Thema Compliance ein Vorbild zu sein. Wenn der Wille von oben nicht kommt, warum sollen dann die Mitarbeiter:innen entsprechend agieren. Diese Vorbildwirkung ist enorm wichtig.
LEADERSNET: Welche Maßnahmen kann das Management setzen, um Compliance-Verstößen vorzubeugen?
Jonas: Heutzutage muss man in großen Unternehmen ein Managementsystem einführen und einige Punkte beachten. Wie bereits erwähnt ist es zuerst einmal die Verantwortung einer Unternehmensführung, sich zur Compliance zu bekennen und aktiv zu sagen: Wir müssen das machen.
Man braucht zum Beispiel einen Compliance-Officer und muss die Ressourcen bereitstellen. Als CEO wird man hier operativ nicht viel machen, außer dass man immer wieder selbst vor die Mitarbeiter:innen tritt und sich dazu bekennt, die Ressourcen bereitstellt und als Vorbild agiert.
LEADERSNET: Wie kann man sich Compliance-Management in der Praxis vorstellen?
Jonas: Neben dem Bekenntnis von oben ist es wichtig, die Führungskräfte entsprechend individuell zu schulen. Ein:e Vertriebler:in hat etwa andere Herausforderungen als ein:e Einkäufer:in.
Im operativen Teil des Unternehmens gilt es natürlich, intern Regeln zu erstellen – mitunter auch sogenannte „Sicherheitsschleusen“.
LEADERSNET: Was wäre eine „Sicherheitsschleuse“?
Jonas: Das kann zum Beispiel das klassische „Vier-Augen-Prinzip“ sein. Wichtig ist es auch, ab und zu die Bereiche der:die Verantwortliche:n zu wechseln. Und schlussendlich müssen die aufgestellten Regeln auch intern überprüft werden.
LEADERSNET: Was für Maßnahmen könnte ein CEO setzen, wenn er/sie bemerkt, dass einer seiner/ihrer Mitarbeiter:innen einen Compliance-Verstoß begangen hat?
Jonas: Wichtig ist es, dass eine faire, objektive und neutrale Untersuchung geführt wird. "Hängt ihn höher"- oder "Schmeißt ihn raus“-Rufe sind hier absolut unnütz. Als Unternehmen sollte man versuchen, aus diesen Verstößen zu lernen.
Und wie bereits erwähnt, muss hinter einem Fehlverhalten keine Absicht stehen, es kann auch reines Unwissen sein. Zweifelsfrei gehen im Anschluss alle Beteiligten nicht nur geläutert, sondern auch klüger aus dem Prozess heraus. Sollte es sich wirklich um bewusstes, kriminelles Verhalten handeln, dann gibt es dafür natürlich die Strafverfolgungsbehörden.
LEADERSNET: Sie haben mehrfach erwähnt, dass die Materie mittlerweile sehr kompliziert ist. Wohin sollen sich Unternehmen wenden, wenn sie sich in diese Richtung beraten lassen möchten?
Jonas: Speziell Standards für Managementsysteme geben einen Leitfaden für die Praxis. Wir bei Austrian Standards können unterstützen, aber natürlich auch einige Consulting-Firmen oder Anwaltskanzleien.
Hilfe gibt es genug, es ist immer nur die Frage, wie ernst man das Thema nehmen will und viel Geld man in die Hand nehmen möchte.
LEADERSNET: Am Ende des Tages ist es für ein Unternehmen wichtig, Geld zu verdienen. Inwiefern können Compliance-Zertifizierungen einen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen generieren?
Jonas: Wichtig ist der Standard per se und dass man diesen auch einhält. Es macht aber natürlich Sinn, im Zweifelsfall den unmittelbaren Nachweis durch die Zertifizierung zu haben, dass dieser Standard eingehalten wird. Sollte es etwa zu einem Verfahren kommen, dann wirkt diese Zertifizierung wie eine Art Sicherheitsgurt.
Und wie beim Autofahren würde ich immer raten, sich anzuschnallen. Konkret zum Thema Wettbewerbsvorteil beobachte ich, dass sich ein gewisser Druck auf dem Markt entwickelt. Etwa bei großen Ausschreibungen von öffentlichen Auftraggebern wird eine Compliance-Zertifizierung immer mehr gefordert. Wir haben mittlerweile viele Kund:innen, die genau wegen solchen Ausschreibungen bei uns sind.
LEADERSNET: Welche Werkzeuge bekommen das Management und die Mitarbeiter:innen, wenn das Commitment zu einem Compliance-Management-System da ist?
Jonas: Man bekommt einen Leitfaden, wie man ein funktionierendes System aufbaut und welche Elemente im operativen Betrieb essenziell sind. Beispiel: Ein:e Compliance-Officer:in sollte einerseits direkt an den Vorstand berichten, aber nicht an den Aufsichtsrat. Ein:e Compliance Officer:in sollte außerdem nicht einem Interessenskonflikt unterliegen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn jemand gleichzeitig Vertriebschef:in und Compliance-Officer:in ist.
Die großen Leitlinien findet man in den Standards – z.B. in der ISO 37301. Die Detailumsetzung muss jede:r für sich entscheiden.
Ein anderes "Werkzeug" ist die Zertifizierung. Diese hilft, wie gesagt, mitunter enorm. Nicht nur am Markt. Wir können außerdem sehr fachkundiges Personal senden, von dem ein Unternehmen lernen kann.
www.austrian-standards.at
Kommentar schreiben