Interview mit Elisabeth Proksch
"Menschen, die keinen Zugang zu sich selbst haben, sehe ich nicht in Führungspositionen"

Elisabeth Proksch ist Expertin für Unternehmenskulturen, Change-Management und Führungskräfteentwicklung. Im LEADERSNET-Interview spricht sie u. a. über "Accidental Manager" und ihr Wirken in Unternehmen, welche Skills diese entwickeln müssen, welche Herausforderungen für Mitarbeiterde und Führungskräfte sich ergeben, und woran man die Führungspersonen von morgen erkennt.  

LEADERSNET: Liebe Frau Proksch, was versteht man überhaupt unter einem "Accidental Manager"?

Elisabeth Proksch: Ein Accidental Manager ist jemand, der zufällig in eine Führungsposition aufgestiegen ist. Sie werden oft wegen ihrer Kompetenz und Erfahrung befördert, ohne eine spezifische Schulung oder Erfahrung im Leadership. Kenntnisse in Personalführung, Kommunikation, Delegation, Teamdynamik oder strategische Planung sind meist kaum vorhanden; werden aber bestenfalls rasch "on the job" erworben. Das kann für alle Beteiligten sehr herausfordernd sein. Der Fairness halber: es gibt auch sehr fähige Accidental Manager. Schließlich gibt es auch beim "Geplanten" Manager keine "Gute-Führungskraft-Garantie". Dennoch: Am Ende will niemand eine gute Fachkraft verlieren und eine schlechte Führungskraft gewinnen – in mehr als 80 Prozent (Studie: Taking Responsibility – Why UK PLC needs better managers. Oktober 2023, CMI Chartered Management Institute) der Fälle ist das allerdings die Realität.

LEADERSNET: Welche Auswirkungen können zu viele "Accidental Manager" auf ein Unternehmen haben?

Proksch: Zu viele Accidental Manager im System können schlimmstenfalls die Existenz eines Unternehmens gefährden. In vielen Fällen wird zum Glück "nur" das Potenzial nicht genutzt und weniger Erfolg geschöpft, als möglich wäre. Insgesamt können sie die Produktivität, die Arbeitsatmosphäre und die langfristige Stabilität eines Unternehmens ernsthaft beeinträchtigen. Es fehlt oft schon an Grundkenntnissen. Sie haben womöglich nie gelernt, wie man Teams effektiv führt oder motiviert. Das sorgt für eine geringe Teamleistung, erhöhte Fluktuation und ein hohes Stressniveau. Zudem fehlt häufig das strategische Denken im Sinne des Unternehmens, z. B. in Richtung Strategie, visionäre Führung, Team- und Organisationsentwicklung – der Fokus liegt häufig auf dem operativen Tagesgeschäft. Es besteht die Gefahr der Überforderung durch fehlende Abgrenzung. Sie müssen plötzlich organisatorische oder zwischenmenschliche Probleme lösen, für die sie nicht ausgebildet sind.

LEADERSNET: Wie lassen sich Accidental Manager identifizieren und zu qualifizierten Führungskräften entwickeln?

Proksch: Der erste Schritt ist die Evaluierung bzw. Befragung der bestehenden Führungskräfte. Die erste Frage ist, ob die Position angestrebt wurde oder zufällig passiert ist. Danach geht es um die Evaluierung der Führungskompetenz und Mitarbeiterzufriedenheit. Dazu zählen 360°-Feedback, Mitarbeiter:innen-Befragung, Grad der Zielerreichung, Fluktuation etc. Dadurch erfährt man: Wo besteht Handlungsbedarf in der Entwicklung von Führungskompetenzen und Skills? Wie ist das Verhältnis der unzufriedenstellenden Ergebnisse bei Accidental Manager im Vergleich zu qualifizierten Managern? Wie werden beide "Arten" generell bewertet? Basierend darauf setzt man die notwendigen Maßnahmen. Es geht schließlich darum, die Führungsqualität gesamt zu verbessern, egal ob Accidental oder nicht.

LEADERSNET: Was sind dabei die größten Herausforderungen für Mitarbeitende und die Führungskräfte selbst?

Proksch: Eine Konsequenz ist häufig unsichere oder unklare Führung. Hinzu kommen unklare Kommunikation und Delegation, wenig Vertrauen, fehlende Unterstützung, kaum Orientierung und Entwicklung. Accidental Managern mangelt es selbst oft an Klarheit über den eigenen Handlungsspielraum und die Führungsrolle selbst. Das führt zu Druck, Überforderung und ungesundem Stress. Gleichzeitig fehlt es an Zeit für begleitendes Coaching und Programme oder generell für Führungsarbeit. Diese Personen stecken oft in zu vielen operativen Aufgaben und haben gar keine Zeit für Weiterentwicklung. Das gesamte System leidet unter den Folgen mangelnder Vorbereitung.

LEADERSNET: Welche Skills müssen Accidental Manager entwickeln und wie können sie unterstützt werden?

Proksch: Es müssen Kompetenzen in dem Bereich Leadership (Mitarbeiterführung) und Management (kaufmännisches und rechtliches Wissen) entwickelt und gelernt werden. Im Bereich Leadership sehe ich die Führungskraft als Coach. Dazu muss vorrangig an der Persönlichkeitsentwicklung gearbeitet werden. Also dem Bewusstsein über die eigenen Verhaltensmuster, "wie ticke ich" – also auch blinde Flecken und Lernfelder. Zudem Basiswissen über das Wesen Mensch und wie unterstützt und gefordert werden kann; kurz: "wie ticken die anderen". In weiterer Folge muss auch der Umgang mit Teamdynamiken und der Entwicklung von Teams sowie Konfliktmanagement erlernt werden. Vor allem bei Accidental Managern muss ein bewusster Wechsel vom Umsetzungsmodus in den Delegations- und Entwicklungsmodus trainiert werden. Es bedarf vor allem Offenheit für die Weiterentwicklung und Veränderungsbereitschaft. Auf der Managementseite müssen kaufmännische und rechtliche Skills angeeignet werden, die in einer Führungsrolle im mittleren und Top-Management notwendig sind. Beispielsweise Vertragsmanagement, Verhandlungstechniken, Budgetplanung, Controlling, steuerrechtliches Grundwissen etc.

LEADERSNET: Wie viele der "Zufalls"-Führungskräfte behalten diese Position länger als fünf Jahre?

Proksch: Es gibt leider keine spezifischen, allgemeingültigen Statistiken darüber, wie viele sogenannte "Zufallsführungskräfte" ihre Position länger als fünf Jahre behalten, da dies je nach Branche, Unternehmen und geografischem Kontext stark variieren kann. Allerdings deuten einige allgemeine Trends darauf hin, dass Führungskräfte, die ohne ausreichende Vorbereitung oder die notwendigen Fähigkeiten in ihre Positionen gekommen sind, oft Schwierigkeiten haben, langfristig erfolgreich zu bleiben. Laut einer Studie von DDI (Development Dimensions International) scheitern jedoch fast 60 Prozent der neuen Führungskräfte innerhalb der ersten 18 Monate in ihrer Rolle – oft aufgrund von unzureichender Vorbereitung oder fehlender Führungsfähigkeiten.

LEADERSNET: Was kann man tun, um Accidental Manager zu verhindern und was kann man langjährigen Mitarbeitenden alternativ anbieten?

Proksch: Rechtzeitig gezielte Entwicklung, Schulungen und Unterstützung sind entscheidend, um langfristig erfolgreich zu bleiben – unabhängig davon, wie sie in ihre Position gekommen sind. Laufende Fort- und Weiterbildungen sowie Coaching und Supervision sind wesentlich. Der ideale Weg ist, als Basis ein Führungskräfteentwicklungsprogramm vor Antreten der Position zu absolvieren sowie Coaching und Supervision – verstärkt in der Anfangsphase, in weiterer Folge anlassbezogen. Insgesamt müssen aber die Energie und Bereitschaft für Entwicklung spürbar sein – vor allem im persönlichen Bereich. Alternative zur Führungsrolle könnten vermehrt Expert:innenkarrieren sein. Auch die Karriere als Projektleiter:in. Ich habe auch die Idee einer "Leistungsträger:innen-Karriere". Hier stellt man sich die Frage: Welche Person wäre ein wirklicher und auffallender Verlust? Wer liefert einen entscheidenden Beitrag? Dabei könnte man beispielsweise ein Level 1 bis 5 einführen – unabhängig davon, ob man als Leistungsträger:in eine Führungskraft, Expert:in oder Junior ist. Entscheidend ist die Erarbeitung von Kriterien und die Bewertung dieser für das jeweilige Level. Aus meiner Erfahrung werden Leistungsträger:innen oftmals honoriert, auch beispielsweise mit Freiheiten, unterliegt aber der individuellen Auffassung des oder der jeweiligen Vorgesetzten und nicht in ein Leistungs- oder Entwicklungssystem integriert ist.

LEADERSNET: An welchen Skills, wenn nicht fachliche, sind die Führungskräfte von morgen zu erkennen?

Proksch: Wie erwähnt, sehe ich eine Führungskraft wie einen Coach. Dazu braucht ein Bewusstsein über die eigenen Verhaltensmuster und Offenheit für die Weiterentwicklung als Mensch. Man muss wissen, wie man Menschen unterstützen kann, damit sie Höchstleistungen erbringen können. Reflexionsfähigkeit ist eine Voraussetzung als Führungskraft. Ich schließe meine Key Notes gerne mit "Werde ein reflektierter und bewussterer, reifer Mensch, dann bist du eine gute Führungskraft". Wichtig dabei: Reife hat nichts mit dem Alter zu tun. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit ist ein Muss, bevor man sich mit anderen auseinandersetzen kann. Im Umkehrschluss: Menschen, die keinen Zugang zu sich selbst haben, sehe ich nicht in Führungspositionen. Eine Führungskraft sollte fähig sein, flexibel, adäquat, motivierend und leistungsfördernd zu agieren. Sie kann Energie in anderen aktivieren. Gleichzeitig hat sie gelernt, fair und berechenbar Grenzen und Konsequenzen zu setzen, aber sie auch zu akzeptieren. Wichtig ist auch strategisches und visionäres Denken als auch Handeln. Nachhaltiges und langfristiges unternehmerisches Denken und Handeln ist die DNA der Führungskraft von morgen.

www.prokschconsult.at

Schön, dass Frau Prosch dies anspricht. Leider dominieren diese Art von Personen in den Vorständen und Managementpositionen. Wer soll‘s ändern?

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