LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Stemberger, was hat Sie dazu bewegt, die Initiative "Courage – Mut zur Menschlichkeit" zu gründen? Welche persönlichen oder gesellschaftlichen Erfahrungen haben Sie beeinflusst?
Katharina Stemberger: Das Thema Flucht und Migration hat mich immer schon beschäftigt, ich war ja auch einige Jahre Vorstandsvorsitzende im Integrationshaus, hab vieles hautnah miterlebt, das ist einfach eine Frage der Empathie. Und ich hab mir immer vor Augen geführt, wie es mir ergehen würde, wenn ich auf Grund von Krieg oder Verfolgung, meine Familie, meine Freunde, meine Kultur verlassen müsste. Oder- noch schlimmer-, wenn meine Tochter ganz alleine auf die andere Seite der Welt fliehen müsste. Als sich im Oktober 2013 vor der Küste von Lampedusa die erste große Fluchtkatastrophe mit über 300 Ertrunkenen - Männer, Frauen, Kinder - ereignet hat, habe ich mit meinem Mann einen Film darüber gemacht (Titel "Keine Insel-Lampedusa").
Ich bin davon überzeugt, dass die Themen Flucht und Migration neben dem Klimawandel die zwei großen Herausforderungen unserer Zeit sind. Diese beiden Themen sind auch eng miteinander verknüpft und wir sind gefordert menschliche und anständige Lösungen dafür zu finden. Ich möchte irgendwann in der Zukunft meinen Enkelkindern in die Augen schauen können, wenn sie mich fragen: "Was habt ihr gewusst? Was habt ihr getan? Was habt ihr nicht getan?"
Die Initiative Courage entstand, als im Herbst 2020 der große Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos ausbrach und es darum ging, ob Österreich - wie viele andere europäische Länder - Menschen aufnehmen könnte. Seither konzentriert sich die Initiative sehr stark darauf, die Wichtigkeit von legalen Fluchtrouten zu betonen. Die Rechnung ist ja ganz einfach: "Wenn ein Staat wissen will, wer, wann und wie zu uns kommt, dann muss man legale Fluchtrouten ermöglichen. Wenn man den Schleppern ihr grausames Geschäft verderben möchte, dann muss man Menschen auf der Flucht ein Flugticket in die Hand drücken, und zwar in kleinen, überschaubaren Kontingenten. Daraus ergeben sich zwei Vorteile: ich weiß, wer kommt, und ich weiß, dass diese Familie nicht im Meer ertrinkt oder irgendwo in den Wäldern zwischen Belarus und Polen erfriert. Das Sicherheitsbedürfnis der eigenen Bevölkerung und die Menschlichkeit sind eben kein Widerspruch. Courage hat dazu einen "Plan zur geordneten Rettung" entwickelt. Wir setzen der Aufgeregtheit, diesem teilweise faktenlosen Populismus, die Sachlichkeit entgegen und der Angst die Menschlichkeit.
LEADERSNET: Der Paul Weis-Preis zeichnet Engagement für Menschenrechte und Schutz geflüchteter Menschen aus. Warum ist es Ihnen wichtig, solche Persönlichkeiten und Organisationen sichtbar zu machen, und welche Wirkung erhoffen Sie sich von dieser Auszeichnung?
Stemberger: Den Paul Weis-Preis haben wir ins Leben gerufen, weil der Mensch Paul Weis ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wenn es darum geht, aus der Geschichte zu lernen.
Er war Jurist in Wien und musste 1938 das Land verlassen, weil er von den Nazis vertrieben und verjagt wurde. Er hatte kein Gesetz gebrochen, er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen, er war Jude. Mit sehr viel Glück konnte er sich nach London retten, wie viele hatte er alles verloren, auch seine Familie. Nach dem Krieg kehrte er nicht nach Wien zurück, sondern ging nach Genf und arbeitete dort beim UNHCR. Er hat seine Erfahrungen als Geflüchteter in seine juristische Arbeit einfließen lassen und gilt heute als "Gründungsvater der Genfer Flüchtlingskonvention".
Wenn Sie mich nach der Wirkung solcher Auszeichnungen fragen, dann ist die Antwort einfach: in einer Zeit, wo scheinbar alles ein wenig aus den Fugen gerät, ist es wichtig, starke Vorbilder zu haben. Mit dem Paul Weis Preis holen wir Menschen vor den Vorhang, die sich in oft eher feindlicher Umgebung für Menschenrechte und die Würde jedes einzelnen Menschen einsetzen. Sie tun das, obwohl sie damit ihre Existenz und manchmal auch ihr Leben in Gefahr bringen. Das verdient Aufmerksamkeit und eben auch eine Auszeichnung.
LEADERSNET: Wie verläuft der Auswahlprozess für den Paul Weis-Preis? Nach welchen Kriterien werden die Preisträger:innen in den verschiedenen Kategorien ausgewählt?
Stemberger: Wir haben in einem unserer Newsletter im Frühjahr um Vorschläge gebeten. Gleichzeitig haben wir auch innerhalb der Initiative nachgedacht. Dabei ist eine ganz schön lange Liste von möglichen Kandidat:innen entstanden. Einzelpersonen und verschiedene Initiativen, die alle das Ziel haben, die Welt ein klein wenig besser zu machen. Diese Vorschläge haben wir dann dem Paul Weis Komitee vorgelegt. Unser wunderbares Kleeblatt besteht aus Irmgard Griss, Cathrin Kahlweit, Christian Konrad und Manfred Nowak. Die hatten dann die Qual der Wahl.
LEADERSNET: In diesem Jahr wurde auch eine Auszeichnung für besonderen Journalismus vergeben. Wie sehen Sie die Rolle von Journalisten wie Mihail Sirkeli im Einsatz für Menschenrechte?
Stemberger: Medien werden - neben Legislative, Exekutive und Judikatur - zurecht als vierte Macht im Staate bezeichnet, weil sie hinterfragen, nachhaken, mit eigener Recherche auf Faktensuche gehen, weil sie einfach jenen, die an der Macht sind, auf die Finger schauen und, wenn es sein muss, auch klopfen. In viel zu vielen Ländern, darunter z. B. auch Ungarn oder Moldau, wird der Freiraum der journalistischen Arbeit aber ganz massiv eingeschränkt. Menschen wie Michail Sirkeli stellen sich dem entgegen, recherchieren, veröffentlichen und machen so Dinge sichtbar, die für die Menschen im Lande wichtig sind, um die Regierenden einschätzen zu können. Und dass sie das tun unter Einsatz ihrer persönlichen Sicherheit, Freiheit und mitunter sogar ihres Lebens, macht sie zu Säulen der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit.
LEADERSNET: Paul Weis, der Namensgeber des Preises, war eine Schlüsselfigur im internationalen Asylrecht. Inwiefern inspiriert Sie sein Lebenswerk persönlich? Gibt es Aspekte seiner Arbeit, die Sie besonders bewundern oder die Sie in Ihrer eigenen Arbeit leiten?
Stemberger: Wie ich eingangs schon gesagt habe, ist Paul Weis ein herausragender Mensch, der aus eigenem Erlebten heraus letztlich seine Berufung und Mission gefunden hat. Er steht für mich sinnbildlich für den Satz: Aus der Geschichte lernen. Und ich hab sehr oft das Gefühl, dass heute manche Menschen auf die Vergangenheit blicken und sagen, sie wüssten genau, was sie getan hätten. Wenn dann aber keine Schlüsse gezogen werden, dann sind das leere Lippenbekenntnisse, die nichts bewegen. Da werden dann gerne die Budgets für die Gedenkarbeit erhöht, während man gleichzeitig mit Leuten koaliert, deren Geschichtsverständnis mehr als zweifelhaft ist. Und Paul Weis ist ein schönes Beispiel dafür, wie man aus Erlebtem wirklich lernen kann. Der Satz "Alle Menschen sind gleich" ist ein enorm starker Grundpfeiler. Und Paul Weis hat sich auch den Glauben daran bewahrt, dass die Gesetze sicherstellen können, dass dies gewahrt bleibt und sich die Frage gestellt: Wie regeln wir die Dinge für die Zukunft, dass es solches Leid nie wieder gibt. Und es ist wichtig, dass wir alle wachsam sind und bei dem Versuch, die Genfer Flüchtlingskonvention zu relativieren- oder wie gerne gesagt wird "anzupassen"- wir uns sofort entschieden dagegenstellen.
LEADERSNET: Wie schaffen Sie es persönlich, in Ihrer Rolle als Schauspielerin und Aktivistin den Spagat zwischen den verschiedenen Bereichen zu meistern?
Stemberger: Ich sehe mich in erster Linie als Mensch, und das beinhaltet das alles. Ich bin auch überzeugt, dass es vielen Bürger:innen in Österreich so geht. Wenn man bedenkt, dass in Österreich bei knapp neun Millionen Einwohner:innen über zwei Millionen gemeinnützig tätig sind, dann sagt das schon was aus über eine Gesellschaft. Das finde ich großartig! Ich glaube auch, dass es jedem und jeder gut zu Gesicht steht, sich über die eigenen Bedürfnisse hinaus zu engagieren und über den Horizont hinauszublicken.
LEADERSNET: Wo sehen Sie die Initiative "Courage" in den kommenden Jahren? Welche weiteren Projekte oder Schwerpunkte sind geplant?
Stemberger: Wir sind eine Initiative, die sich vor allem dafür einsetzt, die Erzählung über "die Fremden" nicht den Populist:innen zu überlassen. Dabei ist der regelmäßig vergebene Paul Weis Preis ein Baustein. Wir haben auch viele Kooperationen mit anderen Einrichtungen und Initiativen und ich bin überzeugt, dass wir im Bereich Flucht und Migration zu einem vernünftigen Diskurs beitragen können. Ich will, dass wir Lösungen finden und diese weiterentwickeln. Die Courage wird Augen und Ohren offen halten und auch immer wieder die Stimme erheben – Anlass dafür gibt es genug.
Die gesamte Verleihung des Paul Weis Preises können Sie hier nachsehen:
www.courage.jetzt
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