Video und Fotos der HKSÖL-"Top Speakers Lounge"
"Selbst die optimistischen Prognosen sind besorgniserregend"

| Redaktion 
| 17.10.2024

Zahlreichen Expert:innen zufolge stößt die Finanzierbarkeit des Pensionssystems an ihre Grenzen und der "Generationen-Vertrag" wackelt. Im Rahmen der aktuellen "Top Speakers Lounge" wurde über Lösungen diskutiert. LEADERSNET.tv fragte nach, wie man den gerechten Spagat zwischen Beitragszahlenden und Pensionsbezieher:innen schafft und welche Reformen dazu nötig sind.

Bei der aktuellen "Top Speakers Lounge" der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein (HKSÖL) stand das Pensionssystem, das immer mehr Expert:innen aufgrund der enorm steigenden Kosten Sorgen bereitet, auf der Agenda. Denn aufgrund von sinkender Geburtenrate, Überalterung und Teilzeitfalle stößt Österreichs Pensionssystem an seine Grenzen und steht auf tönernen Füßen, wie aktuelle Zahlen belegen. So kamen 2022 auf eine Person über 65 Jahren noch drei Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren, bis 2060 wird sich das Verhältnis auf 1,8 reduzieren. 2022 flossen exakt 13,7 Prozent des BIP in die Pensionszahlungen, 2045 werden es 14,2 Prozent sein. Zum Vergleich: In der Schweiz lag dieser Anteil 2021 bei ca. 11,8 Prozent. Die Gründe für das immer schwerer finanzierbare System sind vielfältig: Das heimische Pensionsniveau ist im internationalen Vergleich sehr hoch, die betriebliche Altersvorsorge dagegen schwach ausgeprägt und das Pensionsantrittsalter ist in Österreich sehr niedrig. Während die Schweizer:innen durchschnittlich mit 64,6 in Pension (Frauen nur geringfügig früher als Männer) gehen, liegt in Österreich der Pensionsantritt aktuell bei 62 (Männer) bzw. 60 Jahren (Frauen).

Wie man diese Preisspirale aus hohen Pensionen, niedrigem Antrittsalter und der geringen Bereitschaft, privat vorzusorgen, durchbrechen könnte, diskutierte auf Einladung der HKSÖL in den Räumlichkeiten von BDO Austria folgende hochkarätige Expert:innenrunde: Wolfgang Mazal, Ralph Müller, Klaus Tschütscher, Sophie Wotschke und Thomas Neumann. Moderiert wurde die Top Speakers Lounge von Valerie Hauff-Prieth von VHP Consulting.

Leben auf Kosten der nächsten Generation

Auf den "richtigen Mix zwischen staatlicher und privater Vorsorge" setzt der Pensions- und Sozialrechtsexperte der Uni Wien, Wolfgang Mazal: "Man liest oft die Aussage: 'Es geht sich eh alles aus!' Die Prognosen zeigen eindeutig eine besorgniserregende Tendenz. Wichtig ist, was bis 2050 geschieht. Hier wird die nächste und übernächste Generation stark belastet. Außerdem gibt es neue Themen, die auf uns zukommen: Pflege, Integration, Arbeitsmarktpolitik, innere und äußere Sicherheit. All dies ist nur wenig ausfinanziert. Die Beschäftigung Jüngerer ist zu niedrig. Dazu kommt das Bedürfnis nach Work-Life-Balance. Gesamtgesellschaftlich sehe ich zu wenig Konsens in der Analyse und in der Ausrichtung der weiteren Entwicklung." Seines Erachtens gehe es hier um das gesamtgesellschaftliche Mindset und nicht nur um mathematische Formeln. Wenn sich die Umgebungsparameter – Globalisierung, Technologie, Demografie – massiv ändern, müsse auch das Pensionssystem auf die Höhe der Zeit gebracht werden, so Mazal.

Auch Ralph Müller, Vorstandsvorsitzender Wiener Städtische Versicherung, sieht einen Wettlauf gegen die Zeit: "Ich glaube, wir haben ein Riesenproblem, eine Staatsverschuldung von 80 Prozent, ein Budgetdefizit weit über Maastricht. Wir sind nicht mehr krisenfest. Das staatliche System steht unter großem Druck und gleichzeitig sind die zweite und dritte Säule extrem schlecht ausgebaut. Die demographische Entwicklung schafft zudem Ungerechtigkeiten für die nächste Generation. Es wird zu einer Frage des Glücks, ob man dort geboren wird, wo es viele Rentner gibt oder nicht. Wie riskant ist indes die private Altersvorsorge? Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sie in 50 Jahren mit einem weltweiten Index Geld verlieren? Wenn dieser extrem unwahrscheinliche Fall eintritt, dann ist auch das Umlageverfahren nicht mehr tragbar."

Ein Problem mit der Attraktivität des Standorts Österreich verortet Thomas Neumann, Partner bei BDO Austria: "Unsere Kunden suchen händeringend Personal und finden es nicht, hier würden ältere, erfahrene Leute zum Teil gut passen, aber auch erwerbstätige Pensionisten müssen wieder Beiträge zahlen. Es rentiert sich derzeit für sie nicht, länger zu arbeiten." Auch die zweite und dritte Säule könnte man durch Steuervergünstigungen deutlich attraktiver gestalten. "Wir haben Fälle, wo deutsche Konzerne in Österreich eine zweite Säule für die österreichischen Mitarbeiter finanzieren wollen. Wenn sie aber die steuerlichen Rahmenbedingungen dafür in Österreich sehen, winken sie ab. Es fehlen Anreize für eine starke zweite Säule. Zudem haben wir 20 Jahre nichts zur nachhaltigen Finanzierbarkeit der Pensionen gemacht, jetzt ist es höchste Zeit", so Neumann.

Regierung weigert sich, Pensionssystem zu reformieren

Die Frage der fehlenden Anreize treibt auch Sophie Wotschke (JUNOS-Bundesvorsitzende) um: "Junge Leute wissen oft nicht, wofür sie arbeiten sollen. Vieles, wie zum Beispiel der Traum vom ersten Eigenheim, ist aus eigener Kraft schlicht nicht mehr erreichbar. Die Politik schafft hier keine Perspektiven und setzt falsche Anreize. Auch das Pensionssystem ist nicht zukunftsfit. Die Lösungsvorschläge, um unser Pensionssystem nachhaltig und generationengerecht zu machen, liegen aber am Tisch. In Schweden kann man zum Beispiel selbst entscheiden, wann man in Rente geht, und bekommt bei einem späteren Pensionsantritt eine höhere Pension. Trotzdem weigert sich die Regierung, entgegen der Empfehlungen der Experten und des Rechnungshofes, das Pensionssystem zu reformieren. Weil sie nämlich Angst haben, sonst Wähler zu verlieren und weil die Mehrheit der Österreicher das Problem im Pensionssystem nicht als dringlich empfindet. Wenn man diese Politik also ändern will, muss man zuerst die Meinung und das Problembewusstsein in der Gesellschaft ändern."

Der ehemalige Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein, Klaus Tschütscher, sagte: "Ich glaube, dass die Unternehmen bereit wären, die zweite Säule zu stärken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das Drei-Säulen-System à la Schweiz schafft einen guten Risikoausgleich. Die zweite Säule bedeutet Kapitaldeckungsverfahren und für viele Schweizer ist der größte Vermögenswert die zweite Säule, nicht das Haus und nicht das Aktienportfolio. Das sagt viel über die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft aus. Die Einführung der zweiten Säule wurde ursprünglich von Unternehmen getrieben, die ihre soziale Verantwortung wahrgenommen haben und für ihre Mitarbeitenden vorsorgen wollten. Wir sprechen heute über 1.000 Milliarden Schweizer Franken Aktiva, die bislang einbezahlt wurden. Ganz wesentliche Parameter der zweiten Säule sind in Liechtenstein entpolitisiert, wie z.B. die Mindestverzinsung der Einlagen. Die Festlegung der Höhe liegt in der Verantwortung des Stiftungsrats der Pensionskassen. Diese Errungenschaft gilt es zu verteidigen. Die Schweiz hatte eine Abstimmung über die 13. AHV-Rente. Das war eine Kehrtwende gegen alle Warnungen. Das ist ein Ausfluss aus ganz Europa nach dem Motto: Koste es, was es wolle. Wir haben in der Schweiz die Aufgabe, den Weg der langfristigen Finanzierung wieder in die Köpfe zu bringen."

Mit dabei waren

Der Einladung von HKSÖL-Generalsekretär Urs Weber folgten Gunther Adam (Gape Real), Rolf Aeberli (Swiss Life Select Österreich), Christoph Berger (LGT Bank), Peter Bosin (Siemens Gamesa Renewable Energy), Georg Dirnberger (oprandi & partner), Christian Eltner (Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs), Dominik Freudenthaler (Bundesministerium für Finanzen), Anita Frühwald (BNP Paribas Asset Management), Hans Garstenauer (ZAK Consulting), Alexander Granat (Granat Executive Search), Oliver-Christoph Günther (Edthaler Leitner-Bommer Schmieder & Partner Rechtsanwälte), Michael Jayasekara (vionmo), Bettina Knötzl (Knoetzl Haugeneder Netal Rechtsanwälte), Bettina Kriegleder (BDO), Peter Laggner (Trimetis AG), Mark Leiter (Art-Invest Real Estate Management Austria), Harald Londer (Vienna Insurance Group), Dominik Marxer (Botschaft des Fürstentums Liechtenstein), Christoph Obererlacher (Swiss Life Select Österreich), Michael Pérez (Prettenhofer Raimann Pérez Tschuprina Rechtsanwaltspartnerschaft), Katja Reichl (BDO Austria), Alexander Riklin (Alcar Holding GmbH), Walter Säckl (Österreichischer ReiseVerband), Andrea Stürmer (Zürich Versicherung), Andreas Sturmlechner (Europäische Reiseversicherung), Georg Szlatinay (Vigenda AG), Günther Tengel (Amrop Jenewein), Stefan Weiss (Schieneninfrastruktur-Dienstleistungsgesellschaft) und Elke Willi (LGT Bank).

Video-Interviews

LEADERSNET.tv fragte im Rahmen der Veranstaltung bei Wolfgang Mazal, Ralph Müller, Klaus Tschütscher, Sophie Wotschke und Thomas Neumann u.a. nach, wie das Pensionssystem gerechter und nachhaltig tragfähiger gestaltet werden kann.

Fotos von der Top Speakers Lounge sehen Sie in der Galerie.

www.hk-schweiz.at

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