Die Nationalratswahl ist geschlagen. Nun beginnt das große Feilschen, wer mit wem und vor allem mit welchem Programm man nun zu einer Koalition zusammenfinden könnte. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Wahlprogramme von jenen Parteien durchzulesen, die eines vorgelegt haben. In Summe waren das circa 600 Seiten, doch ich kann Ihnen, geneigte Leser:innen, versichern, dass Sie nicht viel versäumt haben, wenn Sie dies nicht gemacht haben.
Wunschdenken
Vieles in diesen Programmen – vor allem bei der SPÖ – fällt mehr unter Wunschdenken, als dass es tatsächlich zu realisierende Punkte wären. Interessant bzw. auffällig war jedoch, dass bei den meisten Wahlprogrammen die wirklich drängenden Probleme (z. B. Pensionsreform, Gesundheitsreform) kaum oder zumindest keine vertiefte Erwähnung gefunden haben.
Und eigentlich, so werden viele von Ihnen argumentieren, ist es ohnehin egal, was in den einzelnen Wahlprogrammen geschrieben steht, weil nun nach der Wahl andere Gesetze gelten. Nach dem alten Sprichwort "Was schert mich mein Geschwätz von gestern" wird unter dem sehr lose dafür verwendeten Begriff des Kompromisses den Wähler:innen alles als große Errungenschaft verkauft, nur um eine Regierung zustande zu bringen.
Persönlicher Katalog
Deshalb, meine geneigten Leser:innen, möchte ich an dieser Stelle meinen ganz persönlichen Katalog an Punkten für ein Regierungsabkommen kundtun, wohl wissend, dass auch davon sicherlich einiges unter das Motto 2wünsch dir was" fällt. Aber wer immer diese Punkte erfüllt, soll aus meiner Sicht auch regieren:
Der Wirtschaftsstandort Österreich muss attraktiver werden. Dazu müssen u. a. Produktionskosten gesenkt werden. Leistung muss sich wieder lohnen, was bedeutet, dass es eine Senkung der Lohnnebenkosten und der Einkommenssteuer braucht – mehr Netto vom Brutto also. Vollzeit muss attraktiver sein als Teilzeit, dafür bräuchte es wiederum mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten (mit garantiertem Zugang) und eine Verkürzung der Karenzzeit wie in anderen EU-Staaten sollte angedacht werden.
Zurück zu mehr Selbstverantwortung
Wir müssen weg vom Versorgungsstaat, dem sogenannten Nanny State, stattdessen zurück zu mehr Selbstverantwortung. Konkret hieße das weniger Regulierung, dazu bedarf es eines rigorosen Abbaus der Bürokratie,"zukünftige Regelungen könnten zudem mit einer Verfallsklausel (Sunset Clause) versehen werden. Wir müssen die illegale Migration – im rechtlich bestehenden Rahmen – auf österreichischer und EU-Ebene eindämmen. Das mag schwierig klingen, unbedingt klar davon zu unterscheiden ist jedenfalls ein Zuzug ausländischer Fachkräfte, welcher absolut notwendig und daher unterstützenswert ist. Ohne diese Fachkräfte wird Österreich wirtschaftlich weiter ins Hintertreffen geraten, wohingegen andere Staaten schon jetzt solchen Schlüsselpersonen weitaus bessere Konditionen und ein entsprechendes Willkommensklima bieten.
Pensions- und Gesundheitssystem
Das Pensionssystem muss grundlegend reformiert werden. Das Umlagesystem allein ist nicht nachhaltig, deshalb ist es – sofern noch nicht vorhanden – unumgänglich, die zweite und dritte Säule zu stärken. Die Bürger:innen werden mehr selbst vorsorgen müssen, was wiederum bedeutet, dass dies von staatlicher Seite auch steuerlich mehr gefördert werden muss, u. a. durch niedrigere KEST (Behaltefristen), wenn Bürger:innen für die eigene Pension vorsorgen. Österreich gehört zu den Spitzenreitern in Bezug auf die finanziellen Mittel für das Gesundheitssystem, was sich jedoch in keinster Weise, in dessen Effizienz widerspiegelt, weshalb es auch hier einer dringenden Reform bedarf.
Schul- und Bildungssystem
Das Schul- und Bildungssystem muss ebenso dringend reformiert werden. Wichtige Punkte dabei wären etwa auch die Stärkung der Rechte des Lehrpersonals und ein Zurückdrängen von "Helikoptereltern". Wir müssen wieder zurück zum Prinzip "fordern und fördern". Österreich muss sich wirklich der Diskussion hinsichtlich seiner Neutralität stellen. Viele – dazu gehöre auch ich – meinen, dass dieses "Trittbrettfahrertum" und das sich Verbergen hinter dieser Neutralität großes Gefahrenpotenzial birgt. Die Diskussion muss geführt werden, zumindest bedarf es aber einer klareren Haltung und einer Zustimmung zur Beistandspflicht gegenüber anderen EU-Staaten, so wie dies im EU-Vertrag festgelegt ist.
Es gibt sicherlich noch viel mehr Punkte, die Ihnen, meine geneigten Leser:innen, jetzt noch in den Sinn kommen mögen. Einige von Ihnen werden mir möglicherweise auch nicht zustimmen. Es würde mich aber freuen, wenn zumindest eine offene Diskussion über diese Punkte angestoßen würde. Ich denke, dass dieses Thematisieren möglicherweise auch ein künftiges Regierungsabkommen beeinflussen könnte, denn weder ich noch wahrscheinlich die meisten meiner Leser:innen werden wohl direkt gehört oder dürfen gar selbst mitdiskutieren.
Wenn wir auch noch nicht wissen, wie sich die Regierung künftig zusammensetzen wird, so dürfte zumindest eines schon mit ziemlicher Sicherheit feststehen: ein "weiter wie bisher" darf es nicht geben. Diese Zeit des Umbruchs sollte daher auch von der Politik als Chance begriffen werden, längst überfällige und lang verschleppte Probleme anzugehen, anstatt aufgrund des eingangs erwähnten übertriebenen Strebens nach Kompromissen wieder nur alten Wein in neue Schläuche zu füllen.
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