Erfolgsmodell der "Österreich AG" in Gefahr
Was der heimischen Industrie derzeit besonders große Sorgen bereitet

| Tobias Seifried 
| 06.08.2024

Erstmals könnte ein seit den 1950er-Jahren zu beobachtendes konjunkturelles Erholungsmuster ausbleiben.

Ende Juli haben die Industriellenvereinigung (IV) und deren Bundesländer-Vertretungen ihr aktuelles Konjunkturbarometer (siehe Infobox) präsentiert und dabei vor einem weiteren Attraktivitätsverlust des Wirtschaftsstandorts Österreich gewarnt (LEADERSNET berichtete). Laut IV-Generalsekretär Christoph Neumayer stehe die heimische Industrie nach Maßgabe der aktuellen Ergebnisse der Konjunkturerhebung vor ihrem dritten Rezessionsjahr. Demnach liegt ihre Bruttowertschöpfung um real über drei Prozent unter jener des vergleichbaren Zeitraumes des Jahres 2023. 

Bleibt Erholungsmuster nach 70 Jahren erstmals aus?

Neben den vielen bereits mehrmals hervorgehobenen Herausforderungen (hohe Energiekosten, steigende Personalkosten, hohe Lohnstückkosten, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit) bereitet der IV vor allem eine Entwicklung große Sorgen. So sei ein grundlegender konjunktureller Umschwung zum Besseren derzeit außer Sichtweite. Dazu bedürfte es einer Erholung, welche die österreichische Industrie in ihrer Breite erfasse und über längere Zeit durch private und öffentliche Investitionen getragen werde. Vielmehr bestehe jedoch Anlass zur Sorge, dass das seit den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts zu beobachtende konjunkturelle Erholungsmuster sich in diesem Zyklus erstmals nicht wiederholen könnte: Laut der IV habe ausnahmslos jeder Aufschwung in Österreich während des letzten Dreivierteljahrhunderts mit einem außenwirtschaftlichen Impuls eingesetzt, welcher über eine zunehmende Investitionstätigkeit in Verbindung mit einer steigenden Beschäftigung und wachsenden Lohnsumme die Konsumnachfrage anregte und schließlich über ein zunehmendes Steuer- und Abgabenaufkommen auch eine expansive Staatsnachfrage alimentierte.

Der notwendige außenwirtschaftliche Impuls könnte dieses Mal jedoch ausbleiben, lautet die Warnung. Denn dazu bräuchte es eine dynamischere Entwicklung der Weltwirtschaft, die sich der Industrieellenvereinigung derzeit nicht abzeichne. Das haben zum Wochenauftakt auch die drastischen Kursverluste an den weltweiten Börsen gezeigt, deren Auslöser u.a. ebenfalls globale Rezessionsängste waren. Noch bedeutender aber sei, dass exportorientierte Volkswirtschaften wie die österreichische auf offene Märkte angewiesen sind, die handelspolitische Realität jedoch eine gegenteilige Entwicklung nehme, so die IV. "Die Anzahl protektionistischer Maßnahmen wächst ständig, während handelsliberalisierende und -dynamisierende Abkommen, wie jenes mit den Mercosur-Staaten blockiert werden. Hinzu kommt eine nachteilige Entwicklung der Standortattraktivität Österreichs im internationalen Vergleich, die sich in einer ungünstigen Entwicklung der heimischen Produktionsbasis aufgrund eines sich ändernden Direktinvestitionsverhaltens grenzüberschreitend tätiger Unternehmen niederschlägt. Besonders gravierend wirkt sich schließlich die drastisch verschlechterte Kostenposition der österreichischen Industrie infolge eines enormen Anstiegs der Lohnstückkosten, der Energiekosten und der Bürokratiekosten aus – Exporterfolge setzen aber ein wettbewerbsfähiges Produkt- und Dienstleistungsportfolio voraus, sonst wird die heimische Wirtschaft nicht nur nicht an den noch vorhandenen Chancen des Weltmarktes partizipieren können, sondern weiterhin Marktanteile verlieren. Das würde das Ende des bis dato erfolgreichen Geschäftsmodells der Österreich AG bedeuten", warnt IV-Chefökonom Christian Helmenstein.

Bürokratieabbau als wichtiger Hebel

Ein Hebel zur Verbesserung der Standortattraktivität sei der Industriellenvereinigung zufolge der Abbau der bürokratischen Auflagen. Das sehen auch viele weitere Wirtschaftsexpert:innen so, weshalb mittlerweile auch die Politik weitreichende Schritte in diese Richtung angekündigt (aber noch nicht umgesetzt) hat. "Bürokratie, in ihren zahlreichen Formen und Facetten, kann sowohl ein starker Verbündeter als auch ein erheblicher Hemmschuh sein. Bei gesetzlichen Vorgaben muss der administrative Aufwand stets in Relation zu einem zusätzlichem Informations- und Transparenzgewinn stehen – in vielen Punkten ist das heute leider nicht mehr der Fall – Unternehmen finden sich tagtäglich in einem Bürokratiedschungel wieder", so Christoph Neumayer.

Um Berichts- und Meldepflichten für Unternehmen zu reduzieren, gebe es viele kleine Schrauben, an denen gedreht werden müsse, "dabei geht es um Maßnahmen, wie der Einführung einer 'Growth Duty', Einheitlichkeit bei der Auslegung der EU-Berichterstattung oder auch die Durchsetzung des Once-Only-Prinzips. Aber auch schon kleinere Schritte, wie der Möglichkeit, die Unterlagen auf Englisch einzureichen, sei es zum Firmenbuch oder auch das Führen der Bücher und Aufzeichnungen im Bereich des Steuerrechts, wären eine wesentliche Erleichterung", so der IV-Generalsekretär.

Industriebranchen entwickeln sich unterschiedlich

Beim aktuellen IV-Konjunkturbarometer gab es aber zumindest kleine Lichtblicke. So haben beispielsweise die Nahrungs- und Genussmittelindustrie sowie die Bauindustrie jüngst von einer verbesserten Auftragslage berichtet. Laut Helmenstein werden die einzelnen Industriebranchen jedoch weiterhin markant unterschiedliche Dynamiken aufweisen. Denn in der metalltechnischen Industrie ebenso wie bei den industriellen Baustoffherstellern (Steine/Keramik) und in der Fahrzeugindustrie (zum Teil nochmals) habe sich die Auftragslage zuletzt weiter verschlechtert.

www.iv.at

Ergebnisse der aktuellen IV-Konjunkturumfrage

  • IV-Konjunkturbarometer bleibt quasi unverändert bei -3,7 Punkten
  • Aktuelle Geschäftslage sinkt auf -9 Punkte
  • Einschätzung der Geschäftslage in sechs Monaten: leichte Verbesserung auf +2 Punkte
  • Gesamtauftragsbestände sinkt auf -12
  • Wert für Auslandsaufträge sinkt erneut auf -8
  • Produktionserwartungen verbessern sich leicht auf -15 Punkte
  • Die Beschäftigungsaussichten verschlechtern sich leicht auf -25
  • Erzeugerpreise gehen kräftig zurück auf -14 Punkte
  • Ertragslage geht zurück -16
  • Ertragserwartungen auf Sicht von sechs Monaten sinken ebenfalls auf -12

Zur Befragungsmethode 

An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 412 Unternehmen mit rund 313.366 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible "Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.

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Ergebnisse der aktuellen IV-Konjunkturumfrage

  • IV-Konjunkturbarometer bleibt quasi unverändert bei -3,7 Punkten
  • Aktuelle Geschäftslage sinkt auf -9 Punkte
  • Einschätzung der Geschäftslage in sechs Monaten: leichte Verbesserung auf +2 Punkte
  • Gesamtauftragsbestände sinkt auf -12
  • Wert für Auslandsaufträge sinkt erneut auf -8
  • Produktionserwartungen verbessern sich leicht auf -15 Punkte
  • Die Beschäftigungsaussichten verschlechtern sich leicht auf -25
  • Erzeugerpreise gehen kräftig zurück auf -14 Punkte
  • Ertragslage geht zurück -16
  • Ertragserwartungen auf Sicht von sechs Monaten sinken ebenfalls auf -12

Zur Befragungsmethode 

An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 412 Unternehmen mit rund 313.366 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible "Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.

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