"Fachliches kann man dazulernen, die Persönlichkeit zu verändern, ist meist unmöglich"

| Redaktion 
| 03.05.2023

Im LEADERSNET-Interview sprechen die Geschäftsführer:innen von Seher+Partner u.a. über Mitarbeiterbenefits und die Dynamik am Arbeitsmarkt. Zudem erklären sie, was Arbeitgeber:innen bei Bewerber:innen aktuell besonders wichtig ist. Die eigene Online-Präsenz rückt dabei immer mehr in den Vordergrund.

LEADERSNET: Welche Motivation steckte hinter der Idee, Ihr Unternehmen zu gründen?

Helga Töpfl und Susanne Seher: Das ist einfach: Wir wollten uns in unserer Tätigkeit als HR-Berater auf den Bereich Konsumgüterindustrie und Handel fokussieren und unser FMCG-Wissen und Netzwerk speziell für Kund:innen aus dieser Branche einsetzen. Diese Entscheidungsfreiheit hat man nur in der Selbständigkeit.

Wir haben beide nach dem Studium viele Jahre im FMCG-Umfeld auf Handels- und Herstellerseite in den Bereichen Expansion, HR, Sales und Marketing sowie Projekt- und Prozessmanagement gearbeitet und so ein tiefgehendes Branchen- und Struktur-Verständnis im FMCG-Umfeld erlangt. Durch die fokussierte Beratung können wir diese Expertise und Leidenschaft, die uns in der Konsumgüterindustrie und im Handel vermittelt wurden, sehr erfolgreich für unsere, zum größten Teil langjährigen, Stammkunden perfekt einsetzen, was uns sehr viel Freude macht.

LEADERSNET: Wie hat sich Ihrer Meinung nach der Arbeitsmarkt verändert?

Töpfl und Seher: Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren sehr rasch und in vielen Bereichen enorm verändert. Zum einen hat die Digitalisierung zu einer Veränderung der Arbeitswelt geführt, die sich in einer wachsenden Nachfrage nach digitalen Kompetenzen und einem Rückgang von manuellen Tätigkeiten zeigt. Viele Arbeitsplätze befinden sich durch Automatisierung und künstliche Intelligenz in Veränderung, während gleichzeitig neue Arbeitsplätze und Berufsbilder im Bereich der Digitalisierung entstehen. Spätestens seit der Pandemie haben Unternehmen gelernt mit flexiblen Arbeitszeiten und -orten umzugehen. Viele Arbeitgeber:innen bieten ihren Mitarbeiter:innen heute flexible Arbeitsmodelle wie Home-Office, Teilzeit- oder Gleitzeitmodelle an. Auch werden weiterhin viele Termine virtuell abgehalten, was Zeit und Kosten spart sowie die Umwelt entlastet, wodurch aber auch die persönliche Note verloren geht.

In allen Branchen und Regionen herrscht ein Fachkräftemangel. Insbesondere im Bereich der Technologie, Gesundheit, Pflege und Naturwissenschaften werden gut ausgebildete Fachkräfte händeringend gesucht. Das Thema Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Unternehmen werden zunehmend dazu angehalten, sozial und ökologisch verantwortlich zu handeln. Der Trend zur Nachhaltigkeit spiegelt sich auch in der Arbeitswelt wider, da viele Arbeitnehmer nach Unternehmen suchen, die ihre Werte teilen.

LEADERSNET: Gibt es Bereiche, auf die im Bewerbungsprozess besonderes Augenmerk gelegt wird und wenn ja, welche wären das?

Töpfl und Seher:  Arbeitgeber:innen interessieren sich in der Regel für die Ausbildung, die Berufserfahrung und die Fähigkeiten von Interessent:innen. Sie wollen wissen, ob der Bewerber:innen über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, um die Stelle auszufüllen. Diese fachlichen Voraussetzungen werden aber zunehmend durch persönliche Qualifikationen in den Hintergrund gedrängt. Fachliches kann man dazulernen, die Persönlichkeit zu verändern, ist meist unmöglich.

Für Arbeitgeber ist meist wichtiger, motivierte und engagierte Mitarbeitende zu beschäftigen. Bewerber:innen, die Begeisterung für die Stelle und das Unternehmen zeigen, haben in der Regel bessere Chancen auf Erfolg. Auch Soft Skills wie Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Führungskompetenz und Empathie haben essentielle Bedeutung. Arbeitgeber:innen wollen sicherstellen, dass die Bewerber:innen in das Team passen und eine positive Arbeitsumgebung fördert. Worauf man als Interessent:in immer achten sollte, ist die eigene Online-Präsenz. Arbeitgeber:innen prüfen gerne Social-Media-Profile, um mehr über die Persönlichkeit, Interessen und Aktivitäten zu erfahren. Hier bekommt er oft schon einen ersten Eindruck, ob der Bewerber:innen zum Unternehmen passen könnte.

LEADERSNET: Wie läuft eine Personalvermittlung typischerweise ab?

Töpfl und Seher: Zu Beginn erfolgt das Gespräch mit den Arbeitgeber:innen, bei dem die offene Stelle und die Qualifikationen und Erfahrungen besprochen werden, die die Kandidat:innen besitzen sollten. Erst dann werden die geeigneten Suchmaßnahmen festgelegt. Wir unterscheiden dabei zwischen Executive Search und Classic Search, wobei letzterer aufgrund des Arbeitnehmermarktes kaum mehr zur Anwendung kommt. Der Executive Search umfasst Active Sourcing, die Aktivierung unserer Netzwerk-Kontakte sowie die Direktansprache, also die vertiefte und systematische Recherche von potenziellen Zielkandidat:innen in gemeinsam definierten Zielbranchen, und darauffolgend die Kontaktaufnahme. Weiters wird die Medienauswahl mit unseren Kund:innen besprochen, fast immer werden Online-Marketing-Maßnahmen wie z.B. Social-Media Postings eingeleitet.

Die Kandidat:innen, die Interesse zeigen, werden von uns nach den vorher definierten Kriterien gescreent und darauf basierend treffen wir eine Vorauswahl. Es werden Exposés erstellt, die unsere fachliche wie persönliche Beurteilung über die Person umfassen. Unsere Kund:innen führt dann den Bewerbungsprozess bei sich im Unternehmen weiter bis es zu einer definitiven Entscheidung kommt.

LEADERSNET: Wenn die Personalvermittlung zustande kommt: Wie sind Sie nachher noch involviert?

Töpfl und Seher: Das ist ein sehr wichtiger Punkt und darf nicht vernachlässigt werden! Wir bleiben auch nach Abschluss des Recruiting Prozesses mit den vermittelten Kandidat:innen in Kontakt und stehen im Onboarding-Prozess als externer Sparringpartner zur Verfügung. Wir geben immer eine Nachbesetzungsgarantie, die besagt, dass wir innerhalb einer festgesetzten Frist einmalig kostenlos nachbesetzen, sollte das Dienstverhältnis in dieser Frist aufgelöst werden.

LEADERSNET: Was sind typische Fragen, die Sie vonseiten der Arbeitgeber:innen hören?

Töpfl und Seher: Einige Fragen, die wir oft gestellt bekommen, sind: Wie lange dauert es, bis Sie passende Kandidat:innen finden?, Wie gehen Sie bei der Suche nach Kandidat:innen vor?, Wie stellen Sie sicher, dass die von Ihnen vermittelten Kandidat:innen zu unserer Unternehmenskultur passen?, Wie hoch sind Ihre Vermittlungsgebühren?, Welche Garantien bieten Sie?, Wie stellen Sie sicher, dass die Kandidat:innen die erforderlichen Fähigkeiten und Erfahrungen haben?, Haben Sie Referenzen von anderen Kund:innen, die Sie erfolgreich unterstützt haben?

LEADERSNET: Welche Rolle spielt das Thema Inklusion am Arbeitsmarkt?

Töpfl und Seher:  Das Thema Inklusion spielt noch eine sehr kleine Rolle am Arbeitsmarkt, wird aber in Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen. Inklusion bedeutet, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer körperlichen oder geistigen Fähigkeiten, ihrer Geschlechtsidentität, ihrer sexuellen Orientierung oder anderen Merkmalen, die gleichen Chancen und Rechte vorfinden.

Hier ist noch immer eine gewisse Zurückhaltung bei Arbeitgeber:innen zu spüren, weil dies bedeutet, dass Barrieren abgebaut werden müssen, die bestimmte Gruppen von Menschen daran hindern, Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen oder erfolgreich in ihrem Beruf zu sein.

LEADERSNET: Warum ist das Thema wichtiger geworden?

Töpfl und Seher: Durch eine inklusive Arbeitskultur können Unternehmen von der Vielfalt und den unterschiedlichen Perspektiven ihrer Mitarbeiter:innen profitieren. Außerdem können Arbeitgeber:innen durch die Einstellung von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Fähigkeiten ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Kund:innen entwickeln und so ihre Geschäftsstrategie verbessern.

Insgesamt ist das Thema Inklusion am Arbeitsmarkt wichtiger geworden, weil es sowohl eine moralische als auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit - vor allem im Hinblick auf den Arbeitskräftemangel - gibt, sicherzustellen, dass alle Menschen die gleichen Chancen und Rechte haben und dass die Arbeitswelt die Vielfalt der Gesellschaft repräsentiert.

LEADERSNET: Welche Rolle spielen Benefits im Rahmen der Mitarbeiter:innenbindung?

Töpfl und Seher: Wenn Arbeitgeber:innen Benefits anbieten, können sie damit ein Signal an ihre Mitarbeitenden senden, dass sie sich um deren Wohlbefinden und Zufriedenheit kümmern. Dies kann dazu beitragen, die Mitarbeiterbindung zu erhöhen, da diese das Gefühl haben, dass sie von ihrem Arbeitgeber:innen geschätzt und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.

Durch Benefits können Arbeitgeber:innen auch ihre Attraktivität erhöhen und potenzielle Arbeitnehmer:innen ansprechen. Unternehmen, die auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingehen, können auch eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit, Produktivität und Rentabilität erzielen. Insgesamt sind Benefits ein wichtiger Faktor bei der Mitarbeiterbindung, da sie dazu beitragen können, dass sich Mitarbeiter:innen geschätzt und motiviert fühlen und längerfristig im Unternehmen bleiben möchten.

LEADERSNET: Auf welche Weise haben die globalen Ereignisse wie die Corona-Pandemie oder die Teuerungswelle die Entwicklungen am Arbeitsmarkt beeinflusst?

Töpfl und Seher: Die Corona-Pandemie hat zu einer massiven Veränderung der Arbeitsbedingungen geführt. Viele Unternehmen haben ihre Mitarbeiter:innen in den Home-Office-Modus geschickt, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Dadurch haben sich viele Aspekte des Arbeitslebens verändert, wie zum Beispiel der Umgang mit Technologie, die Art und Weise der Zusammenarbeit und die Work-Life-Balance.

Außerdem hat die Pandemie zu einer Veränderung der Arbeitsnachfrage geführt. Während einige Branchen wie das Gesundheitswesen, die Logistik oder die IT-Branche eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften verzeichneten, litten andere Branchen wie die Gastronomie oder das Gastgewerbe unter einem massiven Einbruch. Die Teuerungswelle hat in vielen Ländern zu einer Inflation und damit zu einem Anstieg der Lebenshaltungskosten geführt. Dadurch haben viele Arbeitnehmer:innen Schwierigkeiten, mit den steigenden Kosten Schritt zu halten. Das Gehalt spielt deshalb seit einiger Zeit wieder eine gewichtigere Rolle bei der Entscheidung für Arbeitgeber:innen. Arbeitgeber:innen müssen möglicherweise Anpassungen vornehmen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, um qualifizierte Mitarbeiter zu halten oder zu gewinnen.

LEADERSNET: Mit welchen Herausforderungen waren Arbeitgeber:innen im Zuge dieser Veränderungen konfrontiert?

Töpfl und Seher: Arbeitnehmer:innen haben aufgrund der Teuerungswelle höhere Löhne und Gehälter gefordert, um ihre Kaufkraft zu erhalten oder zu erhöhen. Arbeitgeber mussten diese höheren Lohn- und Gehaltsforderungen akzeptieren, um qualifizierte Mitarbeiter zu halten oder zu gewinnen. Gleichzeitig wechseln Mitarbeiter von Arbeitgebern, die ihnen diese Leistungen nicht bieten können, zu Arbeitgebern, die dies tun. Dies führt zu einem erhöhten Wettbewerb unter Arbeitgeber:innen.

Wenn die Preise für Waren und Dienstleistungen steigen, kann dies eine inflationäre Spirale auslösen. Infolgedessen können Arbeitgeber:innen Schwierigkeiten haben, ihre Mitarbeitenden angemessen zu entlohnen und gleichzeitig die steigenden Kosten für die Produktion und die Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen zu bewältigen.

LEADERSNET: Wie könnte Ihrer Meinung nach die Zukunft der Personalsuche und der zukünftige Arbeitsmarkt aussehen?

Töpfl und Seher:  Die Art der Kommunikation mit potenziellen Bewerber:innen hat sich geändert und wird sich noch weiter ändern. Wichtig ist, dass die Kontaktaufnahme und Gespräche auf Augenhöhe stattfinden und darum müssen wir uns anpassen. Die Präsenz auf allen sozialen Medien ist genauso unverzichtbar wie die Adaption der geschriebenen und gesprochenen Sprache an die Zielgruppe, die wir erreichen wollen. Aber auch die Inhalte, die uns potentielle Kandidat:innen auf Social Media zur Verfügung stellen zu nutzen und im ersten Schritt auf einen Lebenslauf zu verzichten, kann die Kontaktaufnahme erleichtern. Bei der Ansprache ist das Storytelling absolut zentral, junge Leute wollen eine Geschichte: z.B. ein Video auf Instagram, in dem die Mitarbeiter:innen das Unternehmen den potenziellen Kolleg:innen vorstellen. Es muss gezeigt werden, was alles geboten wird und wofür das Unternehmen steht. Das muss nicht hochprofessionell gemacht sein, denn dann wirkt es auch authentischer.

Auch die Arbeitszeitflexibilisierung ist wichtig und wird es noch mehr: viele Bewerber:innen wollen nicht mehr 40 Stunden arbeiten. Hier gäbe es die Möglichkeit, eine Position doppelt zu besetzen. Da gibt es durchaus erfolgreiche Beispiel aus der Praxis, die zeigen, dass das sehr gut funktionieren kann. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass viele Tätigkeiten auch von zuhause aus erledigt werden können. Dies hat zu einem verstärkten Trend zur Flexibilisierung der Arbeit geführt, der auch in Zukunft weiter anhalten wird. Es ist zu erwarten, dass mehr Arbeitnehmer:innen in Zukunft in Teilzeit oder als Freelancer tätig sein werden. Da viele Tätigkeiten in Zukunft von Maschinen und Algorithmen übernommen werden können, werden Soft Skills wie Empathie, Kreativität, Teamfähigkeit und Flexibilität immer wichtiger. Unternehmen werden verstärkt darauf achten, dass ihre Mitarbeitenden neben fachlichen Fähigkeiten auch über ausgeprägte soziale Kompetenzen verfügen.

Insgesamt wird der Arbeitsmarkt in Zukunft noch dynamischer und vielfältiger sein als heute. Unternehmen werden verstärkt auf die Anforderungen ihrer Mitarbeiter:innen und Bewerber:innen eingehen müssen, um erfolgreich zu sein. Gleichzeitig werden die Arbeitnehmenden mehr Möglichkeiten haben, ihre Karriere und ihr Leben individuell zu gestalten.

www.seherundpartner.at 

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