In vielen Teilen Chinas hängt der Zugang zum öffentlichen Leben aktuell von Algorithmen ab – in der Millionenstadt Hangzhou beispielsweise von jenen der App Health Code. In einem Ampelsystem entscheidet diese Software, ob der User zwei Wochen zuhause bleiben muss (rot), eine Woche seine vier Wände nicht verlassen darf (gelb) oder freien Lauf hat (grün). Nur wer ein grünes Lämpchen auf seinem Smartphone vorweisen kann, darf an den Pforten der Restaurants oder Supermärkten vorbei, darf öffentlichen Transportmittel besteigen oder darf in sein Büro.
Die Anwendung solle dabei helfen, einerseits die Corona-Epidemie im Zaum zu halten und gleichzeitig das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben wieder hochzufahren, heißt es von offizieller Seite, die wie durchgesickert ist, Daten wie etwa den Standort an die Polizei weitergibt. Wer hätte noch vor zwei Monaten daran gedacht, dass so etwas möglich ist. LEADERSNET hat mit dem Juristen und Datenschutzaktivisten Max Schrems über das Thema gesprochen.
LEADERSNET: Was ist aus datenschutzrechtlicher Sicht von derlei staatlichen Steuerungsmaßnahmen zu halten?
Max Schrems: Ich glaube man muss das klar im Kontext von Ländern sehen die keine Demokratien sind. Hier ist viel möglich, das wir uns lieber nicht vorstellen können. Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage ob man mit sinnvollen Maßnahmen eine Mischung aus Aufrechterhaltung der Wirtschaft und Schutz der Bevölkerung erreichen kann. Hier muss man aber natürlich etwas differenzierter Vorgehen als vielleicht in China oder Singapur.
LEADERSNET: Anlässlich der Olympischen Spiele in China 2008 wurde die Videoüberwachung des öffentlichen Raumes stark forciert – und wurde nach dem Spektakel beibehalten. Gibt es bei der Einführung der Gesundheitscodes nicht Ähnliches zu befürchten?
Max Schrems: Klar, das ist immer das Problem. Wenn man Maßnahmen einsetzt, dann müssen die ganz klare Ablaufdaten haben. Die Gesellschaft gewöhnt sich leider zu sehr an derartige Dinge. Wir hatten beispielsweise nach dem 11. September Jahre lang nur noch Terrorwarnstufen zwischen "hoch" und "höher", was einfach ein Dauerzustand wurde.
LEADERSNET: Besteht die Möglichkeit, dass die Vorgehensweise, die dem Zweck, wofür die Regierung sie lanciert hat, ja sehr dienlich zu sein scheint, auch in anderen Ländern zum Einsatz kommt?
Max Schrems: Ja. Es gibt ja schon die ersten Projekte hier. Ich gehe davon aus, dass das in der einen oder anderen Form auch hier kommt. Meine Hoffnung ist, dass man das in einer Form macht die sinnvoll und grundrechtskonform ist.
LEADERSNET: Können diese Entwicklungen Auswirkungen auf die in Europa geltenden Datenschutzbestimmungen haben?
Max Schrems: Ich gehe nicht davon aus. Für Gesundheitsfälle wie Pandemien erlaubt die Datenschutzgrundverordnung eh schon sehr viel. Hier braucht man eigentlich nicht mehr viel ändern und kann trotzdem schon viel tun.
LEADERSNET: In Österreich startete gestern die App "Stopp Corona". Die Anwendung soll wie jene aus China bei der Eindämmung des Corona-Virus helfen, wenngleich nicht mit derartig rigorosen Mitteln. Sie basiert auf Freiwilligkeit und soll den Usern dabei helfen, herauszufinden, ob sie Kontakt mit Infizierten hatten. Realisiert wurde die Anwendung denn auch nicht von staatlicher Seite, sondern vom Roten Kreuz und einem Versicherungsunternehmen. Der Schutz der Daten sei gewährleistet, heißt es von den Machern. Erwarten Sie, dass die App von vielen Menschen verwendet wird?
Max Schrems: Ich glaube das Problem bei der App wird sein, dass man einen "manuellen Handshake" ausführen muss. Das bedeutet die Leute müssen ihr Gerät beide rausnehmen und jeweils sich "finden" und auf "okay" drücken. Das macht man nicht mit anderen Leuten im Zug oder bei der Supermarkt-Kasse. Damit bleiben "intensive" Kontakte übrig, aber wenn ich ein Geschäftstreffen habe, dann brauch ich keine App um mich dran zu erinnern mit wem das war. Ich sehe also real wenig Nutzen um ehrlich zu sein …
LEADERSNET: Wie ist es um den Datenschutz der App bestellt?
Max Schrems: Generell scheint die App mit viel Ideen zum Datenschutz gespickt zu sein, aber das bringt auch das Problem, dass fast zu wenig Daten gesammelt werden. Sinnvoller wäre wohl, dass die App dauerhaft läuft und alle Kontakte speichert, die eine gewisse Dauer überschreiten.
LEADERSNET: Kann es sein, dass all diese datengetriebenen Maßnahmen gegen das Virus einem lascheren Umgang mit der Datenschutzthematik generell Tür und Tor öffnen?
Max Schrems: Das ist immer eine Gefahr, aber der Datenschutz muss auch flexibel genug sein sich anzupassen. Die Gesetze erlauben eine solche Datenverarbeitung sicher und die Gefahr das starre Gesetzte vollkommen geändert werden, wenn solche Situationen keinen Platz finden ist meiner Meinung nach noch größer.
Das Interview führte Natalie Oberhollenzer für die LEADERSNET–Redaktion.