„Dekarbonisieren statt importieren – Investitionen in den Umbau des Energiesystems sind gut angelegt“

Prof. Herbert Lechner, wissenschaftlicher Leiter der Österreichischen Energieagentur, im Gespräch mit LEADERSNET über #mission2030, Gas und Stahl in Grün sowie – die ewige Sommerzeit.

LEADERSNET: Österreich steht unter Druck. Die EU verlangt eine deutliche Absenkung der Treibhausgas-Emissionen um 36 %. Die Regierung antwortet mit einer ambitionierten Klima- und Energiestrategie namens #mission2030.Wo sehen Sie dabei die größten Herausforderungen?

Prof. Herbert Lechner: Ich sehe hier drei Schwerpunkte. Erstens: Das Ziel, bis 2030 100% unseres Stromverbrauches aus erneuerbaren Quellen zu decken. Da ist die Hauptaufgabe vereinfacht gesagt: Den Strom, den wir im Sommer zu viel produzieren, in den Winter zu verschieben – dann, wenn wir zu wenig Strom erzeugen. Dazu braucht es verschiedene Speichertechnologien, smarte Netze und Kraftwerke mit grünem Gas – also Biogas oder synthetisches Gas – betrieben, um die ausreichende Flexibilität des Stromsystems zu sichern.

Zweites Thema ist die Mobilität. Im E-PKW-Bereich bedarf es hier des Ausbaus der Lade-Infrastruktur und besserer Batterie-Performance. Um 2021 werden aber schon 700 Kilometer Reichweite möglich sein. Beim Schwerverkehr geht es in Richtung Wasserstoff. Was aber vor allem drängt: Investitionen in Infrastruktur. Der Schienenverkehr muss einen kräftigen Ausbau erfahren. Vor allem Eisenbahntrassen haben beträchtliche Vorlaufzeiten. Sowohl bei der Süd- als auch bei der Westachse wird es nicht ohne ein ziemliches Upgrade gehen. Da wird der Zeitrahmen bis 2030 schon ziemlich eng.

Der dritte große Bereich umfasst die Dekarbonisierung von industriellen Prozessen. Als Vorreiter wäre hier die voestalpine zu nennen, die schon lange forscht, um „grünen Stahl“ zu erzeugen. Aber auch diese Unternehmen hängen vom künftigen Vorhandensein der notwendigen Infrastruktur ab. Wie und zu welchen Kosten kann die grüne Energie geliefert werden? Denn es reicht in den energieintensiven Branchen definitiv nicht aus, nur Photovoltaik auf die Hallendächer zu montieren.

LEADERSNET:  Was ist dazu Ihr Gefühl, wie ambitioniert ist hier die Regierung?

Lechner: Das angekündigte Energiegesetz wird ein ganz wesentlicher Baustein für das Gelingen der mission2030 sein. Die Inhalte werden in den nächsten Wochen konkret werden.

LEADERSNET:  Wo könnte Österreich international Vorreiter sein?

Lechner: Unseren Stromverbrauch decken wir jetzt schon zu 70 % aus erneuerbaren Energieträgern und sind damit Spitzenreiter in der EU. Da liegt es nahe darauf aufzusetzen und unsere Technologien und Know-how zu vermarkten. Gerade weil viele andere Länder ihre Anteile an Erneuerbaren ebenfalls steigern wollen und unser Schritt in Richtung 100 % für Innovationen sorgen wird.

LEADERSNET: Und wer soll die Umstrukturierung beziehungsweise Forschung, Entwicklung sowie infrastrukturelle Maßnahmen zahlen?

Lechner: Natürlich sind für den Umbau unseres Energiesystems nicht unwesentliche Investitionen, insbesondere in die Infrastruktur sowie Forschung und Entwicklung, notwendig. 
Dem stehen aber auch beträchtliche Einsparungen gegenüber. So haben wir vor kurzem aufgezeigt (HIER nachzulesen), dass Österreich 10,7 Milliarden Euro für den Import mineralischer Brennstoffe ausgibt. Unsere Exporte abgezogen bleiben immer noch 7,9 Milliarden Euro Ausgaben. 
Mit der Dekarbonisierung würden wir also einen enormen Kaufkraftabfluss vermeiden. Investitionen für die Dekarbonisierung sind daher gut angelegt. Würden wir diese Mittel für die Energiewende nutzen, hätte das nicht nur für Klima und Umwelt, sondern auch wirtschaftlich positive Effekte.

LEADERSNET:  Abschließend aus aktuellem Anlass: Gibt es aus wissenschaftlicher Sicht Gründe für oder gegen die Zeitumstellung?

Lechner: Es gibt keine fundierten Hinweise, dass sich die Sommerzeit substanziell auf den Energieverbrauch auswirkt. Es gibt hier kaum belastbare Studien. Ob man die Uhren umstellen soll oder nicht, ist also eine politische und gesellschaftliche Debatte – keine energiewirtschaftliche. (sb)

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