Interview mit Justina Rokita
"Stammgäste pflegen - und die junge Zielgruppe ansprechen"

| Dagmar Zimmermann 
| 02.10.2024

Seit November 2023 leitet Justina Rokita im Kleinwalsertal vier Bereiche des Tourismus – Marke, Marketing, Produkt und Kommunikation. Im Interview mit LEADERSNET teilt die Tourismus-Chefin ihre Visionen, spricht über effektive Führung und erklärt, wie sie ihr umfangreiches Wissen aus der Unternehmenswelt in der Region umsetzt.

Neues Mindset, frische Konzepte und ein modernes Logo: Seit November 2023 leitet Justina Rokita im Kleinwalsertal vier Bereiche des Tourismus – Marke, Marketing, Produkt und Kommunikation. In der Region kommen auf 5.500 Einwohner insgesamt 11.360 Gästebetten und 1,6 Millionen Nächtigungen im Jahr. Im LEADERSNET-Interview gibt sie Einblicke in ihr Schaffen.

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Rokita, seit November 2023 sind Sie Tourismus-Chefin im Kleinwalsertal. Wie lautet Ihr Resümee nach knapp einem Jahr in dieser Position?

Justina Rokita: Es war und ist für mich eine außergewöhnliche Bereicherung, in eine neue Branche einzutauchen – ursprünglich komme ich aus der Konzernwelt und dem Umfeld familiengeführter Unternehmen. Beruflich betrachtet ist dies eine der spannendsten Herausforderungen, die ich bisher erlebt habe. Im Konzern hatte ich Kolleg:innen, während ich hier mit Leistungspartner:innen zusammenarbeite, dazu kommt die politische Dimension. Um sie für unsere gemeinsamen Ziele zu gewinnen, ist es entscheidend, sie alle zu überzeugen und einzubinden. Aus menschlicher Sicht ist dies eine enorme Lernkurve für mich. Die Leistungspartner sind sehr divers – von Landwirt:innen über Hoteliers bis hin zu Gastronom:innen. Was aber wichtig ist, zu betonen: Unser Tourismus wird von zwei Frauen geführt. Meine Kollegin Sandra Brutscher ist mit mir im Vorstand, wir teilen uns die Ressorts. Sandra kümmert sich um Finance, People, Customer Service und Qualitätsservice – meine Themen sind Marke, Marketing, Produkt und Kommunikation.

LEADERSNET: Wie schaffen Sie es, alle zu überzeugen und einzubinden?

Rokita: Meine Strategie war von Anfang an, den Partner:innen mit Authentizität, Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz zu begegnen. Besonders in der Anfangsphase war es für mich entscheidend, aufmerksam zuzuhören. Ich kannte die Region privat, aber der berufliche Blick ist ein anderer. Es war wichtig, die verschiedenen Interessen und Perspektiven zu verstehen. Jeder bringt unterschiedliche Anliegen mit, und wo Menschen zusammenkommen, gibt es auch unterschiedliche Meinungen und Konflikte. Es menschelt eben… Meine Fähigkeiten aus meiner Coaching-Ausbildung helfen mir enorm, auf die Menschen einzugehen. Gute Führung ist Empathie, aber es braucht auch eine gewisse Härte, sonst schaffen wir keine konsequente und stringente, notwendige Umsetzung. "Everybody's darling is everybody's Depp", sage ich ganz gerne.

LEADERSNET: Stichwort Umsetzung: Das Kleinwalsertal prägt ein neues Logo.

Rokita: Das stimmt. Wir haben uns vom traditionellen Edelweiß als Markenzeichen entfernt und innerhalb von zwei Monaten ein neues Logo entwickelt, das in abstrahierter Form durch drei Streifen den Ifen symbolisiert. Das Edelweiß findet man in der Region kaum und es spiegelt unsere Tal-Identität nicht wider – weder auf dem Berg noch in der Kultur. Wir haben hierzu lang und intensiv recherchiert. Dazu kommt, dass das Edelweiß im Allgäu sein Zuhause hat – somit haben wir uns auch in der Marken DNA verwässert. Als ich im November 2023 gestartet bin, lag die neue Tourismusstrategie zwar bereits auf dem Papier vor, sie musste aber noch überarbeitet und finalisiert werden. Als wir im Rahmen der Strategie in die Tiefe gingen und sie schärften, wurde deutlich, dass wir das Logo anpassen müssen, um der Marke Kleinwalsertal ein moderneres, zeitloses und vor allem uniques Gesicht zu verleihen, um auch hier neue Zielgruppen besser anzusprechen und zu gewinnen.

LEADERSNET: Warum braucht es die Verjüngung der Zielgruppe?

Rokita: Wir haben mit unserer neuen Strategie die kommenden zehn Jahre im Blick. Um langfristig wettbewerbsfähig zu sein, ist es entscheidend, dass wir unsere Stammgäste weiterhin an uns binden und pflegen. Gleichzeitig müssen wir den demografischen Wandel berücksichtigen. Um unser Tal über 300 Tage im Jahr attraktiv zu gestalten, ist es unerlässlich, die junge Zielgruppe anzusprechen. Das Mindset der jüngeren Generation kommt uns dabei entgegen: Sie legen großen Wert auf Nachhaltigkeit, genießen Naturerlebnisse und streben nach bewusster Entschleunigung. Ihr starkes Bewusstsein für ökologische Themen und Klimaschutz ist ein entscheidender Faktor. Wir positionieren uns als Affordable Premium Destination, die künftig zusätzlich von Menschen ab 25 Jahren besucht wird. Unsere treuen Stammgäste sind bereits vorhanden, dafür benötigen wir keine verstärkten Marketingmaßnahmen, sie sind unsere Fans und kommen jedes Jahr. Stattdessen müssen wir gezielt an der Verjüngung unserer Zielgruppe arbeiten. In den letzten Jahren haben wir einige Großstädte teilweise verloren. Daher ist es wichtig, unter anderem durch gezielte Marketingstrategien das Bewusstsein zu schärfen und die Begehrlichkeit zu wecken, wie schön das Kleinwalsertal ist.

LEADERSNET: Was braucht es, damit sich eine Tourismusdestination wie die Ihrige stark aufstellt?

Rokita: Wir müssen definitiv unsere Managementfähigkeiten verbessern und uns stetig weiterentwickeln. Dies wird uns helfen, uns professioneller für die Zukunft aufzustellen, effiziente Prozesse zu etablieren und ein gesamtheitliches Verständnis zu fördern. Es ist wichtig, dass jeder aus seiner persönlichen Bubble heraustritt – Konzepte und Projekte müssen schneller zum Leben erweckt werden. Viele gute Ideen wurden bereits entwickelt, sind jedoch in der Schublade verschwunden, weil es an einem klaren Verständnis, der notwendigen Überzeugungskraft, aber auch an Investment gefehlt hat. Hier sind Managementfähigkeiten von entscheidender Bedeutung, insbesondere in Bezug auf klare Zielsetzung, Steuerung, Koordination und konsequente Umsetzung. Durch meine jahrelange Berufserfahrung in unterschiedlichen Manager-Positionen sehe ich mich ganz klar als Generalistin, die in der Lage ist, das ganz Große nie aus dem Auge zu verlieren, und die ganzheitlich versteht, Komplexität mit dem Praktischen zu verbinden, um an das Ziel zu gelangen. Der Sessel des Tourismus-Chefs sei sehr wackelig, sagte man mir hier. Das macht mir aber keine Angst, ganz im Gegenteil: Es treibt mich an und fordert mich heraus, unsere Destination gemeinschaftlich zukunftsweisend zu gestalten. Übrigens liegt es mir besonders am Herzen, im stetigen Dialog mit unseren Leistungspartnern zu sein, unser Know-how gegenseitig zu teilen, voneinander zu lernen. Das schafft Nähe, Augenhöhe und gegenseitige Entwicklung.

LEADERSNET: An welchen Zahlen werden Sie gemessen?

Rokita: Aus der Konzernwelt bin ich die klassischen KPIs gewohnt, die in einer Zielvereinbarung verankert werden. Hier im Kleinwalsertal werden die Ziele anders definiert, auch diese haben wir greifbarer und somit auch neu erarbeitet. Das erste Jahr ist für mich ein Aufbaujahr. Ein Aufbaujahr im Team, in den gesamten Prozessen, in der ganzheitlichen Strategie, aber auch ein Aufbaujahr, was das Vertrauen der Menschen im Tal angeht. Es ist ein anderer Denkprozess, der für mich neu ist – von Kunde zum Gast, das macht einen großen Unterschied in all unserem Doing. Die Feinheit liegt im Detail, auch wenn der Gast seinen Urlaub bei uns bucht, kauft er eine Dienstleitung wie ein Kunde. Die Nähe zwischen Gast und Kunde ist jedoch eine andere, und das macht es besonders herausfordernd. Es ist eher die Funktion eines Gastflüsterers, die wir ausfüllen. Auf die Bedürfnisse und Wünsche der Gäste einzugehen, sobald er seinen Urlaub vor Ort beginnt, schafft noch eine ganz andere Sichtweise auf der Serviceebene.

LEADERSNET: Was sind für Sie die Trends im Tourismus?

Rokita: In Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Zukunftsinstitut haben wir anhand des sogenannten Future Rooms im Kleinwalsertal die wichtigsten Megatrends für uns definiert. Basierend auf der eigenständigen Methodik des Instituts, die als soziologisches Trendwissen mit systematischer Analyse kombiniert, wurden über zehn relevante Megatrends erarbeitet. Dazu gehören unter anderem nachhaltige und nahtlose Mobilität, ganzheitliche Gesundheit, Individualisierung, aber auch der Resonanz-Tourismus. Der Gast von morgen strebt danach, sich intensiv mit der Ortschaft, der Kultur und den Menschen auseinanderzusetzen. Das bedeutet für uns, dass wir Resonanz-Erlebnisräume schaffen müssen. Die Sehnsucht des Reisenden nach authentischen Begegnungen ist heute ein zentraler Treiber und verändert den Tourismus. Ein Beispiel dafür könnten Veranstaltungen und Einrichtungen sein, bei denen Einheimische und Gäste zusammentreffen und in einen direkten Dialog treten.

LEADERSNET: Welche neuen Konzepte schweben Ihnen noch vor?

Rokita: Die ersten Impulse der neuen Produktstrategie haben wir bereits angefangen zu initiieren. Wir haben im Sommer "Tafeln auf der Alp" impliziert, wo Gäste von Spitzenköchen auf Hütten bewirtet werden. Zudem haben wir die Summer Lounge ins Leben gerufen, wo zur House-Musik ein Ambiente à la Dolce Vita impliziert wurde, ein Ort der Begegnung nicht nur für Gäste, sondern auch für die Einheimischen. Für die Wintersaison erarbeiten wir gerade neue Konzepte, aber das Jahr 2025 steht im Zeichen des Ausbaus der touristischen Infrastruktur. Wir müssen kreative Ideen entwickeln, um die jüngere Zielgruppe beim Thema Ski Alpin anzusprechen. Das Thema Mountainbiking steht ebenfalls auf unserer Agenda. Und wir arbeiten aktiv daran, herauszufinden, welche Angebote wir im Tal schaffen können, um mehr Begehrlichkeit zu generieren. Ein entscheidender Aspekt unserer Positionierung bleibt dabei bestehen: Wir arbeiten stets im Einklang mit der Natur und für die Natur. Diese konsequente Ausrichtung ist für uns von großer Bedeutung, und ich lege großen Wert darauf, dass wir unserer einzigartigen DNA treu bleiben. Dadurch schaffen wir Differenzierung und Uniqueness für unsere Destination.

LEADERSNET: Vielen Dank!

www.kleinwalsertal.com

Zur Person Justina Rokita

Justina Rokita (geboren 1976) bringt knapp 20 Jahre Berufserfahrung mit und war in verschiedenen internationalen Unternehmen wie Hugo Boss, Falke und MOIA (ein Unternehmen der Volkswagen Group) tätig. Sie kümmerte sich um strategisches Markenmanagement, analoges und digitales Marketing, globale Produktentwicklung und E-Commerce. Sie arbeitet nach dem Prinzip "Purpose drives Performance".

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Justina Rokita (geboren 1976) bringt knapp 20 Jahre Berufserfahrung mit und war in verschiedenen internationalen Unternehmen wie Hugo Boss, Falke und MOIA (ein Unternehmen der Volkswagen Group) tätig. Sie kümmerte sich um strategisches Markenmanagement, analoges und digitales Marketing, globale Produktentwicklung und E-Commerce. Sie arbeitet nach dem Prinzip "Purpose drives Performance".

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